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LATEINAMERIKA/2205: Guatemalas Präsident Colom unter wachsendem Druck (SB)


Videobotschaft eines Toten bezichtigt Staatschef des Mordauftrags


In Guatemala wächst der Druck auf Präsident Alvaro Colom, sein Amt angesichts der gegen ihn erhobenen Vorwürfe für die Dauer der Untersuchung ruhen zu lassen oder seinen Rücktritt zu erklären. Bezichtigt wird der Staatschef von einem Toten, nämlich dem Anwalt Rodrigo Rosenberg Marzano, der vor seiner Ermordung eine Videobotschaft aufgenommen hatte, die im Falle seines gewaltsamen Ablebens veröffentlicht werden sollte. Darin teilt Rosenberg mit, daß er der Anwalt Khalil Musas und dessen Tochter Marjories gewesen sei, die beide auf feige Art und Weise durch Präsident Colom mit voller Unterstützung durch dessen Gattin Sandra de Colom ermordet worden seien. Musa sollte in den Vorstand der privaten Bank für ländliche Entwicklung berufen werden, wozu es jedoch nicht kam, da der Unternehmer und seine Tochter im April getötet wurden. Neben dem Präsidenten und dessen Ehefrau nennt Rosenberg in seiner Botschaft den Finanzier der Wahlkampagne Coloms und den Sekretär des Staatschefs als Mittäter.

Am Wochenende sind in der Hauptstadt erneut Tausende Bürger auf die Straße gegangen, um den Präsidenten zum Rücktritt aufzufordern. An dem Protestzug nahmen vorwiegend Guatemalteken der bessergestellten Gesellschaftsschichten teil, die dem ersten sozialdemokratischen Staatschef seit einem halben Jahrhundert ohnehin ablehnend gegenüberstehen. Die Organisatoren der Kampagne haben eigenen Angaben zufolge mehr als 25.000 Unterschriften für eine Petition gesammelt, die den Kongreß auffordert, Colums Immunität vor Strafverfolgung aufzuheben. Der Vorsitzende der nationalen Handelskammer sprach von einer Bewegung von Bürgern, die Gewalt, Unfähigkeit und Korruption satt haben und Frieden wollen. Der geplante Marsch zum Nationalpalast wurde abgesagt, um Zusammenstöße mit den Anhängern Coloms zu vermeiden.

Unter den Gegendemonstranten sah man vor allem Arbeiter und Bauern, die von den Sozialprogrammen der Regierung profitieren und Colom verteidigen, der die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zurückweist. Vor allem in ländlichen Regionen hat der Präsident eine starke Anhängerschaft, die in der Öffentlichkeit für ihn Partei ergreift. (New York Times 18.05.09)

Colom hat eine rückhaltlose Aufklärung zugesagt, die nicht nur vom Oberstaatsanwalt der Republik, sondern auch der internationalen Kommission gegen die Straffreiheit in Guatemala CICIG durchgeführt werden soll. Zudem wurde auf Wunsch des Präsidenten sogar das FBI eingeschaltet, das bereits einen Agenten nach Guatemala-Stadt entsandt hat. Colom gilt als Befürworter der CICIG, die mit Rückendeckung der UNO die Umtriebe illegaler bewaffneter Gruppen untersuchen und die Justiz bei der strafrechtlichen Verfolgung unterstützen soll. Da selbst schwerste Menschenrechtsverbrechen in Guatemala notorisch straffrei bleiben, haben Menschenrechtsgruppen die Einschaltung einer internationalen Kommission seit langem gefordert. Widerstand kam insbesondere aus Kreisen der Eliten und Unternehmerschaft, die jedoch unter dem Eindruck der jüngsten Affäre zumindest in Teilen und dem Munde nach ebenfalls Ermittlungen der CICIG verlangen. (Neues Deutschland 14.05.09)

Alvaro Colom, der als Kandidat der Mitte-Links-Partei "Nationale Einheit" die Wahl gewonnen hatte, trat sein Amt am 14. Januar 2008 an. Er regiert ein Land, das mit einer Rate von rund 6.000 Morden jährlich im Verhältnis zu seiner Einwohnerzahl von nur 12,3 Millionen zu den gefährlichsten Lateinamerikas gehört. Die allgegenwärtige Gewalt gilt gemeinhin als ein Erbe des Bürgerkriegs (1960-1996), dessen offizielles Ende durch ein Friedensabkommen nichts am Grundkonflikt änderte. Weiterhin herrschen Ausbeutung und Unterdrückung im Land, dessen Bevölkerung überwiegend in tiefem Elend lebt, während die Eliten ihre Privilegien mit Zähnen und Klauen verteidigen. Zunächst waren es vor allem ehemalige Kriegsteilnehmer, die in der Zivilgesellschaft ihr erlerntes Mordhandwerk feilboten. Ihnen folgte eine jüngere und noch skrupellosere Generation, die ihren eigenen Vorteil unter brutaler Ausschaltung aller Hindernisse durchsetzt.

Innenministerium und Bundespolizei bauten Todesschwadrone auf, die zunächst Jugendbanden wie die Mara Salvatrucha mit allen Mitteln niedermachten. Diesen verdeckt operierenden staatlichen Killerkommandos gehören nicht zuletzt Mitglieder evangelikaler Kirchen an, welche die "soziale Säuberung" der Gesellschaft als geheiligte Arbeit ansehen. Zwangsläufig ging der von keiner Instanz kontrollierte Kreuzzug rasch ins Verbrechen über, indem man die Konkurrenz eliminierte und deren Geschäft übernahm. Zudem stehen geheime paramilitärische Gruppen aus Kreisen der Polizei und Armee bereit, die politische Opposition gewaltsam zu unterdrücken. Wenngleich der Bürgerkrieg mehr als ein Jahrzehnt zurückliegt, funktionieren die alten Netzwerke der Repression noch immer wenn es gilt, jeden Ansatz einer sozialen Veränderung im Keim zu ersticken.

Der Wahlkampf um das Präsidentenamt stand im Zeichen brutaler Gewalt, wie man dies selbst in Guatemala nie zuvor bei einem Urnengang erlebt hatte. Sieben Kongreßmitglieder und 20 weitere Menschen starben bei politisch motivierten Anschlägen, in Dutzenden weiteren Fällen kam es zu Angriffen auf Kandidaten und andere Politiker. Diese Eskalation wurde vor allem auf das Drogengeschäft zurückgeführt, das in diesem Transitland zunehmend an Bedeutung und Einfluß gewinnt. Gerade die Armut und weit verbreitete Gewalt machen Guatemala zu einem bevorzugten Operationsfeld des Drogenhandels, der sämtliche politischen Gremien unterwandert haben dürfte.

Die Kandidaten mußten zu ihrem Schutz aufwendige Vorkehrungen treffen, die von gepanzerten Fahrzeugen über Leibwächter bis zu kleinen Privatarmeen reichten. Ziel der meisten Angriffe war Alvaro Colom, der mit dem Hubschrauber von einem Auftritt zum nächsten flog und stets einen Arzt bei sich hatte, der auf die Behandlung von Schußverletzungen spezialisiert war. Auch achtete Colom sorgsam darauf, nicht vergiftet zu werden. Im Jahr zuvor war seine Wagenkolonne sogar mit Granaten und automatischen Waffen beschossen worden, wobei sein Wahlkampfchef schwer verletzt wurde.

Obgleich erstmals seit Ende des Bürgerkriegs ein Militär und ein Zivilist einander in der Stichwahl gegenüberstanden, hielt sich das Interesse der rund sechs Millionen Wahlberechtigten in Grenzen. Hatten beim ersten Urnengang noch 59 Prozent ihre Stimme abgegeben, so beteiligten sich weniger als die Hälfte am zweiten Durchgang, obgleich dessen Ausgang als ungewiß galt. Offenbar konnte auch Colom, der sich bereits zum dritten Mal zur Wahl stellte, mit seinen Vorhaben keine übermäßige Begeisterung wachrufen. Seine Ankündigung, dies sei ein historischer Wechsel, auf den das Land seit mehr als einem halben Jahrhundert gewartet habe, brachte ihn zwar in den Präsidentenpalast, doch geschah das nicht auf einer Woge überschäumender Begeisterung.

Wie vielerorts in lateinamerikanischen Ländern ist auch in Guatemala Großgrundbesitz eine Geißel für die in Armut lebende Mehrheit der Bevölkerung. In den Jahren von 1944 bis 1954 strebten die Reformregierungen der Präsidenten Juan José Arévalo und Jacobo Arbenz eine Umverteilung des Landbesitzes an, bis ein von der CIA organisierter Putsch diesem Vorhaben gewaltsam ein Ende setzte. Noch heute besitzen rund zwei Prozent der Bürger etwa 80 Prozent der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche. Hinzu kommt ein ausgeprägter Rassismus, der dazu führt, daß die indígene Bevölkerungsmehrheit weitgehend vom öffentlichen und wirtschaftlichen Leben ausgeschlossen ist.

Wie fest die traditionellen Eliten im Sattel sitzen, zeigt der Lebenslauf des früheren Machthabers Efraín Ríos Montt, der von 1982 bis 1983 als Diktator regierte und in dieser kurzen Frist die Greuel des Bürgerkriegs auf die Spitze trieb. Er wurde dafür nie zur Rechenschaft gezogen und sah sich noch nicht einmal zum Rückzug aus dem öffentlichen Leben gezwungen. Die Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchú reichte Klage wegen der Menschenrechtsverletzungen während seiner Regierungszeit gegen ihn ein, auf deren Grundlage ein spanischer Richter einen Haftbefehl gegen Ríos Montt ausstellte. Dieser verschaffte sich jedoch wie schon in der Vergangenheit mit einem Sitz im Parlament Immunität und kandidierte sogar bei der Präsidentschaftswahl.

Andere verbringen ihren Lebensabend zwar nicht in der Heimat, aber immerhin geruhsam in einem Komfort, den sie aus den Geldern finanzieren, mit denen sie sich rechtzeitig die Taschen gefüllt haben. So starb General Romeo Lucas García 2006 im Alter von 81 Jahren im venezolanischen Exil, wovon außerhalb Guatemalas kaum jemand Notiz nahm. In seiner Heimat war García Staatschef zu Zeiten des Bürgerkriegs und damit unter anderem mitverantwortlich für eine Belagerung der spanischen Botschaft, bei der 37 Menschen bei lebendigem Leib verbrannten. Spanien unternahm 2005 einen vergeblichen Versuch, den Expräsidenten wegen Menschenrechtsverletzungen ausliefern zu lassen.

Anfang Oktober 2008 wurde der guatemaltekische Expräsident Alfonso Portillo vier Jahre nach seiner Flucht vor einer drohenden Strafverfolgung aus Mexiko in seine Heimat abgeschoben. Nach Aufhebung seiner Immunität in Guatemala hatte sich der unter Korruptionsverdacht stehende Politiker 2004 ins Nachbarland abgesetzt. Ihm wurde unter anderem vorgeworfen, während seiner Amtszeit von 2000 bis 2004 in großem Stil öffentliche Gelder unterschlagen zu haben, deren Betrag auf umgerechnet 15,7 Millionen Dollar beziffert wird.

Wie zahllose andere Präsidenten hatte auch Alfonso Portillo bei seinem Amtsantritt im Jahr 2000 hoch und heilig versprochen, er werde den Stall der Korruption auf höchster Ebene gründlich ausmisten. Statt dessen nutzte er seine Stellung nicht zuletzt dazu, sich und Seinesgleichen skrupellos zu bereichern. Diverse Mitglieder seiner Regierung stehen in Verdacht, Gelder auf geheime Konten in Europa gescheffelt zu haben.

Nachdem Portillo an die Macht gekommen war, wurden alte Machtkomplexe plötzlich wieder aktiv. Einschüchterung, Bedrohung und Ermordung von Gewerkschaftern, Journalisten und Menschenrechtlern nahmen erheblich zu, da die berüchtigten Parallelkräfte das Land wieder fest in ihren brutalen Griff nahmen. Auch vergab Portillo Bergbaulizenzen an ausländische Unternehmen, die vor allem Edelmetalle im landschaftszerstörenden Tagebau fördern. Für nur ein Prozent Gewinnabgabe an Guatemala ließ die Regierung einer Entwicklung freien Lauf, die sich verheerend für die betroffene indígene Bevölkerung auswirkte. So trug Portillos Regierungszeit maßgeblich dazu bei, daß die Lage der Menschenrechte in dem mittelamerikanischen Land als katastrophal gilt.

Auch unter Portillos konservativem Nachfolger Oscar Berger trat keine substantielle Verbesserung dieser Verhältnisse ein. Was sich änderte, war lediglich das Erscheinungsbild Guatemalas, das der neue Staatschef geschickt aufpolierte. Prominente Persönlichkeiten wie die indígene Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchú oder der renommierte Menschenrechtler Frank La Rue erhielten Posten in der Regierung, auf denen sie nichts bewirken konnten, aber Bergers Image enorm nutzten. Dies führte dazu, daß Guatemala trotz seiner verheerenden inneren Verhältnisse problemlos in den UN-Menschenrechtsrat gewählt wurde. Die Regierung unterzeichnete und ratifizierte die wichtigsten internationalen Menschenrechtsabkommen, was für amnesty international und Human Rights Watch ein Hauptkriterium bei der Wahl war. Als die UN-Menschenrechtsbeauftragte Louise Arbour im Mai 2006 Guatemala besuchte, zog sie die verheerende Bilanz, es habe keine signifikanten Fortschritte im Kampf gegen die Straflosigkeit oder beim Ausschalten geheim operierender Gruppen gegeben. Insbesondere Menschenrechtsverteidiger und Angehörige des Justizwesens seien weiter andauernden Bedrohungen, Erpressungsversuchen und manchmal tödlichen Angriffen ausgesetzt.

Wenngleich bis zum Beweis des Gegenteils nicht auszuschließen ist, daß auch Alvaro Colom den Lastern seiner Vorgänger verfallen ist, läßt die aktuelle Konstellation doch eher darauf schließen, daß einflußreiche Kräfte sich seiner entledigen und ihn durch einen Staatschef ersetzen wollen, der als gefügigerer Sachwalter der herrschenden Klassen Guatemalas fungiert.

18. Mai 2009