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JUSTIZ/708: Antiterrorkrieg - immer verdächtig ... (SB)


Antiterrorkrieg - immer verdächtig ...


Der Verdacht, bei der "Terrorbekämpfung" geht es weniger um die tatsächliche Verhinderung irgendwelcher "Terroranschläge" als vielmehr um eine umfassende technokratische Form der Gesellschaftskontrolle, steht schon länger im Raum. Anders ist das Phänomen, wie bei den Behörden sattsam bekannte, ideologisch motivierte "Gefährder" ihr Mordwerk verrichten können - siehe die Anschläge des algerisch-französischen Bruderpaars Kouachi auf die Pariser Redaktionsräume der Satirezeitschrift Charlie Hebdo im Januar 2015, des Tunesiers Anis Amri auf dem Berliner Weihnachtsmarkt 2016 und des Libyers Salman Abedi am Rande des Konzerts der Popsängerin Ariana Grande im nordenglischen Manchester im Mai 2017 -, während Gerichte und Geheimdienste regelmäßig völlig unschuldige Personen als "Terrorverdächtige" bzw. "-Helfer" an den Pranger stellen und ihr Leben ruinieren, kaum zu erklären. Zwei Fälle, jeweils aus den USA und Großbritannien, sollen letzteren Aspekt des Konstrukts "Terrorismus" verdeutlichen.

Im Juni 2005 wartete das FBI mit der Erfolgsmeldung auf, eine hochgefährliche "terroristische Schläfer-Zelle" in der kalifornischen Kleinstadt Lodi zerschlagen zu haben. Bei den Verhafteten handelt es sich um fünf Männer pakistanischer Herkunft. Drei von ihnen wurden recht schnell und ohne Anklageerhebung nach Pakistan abgeschoben. Der junge Erntehelfer Hamid Hayat und sein Vater Umer Hayat dagegen kamen vor Gericht. Hamid warf man vor, sich fast ein halbes Jahr lang in einem "terroristischen" Ausbildungslager des Al-Kaida-"Netzwerks" Osama Bin Ladens in Pakistan auf die Durchführung eines größeren Anschlags in den USA vorbereitet zu haben und deshalb nach Kalifornien zurückgekehrt zu sein. Seinem Vater Umer, einem Eiskremverkäufer, legte man zur Last, dem Sohn bei seinem teuflischen Vorhaben finanziell unter die Armee gegriffen zu haben. Tatsächlich waren Vater und Sohn 2003 am internationalen Flughafen Dulles bei Washington erwischt worden, wie sie 28.000 Dollar in bar nach Pakistan zu schmuggeln versuchten. Die Hayats behaupteten, das Geld sei für den Kauf einer Ferienwohnung in Pakistan sowie zur Anbahnung der Ehe Hamids mit einer pakistanischen Frau vorgesehen gewesen. Das ließen die Ermittler jedoch nicht gelten.

Beim Prozeß 2006 legte die Staatsanwaltschaft Geständnisse vor, in denen sich die Hayats weniger schuldig bekannten, dafür um so mehr in heillosen Widersprüchen verwickelten. Schon damals kam einigen Prozeßbeobachtern die Angaben komisch vor, so als ob sie der Phantasie übereifriger, islamophobischer Terroristenjäger bei der US-Bundespolizei entstammten. Dies gilt insbesondere für die Aussage Umer Hayats, in dem fraglichen Al-Kaida-Ausbildungslager hätten eintausend als Ninja gekleidete Dschihadisten Stabhochsprung geübt. Doch der Bundesrichter Garland Burrell wischte die Bedenken der Verteidigung beiseite und verurteilte Hamid Hayat an dessen 25. Geburtstag im September 2007 zu 24 Jahren Freiheitsstrafe. Sein Vater wurde lediglich wegen Falschaussage verurteilt; man ließ ihn wegen der bereits verbrachten Zeit in Untersuchungshaft laufen.

Seitdem kämpfen die Hayats, die stets ihre Unschuld beteuerten, um Rehabilitation und Wiedergutmachung. Hamid Hayat kann von Glück sagen, daß der Streamingdienst Netflix seinen Fall für die Serie "The Confession Tapes" verarbeitete. In der Dokuserie geht es um Menschen, die in den USA praktisch allein aufgrund eines "Geständnisses", das ihnen von der Polizei beim Verhör abgepreßt worden war, hinter Gittern gelandet sind. Beim Berufungverfahren wurde Ende letzten Jahres das Urteil gegen Hamid Hayat für ungültig erklärt. Zuvor war herausgekommen, daß die Staatsanwaltschaft beim ersten Prozeß Informationen unterschlagen hatte, die bewiesen, daß Hamid Hayat während seines Besuchs in Pakistan fast die ganze Zeit bei den Verwandten in der Provinz Punjab gewesen ist und sich somit keiner "terroristischen" Ausbildung von drei bis sechs Monaten in der afghanisch-pakistanischen Grenzregion unterzogen haben konnte. Am 13. Februar haben die Bundesbehörden das Handtuch geschmissen und ihrerseits auf einen Gang in die Berufung gegen die Freisprechung Hamid Hayats verzichtet. Inwieweit der heute 37jährige Mann für seine 14 Jahre in Haft entschädigt wird, muß sich noch zeigen.

Erschreckend auch das Schicksal, das dem in Oxford lebenden Ehepaar John Letts und Sally Lane - er ist Kanadier, sie Engländerin - widerfahren ist. Aus gutem Grund hat am 14. Februar die Onlinezeitung Middle East Eye in mehreren Artikel und einem Kommentar deren Erfahrungen im Umgang mit dem britischen Sicherheitsstaat ausführlich behandelt. Im Mai 2014 war Johns und Sallys 18jähriger Sohn Jack Letts, der als Jugendlicher unter Depressionen gelitten hatte und deshalb zum Islam übergetreten war, unter dem Vorwand eines Urlaubs in Jordanien nach Kuwait gereist und bald danach in das Bürgerkriegsland Syrien weitergezogen. Der junge Mann schien auf die Suche nach Abenteuer und dem "wahren" Islam gewesen zu sein.

In Syrien freundete er sich offenbar mit den "falschen" Leuten, Freiwilligen der "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS), an. Im September 2014 rief er kurz bei seiner Mutter an und informierte sie, daß er inzwischen in Syrien sei. Erschrocken beschimpfte sie ihn als "verrückt" und schrie ihn an, die Dschihadisten würden ihm den Kopf abhacken. Zwischendurch zog Jack Letts mit anderen IS-Freiwilligen nach Irak. Es gibt Bilder von ihm in der Nähe des dortigen Euphrat-Damms sowie später am Rande der Kämpfe um die Stadt Rakka im Osten Syriens.

Während Letts Zeit im Herrschaftsgebiet des Kalifats Abu Bakr Al Bagdadis versuchten seine Eltern, so gut sie konnten den Kontakt zu ihm über Telefon sowie über Facebook aufrechtzuerhalten. Sie sorgten sich um sein Leben und wandten sich um Hilfe an die Polizei und an die Nicht-Regierungsorganisation Active Change Foundation (ACF), die sich auf die Deradikaliserung muslimischer Jugendlicher spezialisiert hat. Gemeinsam sollten die Polizistin Rachel Mahon, die den Fall Jack Letts bearbeitete, und Hanif Qadir von ACF den verzweifelten Eltern helfen, ihren Jungen aus der IS-Umklammerung zu befreien und heil nach Hause zu holen. Zu diesem Zweck gewährten Letts' Eltern Qadir, der des Arabischen mächtig ist, den Zugang zu ihren Telefonen und ihren persönlichen Facebook-Seiten, damit er sie beraten konnte.

Die Gutgläubigkeit von Lane und Letts sollte sich als Riesenfehler für sie erweisen. Qadir arbeitete heimlich mit dem britischen Geheimdienst im Rahmen des umstrittenen Anti-Terror-Programms Prevent zusammen und hielt deren Beamte auf dem Laufenden. Überzeugt, daß ihr Sohn noch nicht zum "Terroristen", sondern eher eine Geisel des IS geworden sei, schickten sie ihm zwischen 2015 und 2016 dreimal kleinere Geldsummen, jeweils ein paar hundert Pfund, in der Hoffnung, er könnte damit ein Entkommen nach Libanon, in die Türkei oder nach Jordanien finanzieren. Doch bereits Anfang 2016 hatte Rupert Murdochs Sunday Times den jungen Mann zum "Jihadi Jack" aufgebauscht und damit zum Verräter an Volk und Vaterland gestempelt. Im Juni desselben Jahres wurden Letts und Lane wegen terroristischer Beihilfe verhaftet. Sie verbrachten fünf Tage im Gefängnis. Erst danach kamen sie auf Kaution frei.

Im Juni 2019 wurden Letts und Lane vom Sondergericht in London in drei Fällen der "Terrorfinanzierung" schuldig gesprochen. Die wurden zu 15 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt, die jedoch wegen guter Führung ausgesetzt wurde. Ihre Argumente, die Geldüberweisungen seien mit Mahon und Kadir abgesprochen, ließen die Richter nicht gelten. Kurz nach dem Prozeß hat das Londoner Innenministerium Jack Letts die britische Staatsbürgerschaft entzogen. Den letzten Meldungen zufolge war er nach der Rückeroberung der einstigen IS-Hauptstadt Rakka 2017 verhaftet worden. Seitdem befindet er sich zusammen mit Tausenden von anderen Kalifatsanhängern unter schrecklichen Bedingung im notdürftig errichteten Gefangenenlager syrisch-kurdischer Milizen. Aufgrund der hohen Prozeßkosten haben seine Eltern ihre Wohnung verkaufen müssen. Sie stehen im Rahmen der "Antiterrorstrategie" von Prevent immer noch unter Verdacht. Freunde, die den Letts Geld oder auch nur Lebensmittel zustecken, müssen selbst befürchten, in das "Terrorraster" zu geraten.

Gegenüber Middle East Eye berichtete der heute 59jährige John Letts, daß er und seine Frau, obwohl sie nach der ganzen Tortur der letzten Jahre am Boden zerstört seien, niemanden um psychologische Hilfe haben bitten können. Psychiater, an die sie sich um vertrauliche Gespräche wandten, hätten abgelehnt, weil diese nach den gesetzlichen Prevent-Vorschriften verpflichtet wären, alle Details der jeweiligen Unterredung an die Sicherheitsbehörden weiterzuleiten. Vor diesem Hintergrund wundert eine Aussage von Sally Lane gegenüber Middle East Eye wenig: "Bei mir hat es 57 Jahre gedauert, um eine Radikale zu werden. Das hat diese Erfahrung aus mir gemacht. Früher war ich politisch gemäßigt, aber heute sehe ich die Welt komplett anders."

19. Februar 2020


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