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LATEINAMERIKA/2196: Peru entzieht Rosales der Justiz Venezuelas (SB)


Asyl für Chávez-Gegner trotz Korruptionsverdachts


Hugo Chávez ist ein Unruhestifter - schließlich hat der Präsident Venezuelas die alte Ordnung der Ausbeutung durch einheimische Eliten des südamerikanischen Landes und imperialistische Mächte so empfindlich gestört, daß diese ihren Geschäften nicht länger in der Gewißheit uneingeschränkten Zugewinns nachgehen können. Wenn seine Kritiker ihm vorwerfen, er schüre Unzufriedenheit, spalte die Gesellschaft und entzweie den Kontinent, so vergießen sie Krokodilstränen um das Wohlergehen jener, deren Alimentierung sie für reine Geldverschwendung halten. Heißt wirtschaften nicht akkumulieren, um die Reichen noch reicher und die Satten noch satter zu machen, während Mißwirtschaft darin gipfelt, Hungerleider zu unterstützen, die doch nur alles verzehren, was man ihnen gibt?

Durch diese Brille betrachtet, kann der bolivarische Prozeß gesellschaftlicher Umgestaltung zwangsläufig nur Fehler machen, da seine Probleme mit Spott und Hohn übergossen und seine Erfolge um so mehr verteufelt werden. Zum Leidwesen seiner Gegner im In- und Ausland ist der politisch so oft totgesagte Staatschef nicht gescheitert. Er erfreut sich im Gegenteil ungebrochener Schaffenskraft und ist dabei nicht allein, was die großen und kleinen Inquisitoren im erbärmlichen Zirkelschluß immer nur dahingehend ausdeuten können, daß er ein populistischer Verführer sei, weil er die Menschen blende, indem er etwas für sie tut. Richtige Volksvertreter in einer gestandenen parlamentarischen Demokratie machen so etwas nicht, da sie bekanntlich nur ihrem Gewissen und nicht etwa den Wünschen ihrer Wählerschaft verpflichtet sind.

Unter diesen Voraussetzungen bekommt zwangsläufig alles eine beträchtliche Schräglage, was in den bürgerlichen Medien über Venezuela, dessen Regierung und Präsident Chávez berichtet wird. Würde sich ein deutscher Politiker, der unter dringendem Korruptionsverdacht steht, in die Schweiz absetzen und dort Bleiberecht erhalten, wäre der Teufel los. Man würde den Eidgenossen jede Eigenart bis hin zum Bankgeheimnis um die Ohren hauen und sie unter Druck setzen, dem Walten der Justiz nicht in die Quere zu kommen.

Anders im Falle Venezuelas, dessen Gesuch, den nach Peru geflüchteten Manuel Rosales zu überstellen, von der Regierung in Lima mit Asyl für den angeblich politisch Verfolgten beantwortet wurde. Rosales war der schärfste Rivale von Präsident Chávez bei dessen Wiederwahl 2006 und ist derzeit Bürgermeister von Maracaibo, der zweitgrößten Stadt des Landes. Also sind die gegen ihn erhobenen Vorwürfe fabriziert, da man ihn mundtot machen will, folgern die Gazettenschreiber mit jener fadenscheinigen Logik, die der prominente Exilant in die Welt gesetzt hat. Beweise für diese These vorlegen können sie nicht, was sie jedoch nicht weiter stört, da sie ja einfach immer nur in dieselbe alte Kerbe der Bezichtigung hauen.

Bezeichnenderweise verheddern sich eifrige Kommentatoren im Gestrüpp ihrer eigenen Widersprüche und wundern sich nun, warum Präsident Chávez nicht schweres Geschütz gegen Peru auffährt. Er hat zwar seinen Botschafter zu Konsultationen aus Lima zurückgerufen, wie man das üblicherweise bei diplomatischen Verstimmungen macht, aber nicht den peruanischen Chefdiplomaten in Caracas des Landes verwiesen. Dieser zurückhaltende Umgang mit der Kontroverse verärgert die Kritikerschar, die sich der Chance neuerlicher Tiraden beraubt sehen, der venezolanische Staatschef bausche Vorwurfslagen auf, um sich in Szene zu setzen. Hat er nicht im vergangenen Jahr die Botschafter Kolumbiens, Israels und der USA ausgewiesen und sich später nur mit Bogotá auf die Wiederherstellung normaler diplomatischer Beziehungen verständigt? (The Christian Science Monitor 30.04.09)

Natürlich könnte man in diesem Zusammenhang die Frage erörtern, welche Gründe die venezolanische Regierung jeweils für ihre Handlungsweise ins Feld führte, und dabei zu dem Schluß kommen, daß beispielsweise ihre Solidarität mit den Palästinensern im angegriffenen Gazastreifen zu den wenigen Lichtblicken internationaler Stellungnahme angesichts des Massakers der israelischen Streitkräfte gehörte. Mit derart heißen Eisen will man lieber nichts zu tun haben, und so flüchtet man sich in nebulöse Andeutungen angeblicher Charaktereigenschaften des venezolanischen Präsidenten, der als notorischer Hitzkopf diffamiert wird. Zitiert wird ein gewisser Herbert Koeneke, der politische Wissenschaften an der Simón Bolívar Universität in Caracas lehrt und zum besten gibt, Chávez wisse nur zu gut, daß er außerhalb Venezuelas keinen guten Ruf habe, weshalb er durch eine ungewohnt moderate Reaktion etwas für sein Image tun wolle. Recht machen kann es Hugo Chávez seinen Kritikern offensichtlich nie.

Unterdessen hat das Außenministerium in Caracas Klartext geredet und die Entscheidung Perus als "eine Verhöhnung internationalen Rechts, einen schweren Schlag für den Kampf gegen die Korruption und eine Beleidigung des venezolanischen Volkes" bezeichnet, was man angesichts der Sachlage durchaus unterschreiben kann. Die venezolanischen Behörden wollen von Rosales wissen, wieso er während seiner Amtszeit als Gouverneur des Departements Zulia 68.000 Dollar mehr auf dem Konto hatte als bei seiner Steuererklärung vier Jahre zuvor. Seine Angaben, er habe mit einer Ranch Geld verdient und dies der Finanzbehörde auch mitgeteilt, läßt jedenfalls Fragen offen. Die venezolanische Justiz hat inzwischen einen internationalen Haftbefehl gegen ihn erlassen.

Ganz wohl scheint der peruanischen Regierung bei der Geschichte nicht zu sein, denn Verteidigungsminister Antero Flores Araoz beeilte sich zu versichern, es habe sich keineswegs um eine "unfreundliche" Entscheidung seines Landes gehandelt. Da Peru zuvor schon zwei anderen venezolanischen Oppositionellen Asyl gewährt hat, kann man sich des Eindrucks kaum erwehren, die Regierung in Lima wolle sich als Hort der Chávez-Gegner profilieren.

Das Verhältnis der Präsidenten Alan García und Hugo Chávez erreichte 2006 einen Tiefpunkt, als der venezolanische Staatschef im peruanischen Präsidentschaftswahlkampf den früheren Armeeoberst Ollanta Humala unterstützte, der seinerseits große Sympathien für ihn bekundete. García bediente sich daraufhin der Bezichtigung, Humala sei eine Marionette des Venezolaners. Dieses Schüren diffuser Ängste vor einer feindlichen Übernahme scheint ihm nicht unwesentlich dabei geholfen zu haben, seinen schärfsten Konkurrenten abzuschütteln. Als die beiden Präsidenten bei einer späteren Gelegenheit persönlich zusammentrafen, hatten sich die Wogen jedoch längst wieder soweit geglättet, daß einvernehmliche Beratungen möglich waren.

Daß die lateinamerikanischen Staatschefs durchaus in der Lage sind, nach heftigen Konflikten die Eskalation zurückzufahren, erwies sich unter anderem nach dem Angriff der kolumbianischen Streitkräfte unter US-amerikanischer Beteiligung auf das Rebellenlager in Ecuador. Als daraufhin Truppen in Marsch gesetzt wurden und ein Krieg unter Beteiligung Kolumbiens, Venezuelas und Ecuadors nicht mehr ausgeschlossen schien, kam es überraschend schnell zu einer Beilegung des akuten Konflikts. Dies stellte unter Beweis, daß die den Regierungen dieser Weltregion unterstellte Heißblütigkeit bis hin zur Irrationalität in erster Linie eine Projektion äußerer Beobachter ist, die auch auf dieser Schiene ihren Überlegenheitsanspruch geltend machen.

30. April 2009