Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

LATEINAMERIKA/2264: Paranoia in Peru - Präsident García sieht sich von Feinden umstellt (SB)


Wachsende Repression ruft Widerstand wach


Man sagt Konvertiten nach, sie zeichneten sich nicht selten durch ein besonders strenges, mitunter sogar an Fanatismus grenzendes Bekenntnis zu ihrer neuen Glaubensdoktrin aus. Dem drohenden Höllenschlund rebellischer Jugendsünden entronnen und wie einst Saulus zu Paulus in den Dienst des allein seligmachenden Bekenntnisses rekrutiert, entwickelt auch Perus Präsident Alan García - heute ein selbst in der Weltwirtschaftskrise unerschütterlich strammer Neoliberaler - ausgeprägt repressive Ambitionen, die von paranoiden Rundumschlägen begleitet sind. Der Staatschef sieht sich von Feinden umgeben, allen voran die eigene Bevölkerung.

Als die Ureinwohner des peruanischen Amazonasgebiets gegen die drohende Vernichtung ihrer Existenzgrundlage zu Felde zogen, hielt ihnen der Präsident voller Verachtung entgegen, sie seien keine Bürger erster Klasse und lebten in einem Land, dessen breite Mehrheit den Weg zurück in die Steinzeit ablehne. Als er auf diese Weise das Überlebensinteresse einer vermeintlichen Minderheit für irrelevant erklärte, übersah er allerdings, daß er damit indígene Völker zum Untergang verdammen wollte, obgleich sich die Bevölkerungsmehrheit im Land aus diesen zusammensetzt. Die Regierung versuchte den Widerstand durch Drohung, Drangsalierung und offene Gewalt bis hin zu einem regelrechten Massaker niederzuschlagen, doch scheiterte sie nicht nur an der völlig unterschätzten Kampfbereitschaft vor Ort, sondern auch an einer Welle der Solidarität im Land. Es ist eine kleine hellhäutige Elite, die sich zum Herrn über Millionen Indígenas aufschwingt, deren nicht für möglich gehaltener Widerstand ihr plötzlich vor Augen führt, daß dieses Regime auf tönernen Füßen steht.

In der Absicht, das Aufbegehren zu diffamieren, bezeichnete García die Demonstranten als "Terroristen" und warf sie in einen Topf mit den Guerilleros des "Leuchtendes Pfads". Dieser inhaltlich absurde und politisch durchsichtige Versuch, auf die Karte der Furcht vor einem Wiederaufleben des Bürgerkriegs und die Angst vor einem grausamen Feind im Urwald zu setzen, könnte sich als weiteres Eigentor des Präsidenten erweisen. Vielleicht erinnern sich die Menschen angesichts seiner Tiraden ja wieder daran, daß er in seiner ersten Amtszeit von 1985 bis 1990 politisch verantwortlich für das Wüten der Streitkräfte unter der ländlichen Zivilbevölkerung, ein Massaker an inhaftierten Rebellen und andere Grausamkeiten einer von der Guerilla bedrängten Staatsgewalt war.

Der Versuch, die Geister des Widerstands zu bannen, schlägt mitunter ins Gegenteil um, da Beschwörungen gleich welcher Art nun einmal Aufmerksamkeit erregen. Der "Leuchtende Pfad" zählte in den 1980er und 1990er Jahren zu den bedeutendsten und schlagkräftigsten Guerillaorganisationen Lateinamerikas. Von dieser Bedeutung kann heute keine Rede sein, doch ist die Guerilla keineswegs so tot und begraben, wie dies der Regierung in Lima lieb wäre. Erst kürzlich kam es in der abgelegenen Ortschaft San José de Secce im Süden des Landes zu einem bewaffneten Angriff auf eine Polizeistation, in dessen Verlauf drei Polizisten und zwei Dorfbewohnerinnen starben. Schon Mitte April waren im Südosten mehr als ein Dutzend Soldaten von Kämpfern des "Leuchtenden Pfads" getötet worden, der offensichtlich den bewaffneten Kampf wieder aufgenommen hat und dabei mit beträchtlicher militärischer Effizienz Erfolge erzielt, die Regierung und Streitkräften zu schaffen machen.

Fürchten muß die Regierung auch die Minenarbeiter, seit am 30. Juni 2008 rund 28.000 Bergleute in den Streik traten, um bessere Arbeitsbedingungen, höhere Löhne, Beteiligung an den Profiten der Unternehmen und eine angemessene Altersversorgung zu fordern. Es war bereits der dritte Streik der Minenarbeiter binnen vierzehn Monaten, da die Arbeit unter Tage und das Leben im von Giftstoffen verseuchten Umfeld peruanischer Bergwerke an die mörderischen Verhältnisse frühkapitalistischer Ausbeutung erinnert. Delegationen aller größeren Bergbauregionen des Landes marschierten in die Hauptstadt, wo man sich an den großen Bergarbeiterstreik des Jahres 2004 erinnerte, bei dem die Minenarbeiter die wichtigsten Zufahrtstraßen nach Lima abgeriegelt und damit die Versorgung erheblich beeinträchtigt hatten.

Unter dem neoliberalen Kurs der Regierung leiden nicht nur die Bergarbeiter, sondern auch zahlreiche weitere Sektoren der peruanischen Gesellschaft. In diesem Jahr gingen bereits die Bauarbeiter, Taxifahrer, Ärzte, Lehrer und Studenten auf die Straße, um gegen die steigenden Lebenshaltungskosten zu protestieren und höhere Einkünfte zu fordern. Schon in den Jahren ausgeprägten Wirtschaftswachstums bediente García penibel den Schuldendienst und unterwarf sich allen Auflagen der internationalen Finanzadministration zu Lasten wachsender Kreise der Bevölkerung, die vergebens ihrer Partizipation an den in Aussicht gestellten Segnungen harrten. In den Zeiten der Krise verschärfen sich nun die Lebensverhältnisse dramatisch, weshalb die Peruaner mehrheitlich um so weniger Anlaß haben, ihrem Staatschef Sympathien entgegenzubringen.

Präsident García setzt die Wirtschaftspolitik seiner Vorgänger Alberto Fujimori (1990-2000) und Alejandro Toledo (2001-2006) ungebrochen fort, was ihm ein Freihandelsabkommen mit den USA eintrug, deren Regierung ihn zu ihren wenigen verbliebenen Verbündeten im abspenstigen Lateinamerika zählen kann. Während die Administration in Lima ausländische Investoren hofiert und die Taschen einer Minderheit füllt, wächst der Unmut der Bevölkerung. Da García soziale Unruhen befürchten muß, hebt er zum Rundumschlag an und bezichtigt die Regierungen Venezuelas, Boliviens und Ecuadors, sie schürten Aufstände in seinem Land. Zweifellos ist ihm das Beispiel der Nachbarländer vor Augen, in denen indígene Bewegungen Regierungen gestürzt und wie im Fall von Evo Morales sogar die Präsidentschaft errungen haben. Zugleich wirft er dem bei der Präsidentschaftswahl 2006 nur knapp gescheiterten Ollanta Humala vor, dieser verschwöre sich mit den erklärten Vorbildern Hugo Chávez und Evo Morales gegen Peru.

Präsident Alan García repräsentiert mit seinem neoliberalen Kurs und dem Schulterschluß mit Washington, der expliziten Abkehr vom Streben nach Selbstbestimmung und einer engeren Zusammenarbeit lateinamerikanischer Länder und nicht zuletzt einer Ausgrenzung und massiven Unterdrückung der indígenen Völker die untergehende Epoche repressiver nationaler Eliten, die sich als Vasallen der USA und überstaatlicher strategischer Interessen der Metropolen positionieren. Das zunehmend repressive Regime des Staatschefs und seiner Partei APRA ergreift Zwangsmaßnahmen zur Eindämmung des Widerstands, macht oppositionelle Sender und Zeitungen mundtot und reagiert auf seine bedrängte Lage mit den charakteristischen Instrumenten eines wankenden Machthabers, der seinen gewalttätigen Impetus immer weniger im Zaum halten kann und will.

Vor wenigen Wochen brachte der Präsident ein militärisches Modernisierungsprogramm in Höhe von umgerechnet 480 Millionen Euro auf den Weg. Mit dem Kauf von Kampfflugzeugen für die Luftwaffe, Torpedos und Raketen für die Marine sowie Antipanzersystemen und Schützenwagen für das Heer solle die Professionalisierung der Streitkräfte vorangetrieben werden. García erklärte Bolivien zum natürlichen Feind seines Landes, worauf Außenminister José Antonio Belaunde den Gegner auch in Chile verortete, dem er das Anzetteln eines Rüstungswettlaufs vorwarf. Wenngleich man angesichts der wachsenden Paranoia Präsident Alan Garcías selbst einen militärischen Konflikt mit den Nachbarländern nicht mehr ausschließen kann, deutet dieser Streit mit dem Umfeld doch eher auf die Propagandastrategie hin, den repressiven Kurs im eigenen Land durch eine inszenierte äußere Bedrohung zu rechtfertigen und einen Waffengang gegen aufbegehrende Fraktionen der eigenen Bevölkerung vorzubereiten.

25. August 2009