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LATEINAMERIKA/2245: Venezuela weist inszenierte Bezichtigung aus Bogotá zurück (SB)


Präsident Uribes alte Leier hat eine neue Strophe


Während die südamerikanischen Nachbarländer Venezuela und Kolumbien aufgrund ihrer engen wirtschaftlichen Verflechtungen aufeinander angewiesen sind und aus ökonomischen Gründen kein Interesse an einem dauerhaften Konflikt haben, könnten die Differenzen in politischer Hinsicht kaum größer sein. Der venezolanische Präsident Hugo Chávez macht als Vorreiter des "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" Front gegen die hegemoniale Dominanz der Vereinigten Staaten und setzt sich für eine gesellschaftliche Umgestaltung wie auch einen engeren Zusammenschluß der Länder Lateinamerikas zugunsten einer eigenständigen Entwicklung ein. Sein kolumbianischer Gegenspieler Alvaro Uribe ist der engste und höchstsubventionierte Verbündete Washingtons in Südamerika, subsumiert den Krieg gegen die Guerilla unter den "Antiterrorkampf" der USA und gilt dank seiner Verbindungen zu einflußreichen gesellschaftlichen Fraktionen nicht nur als rechtsgerichteter Staatschef, sondern auch als mächtigster Repräsentant eines Systems von Kriegsherren.

Diese Konstellation führte in der Vergangenheit immer wieder zu Konflikten zwischen den beiden Regierungen, deren langjähriger roter Faden die Bezichtigung von kolumbianischer Seite ist, die venezolanische Führung unterstütze die FARC-Guerilla, um das Nachbarland zu destabilisieren und ihren Einfluß in der Region auszuweiten. Die Kontroverse eskalierte, als Präsident Chávez als Vermittler die Freilassung von Gefangenen aus den Händen der Rebellen erwirkte und sich für Friedensverhandlungen zwischen der Regierung in Bogotá und der Guerilla einsetzte. Damit brachte er Bewegung in den jahrzehntealten Bürgerkrieg, die dessen Ende in greifbare Nähe zu rücken schien. Alvaro Uribe konterte im Verbund mit den USA und ließ ein Lager der FARC in Ecuador angreifen, um mit diesem Gewaltakt die venezolanische Vermittlung auszuhebeln, die Guerilla zu schwächen und international zu diskreditieren wie auch Material für eine dauerhafte Bezichtigung der venezolanischen Regierung sowie jeglicher Unterstützer der Rebellen zu fabrizieren.

Der drohende Krieg zwischen Venezuela und Ecuador auf der einen und Kolumbien auf der anderen Seite konnte dank regionaler Vermittler bemerkenswert rasch abgewendet werden, was für den hohen Entwicklungsstand der Beziehungen zwischen den lateinamerikanischen Staaten spricht, die seit langem keine bewaffneten Konflikte mehr gegeneinander ausgetragen haben. Dennoch schwelten die Spannungen zwischen Caracas und Bogotá weiter, zumal Kolumbien als Bastion US-amerikanischen Einflusses einen permanenten Spalt- und Eskalationsprozeß repräsentiert. Als vor zwei Wochen bekannt wurde, daß die kolumbianische Regierung den US-Militärs Zugang zu drei kolumbianischen Armeestützpunkten gewähren will, sah sich Venezuela gezwungen, diese Provokation und Bedrohungslage nicht widerspruchslos hinzunehmen.

Daß die kolumbianische Führung unablässig die Strategie durchträgt, Präsident Chávez zu einem Helfer der Guerilla zu erklären und Venezuela womöglich unter den Bann zu zwingen, das Land unterstütze den "internationalen Terrorismus" und müsse sanktioniert werden, dokumentiert nun ein aktueller Konflikt aus der Zauberkiste immer neuer Tricks zum alten Thema. Die Rede ist von Raketenwerfern aus schwedischer Produktion, die offenbar bereits in den 1980er Jahren an die venezolanischen Streitkräfte geliefert wurden und bei den FARC-Rebellen gefunden worden sein sollen.

Ganz abgesehen davon, daß sich die kolumbianische Führung mit ihren offensichtlich fabrizierten Beweisen in der Vergangenheit so unglaubwürdig gemacht hat, daß man ihren Angaben grundsätzlich wenig Glauben schenken kann, ergibt die präsentierte Faktenlage keinen Stoff für ein Drama. Sollte es tatsächlich zutreffen, daß diese Waffen vor gut zwanzig Jahren in venezolanische Bestände eingefügt wurden und später auf ungeklärtem Weg zu den kolumbianischen Rebellen gelangt sind, läßt das nicht auf eine Beteiligung der aktuellen Regierung in Caracas schließen. Erstens kann sich der fragliche Vorgang lange vor Amtsantritt von Präsident Hugo Chávez abgespielt haben, und sollte er doch jüngeren Datums sein, heißt das zweitens nicht, daß er mit Wissen von höchster Stelle vonstatten ging.

Nach Version der kolumbianischen Regierung waren bereits im Oktober 2008 in einem Waffenversteck der FARC, das von dem Kommandanten "Jhon 40" angelegt worden sein soll, drei Raketenwerfer aus der Produktion des schwedischen Herstellers Saab Bofors Dynamics entdeckt worden. Es handelt sich dabei um Panzerfäuste zur einmaligen Verwendung, die es an Präzision und Reichweite nicht mit Boden-Luft-Raketen aufnehmen können. Daß die Guerilla jemals derartige Waffen im Gefecht eingesetzt hätte, ist nicht bekannt. [1]

Die Regierung in Stockholm wurde von kolumbianischer Seite diesbezüglich informiert und versuchte daraufhin, zur Aufklärung beizutragen. Die für Waffenexporte zuständige Regierungsbehörde erklärte, die Raketenwerfer seien in den 1980er Jahren an Venezuela verkauft worden. Das schwedische Handelsministerium arbeitet derzeit in dieser Angelegenheit mit der Regierung in Bogotá zusammen und hat auch die venezolanische Führung aufgefordert, Stellung zu nehmen.

Offen bleibt, warum die kolumbianische Regierung erst jetzt mit diesen Angaben herausrückt, wenn der angebliche Fund der Waffen bereits neun Monate zurückliegt. Präsident Uribes jüngste Erklärung trägt keinesfalls zur Aufklärung bei. Wie er kryptisch erklärte, dürfe sein Land den Sachverhalt nicht verschweigen, da die Rebellen solche Waffen andernfalls einsetzen und noch mehr davon bekommen würden, während die internationale Gemeinschaft nichts unternehme, um diesen Geschäften Einhalt zu gebieten.

Venezuelas Außenminister Nicolás Maduro zog den naheliegenden Schluß und verurteilte die Bezichtigung als Teil einer "brutalen Kampagne", deren einziges Ziel es sei, die Präsenz US-amerikanischer Stützpunkte in Kolumbien zu rechtfertigen. Der venezolanische Innen- und Justizminister Tareck El Aissami fügte hinzu, Regierung und Institutionen seines Landes hätten zu keinem Zeitpunkt mit kriminellen oder terroristischen Organisationen gleich welcher Art zusammengearbeitet.

Präsident Hugo Chávez reagierte auf die Verdächtigungen der kolumbianischen Regierung mit dem Abzug seines Botschafters aus Bogotá und dem Einfrieren der diplomatischen Beziehungen zum Nachbarland. Wie er bei einem im Fernsehen übertragenen Treffen mit Beratern zudem bekanntgab, sollten die Handelsbeziehungen so weit wie möglich verringert werden. Er warnte Kolumbien vor weiteren Anschuldigungen und gab Anweisungen, kolumbianische Investitionen und Unternehmen in Venezuela zu überprüfen, die im Falle eines Abbruchs der Beziehungen verstaatlicht werden könnten. [2]

Diese Reaktion der venezolanischen Regierung ist keineswegs überzogen, da die kolumbianische Führung auch im aktuellen Fall versucht, ein international gestütztes Sanktionsregime gegen das Nachbarland zu provozieren. Daß diese Strategie allein auf dem Mist der Kolumbianer gewachsen ist, darf ebenso bezweifelt werden, wie zu befürchten steht, daß sie in europäischen Hauptstädten auf fruchtbaren Boden fallen könnte. Im Kielwasser Washingtons Hugo Chávez und seinen Gesellschaftsentwurf zu diskreditieren, ist bislang allenfalls rhetorisch gelungen, da sich die abgefeuerten Geschosse schwerer Bezichtigung als Blindgänger erwiesen. Dafür zu streiten, daß fabrizierte Beweise, konstruierte Zusammenhänge und inszenierte Affären auch künftig ihre Wirkung verfehlen, sollte nicht allein Sorge der Venezolaner sein.

Anmerkungen:

[1] Rebels Obtained Arms Sold to Venezuela, Colombia Says (27.07.09)
New York Times

[2] Chávez zieht Botschafter aus Kolumbien ab (29.07.09)
http://www.zeit.de/online/2009/31/venezuela-kolumbien-beziehung

29. Juli 2009