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JUSTIZ/701: USA - Schrei der Wahrheit ... (SB)


USA - Schrei der Wahrheit ...


"Make America Great Again" - so lautete das dummdreiste Versprechen, mit dem der republikanische Politneuling Donald Trump entgegen allen Erwartungen die Präsidentenwahl 2016 gegen die ehemalige demokratische Außenministerin und First Lady Hillary Clinton gewann. Für den New Yorker Baumagnaten, Ex-Kasinobetreiber und Reality-TV-Star besteht Größe offenbar darin, Sprüche zu klopfen, Raketenangriffe zu befehlen, mit Krieg zu drohen und internationale Abkommen mit Füßen zu treten. Trump gefällt sich sichtlich in der Rolle des Provokateurs, der es mutig wage, politisch inkorrekte Standpunkte gegen den vermeintlich "liberalen" Mainstream zu beziehen.

Um seine absolute Entschlossenheit zu demonstrieren, die Feinde Amerikas das Fürchten zu lehren, hatte Trump im Wahlkampf mehrmals der Folter von "Terrorverdächtigen" das Wort geredet. Er brüstete sich damit, daß mit ihm im Weißen Haus die "bad hombres" dieser Welt nach der Gefangennahme durch CIA, FBI oder US-Militär nicht nur mit Waterboarding, sondern "viel Schlimmeren" rechnen müßten. Ausdrücklich sprach sich Trump gegen eine Fortsetzung des mißlungenen Vorhabens Barack Obamas aus, das umstrittene Internierungslager auf dem US-Marinestützpunkt Guantánamo Bay auf Kuba zu schließen. Er versprach ganz im Gegenteil, die Anstalt mit Kämpfern von den Taliban, Al Kaida oder der "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS) wieder aufzufüllen. Angesichts eines derart provokativen Standpunkts überraschte es nicht, als Trump im vergangenen März Gina Haspel als Nachfolgerin für den scheidenden CIA-Chef und künftigen Außenminister Mike Pompeo vorschlug.

Die 61jährige Haspel wäre die erste Frau und seit William Colby (1973-1976) das erste Mitglied der Operationsabteilung der CIA, das die Leitung des US-Auslandsgeheimdienstes übernimmt. Colby hatte Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre in Vietnam das verdeckte Phoenix-Programm geleitet, im Rahmen dessen zwecks Aufstandsbekämpfung unzählige Menschen in Südvietnam gefangengenommen und gefoltert wurden. Offiziellen Schätzungen zufolge kostete das Phoenix-Programm zwischen 26.000 und 41.000 mutmaßlichen Vietkong-Anhängern das Leben. Haspel hat eine ähnlich blutige Vergangenheit. Nach den Anschlägen vom 11. September 2011 übernahm sie in Thailand die Leitung der ersten "black site" der CIA und überwachte dort die Folter von "Terrorverdächtigen". Darum ist die Nominierung Haspels zur neuen CIA-Chefin zum "Politikum" geworden.

Doch die Charade hat viel früher angefangen, nämlich als Obama zu Beginn seiner Amtszeit als Präsident 2009 entschied, keine Ermittlungen gegen die Verantwortlichen in der Vorgängerregierung George W. Bushs für das Folter- und Verschleppungsprogramm der CIA - allen voran Vizepräsident Dick Cheney - wegen Kriegsverbrechen einzuleiten. Die Farce um das Abwägen zwischen der Aufrechterhaltung des moralischen Führungsanspruchs der USA und der vermeintlichen Notwendigkeit der Anwendung größtmöglicher Härte gegenüber den Feinden Amerikas hat bei der Anhörung Haspels vor dem Geheimdienstausschuß des Senats am 9. Mai ihren bisherigen Höhepunkt erreicht.

Haspel versteckte sich hinter ihrer Brille und spielte perfekt die patriotische, technokratische Beamtin, der politische Erwägungen völlig fremd seien. Die meisten Senatoren ergingen sich in Erinnerungen an das nationale Trauma 9/11 und sangen ein Loblied nach dem anderen auf die Mitarbeiter der CIA, die beim Schutz des amerikanischen Volkes ihr Leben riskierten und gelegentlich auch verloren. Auf direkte Anfrage durch Kamala Harris, afroamerikanische Senatorin aus Kalifornien, die als potentielle Präsidentschaftskandidatin der Demokratin 2020 gehandelt wird, ob Folter "unmoralisch" sei, verweigerte Haspel die Antwort. Sie behauptete, die Durchführung von Vernehmungen - verschärft oder nicht - sei nicht Sache der CIA, lehnte es jedoch ab, darüber zu "spekulieren", was sie tun würde, bekäme sie von Trump den Befehl zu foltern.

Bezeichnend war die Aussage Haspels, sie könne nicht ausschließen, daß die damalige "verschärfte Vernehmung" von mutmaßlichen Al-Kaida-Mitgliedern nicht vielleicht doch irgendwelche Hinweise zutage gefördert habe, die Anschläge auf dem amerikanischen Festland oder auf US-Ziele in Ausland verhindert haben. Das ist natürlich ganz großer Humbug. Alle, die etwas von der Materie verstehen, wissen, daß die Folter - vom Stillen der sadistischen Neigungen der Beteiligten einmal abgesehen - in erster Linie dazu dient, Falschaussagen zu erzwingen. So war es bei der Hexenverfolgung im europäischen Mittelalter und nicht anders zum Auftakt des "Global War on Terrorism" der USA in den Nuller Jahren.

In einem Artikel, der am 9. Mai unter der Überschrift "Gina Haspel and How Torture Deceived Us Into Iraq" bei The American Conservative erschienen ist, hat Lawrence Wilkerson, Stabschef des früheren US-Außenminister Colin Powell, dezidiert erläutert, wie 2002 die CIA und befreundete Geheimdienste, allen voran jener Ägyptens, auf massivsten Druck seitens des Weißen Hauses mittels Folter die notwendigen "Erkenntnisse" für die öffentliche Begründung der vermeintlichen Notwendigkeit eines illegalen Einmarsches der USA und Großbritanniens in den Irak erschwindelten. Aus diesem Komplott ging der "finstere Nexus" zwischen Osama Bin Ladens Al Kaida und Saddam Hussein hervor, vor dem die Welt angeblich durch einen gewaltsamen "Regimewechsel" in Bagdad 2003 gerettet werden mußte.

Am 9. November 2005 hat Haspel auf direkte Anordnung des damaligen Chefs der CIA-Operationsabteilung José Rodriguez alle Videoaufnahmen der Foltervernehmungen aus den davorliegenden Jahren vernichten lassen. Gerade sechs Tage zuvor hatte Leonie Brinkema, Bundesrichterin in Alexandria, Virginia, beim Prozeß gegen Zacarias Moussaoui, den mutmaßlichen "20. Hijacker" des 9/11-Komplotts, beim Justizministerium formell nach der Existenz von Material im Besitz des amerikanischen Staates gefragt, das den Angeklagten entlasten könnte, und falls so etwas existiere, seine Sicherstellung verfügt. Am 14. November beantwortete das Justizministerium Brinkemas Frage mit Nein. Der zeitliche Verlauf läßt den Verdacht aufkommen, daß die Sonderaktion von Haspel und Rodriguez nicht - wie allgemeinen kolportiert - dem Motiv geschuldet war, die Beteiligten des Folterprogramms vor juristischer Verfolgung zu schützen, sondern vor allem dazu diente, die Dürftigkeit der erzwungenen Geständnisse zu verheimlichen. Schließlich basiert die offizielle Version der Anschläge vom 11. September auf den Aussagen des vermeintlichen 9/11-Chefarchitekten Khalid Scheich Mohammed, der von der CIA nachweislich 83mal dem Waterboarding unterzogen wurde.

Die Tatsache, daß Gina Haspel zu einem Zeitpunkt CIA-Chefin wird, an dem Trump und der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu auf einen Regimewechsel in Teheran drängen bzw. dem Iran mit Krieg drohen, ist mehr als beunruhigend. Alles spricht dafür, daß es in den nächsten Tagen bei der Abstimmung im Senat die erforderliche Mehrheit für die Ernennung Haspels zum neuen Director of Central Intelligence (DCI) geben wird. Inzwischen wirbt die regierungsnahe "liberale" Washington Post mit dem Argument für die Personalie, daß Haspel an der Spitze der CIA ein großer Erfolg für die Emanzipation der Frau und ein starkes Zeichen vor dem Hintergrund der #meetoo-Bewegung wäre.

12. Mai 2018


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