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LATEINAMERIKA/2290: Argentinisches Mediengesetz schraubt Monopolisierung zurück (SB)


Initiative der Regierung beschneidet Medienmacht der Konzerne


In Argentinien ist ein neues Mediengesetz verabschiedet worden, um dessen Durchsetzung eine heftige Kontroverse entbrannt war. Sowohl die Regierung Präsidentin Cristina Fernández de Kirchners, die den Entwurf eingebracht hatte, als auch ihre Gegner in Kreisen der Politik und Medienwirtschaft nahmen in ihrer Argumentation die Pressefreiheit für sich in Anspruch. Wer die Medien kontrolliert, herrscht über die öffentliche Meinung, die in wesentlichen Teilen ein Produkt dessen ist, was in Fernsehen, Internet, Rundfunk und Printprodukten kommuniziert wird. Daher verbindet sich zwangsläufig die jeweils eigene Interessenlage mit dem Ruf nach freier Meinungsäußerung, die man dem gegnerischen Lager nur bedingt zugestehen möchte. Entscheidend bleibt auch auf diesem Feld die Stärke und inhaltliche Ausrichtung der Akteure in solchen Konflikten, ohne deren Klärung die Debatte über Pressefreiheit nicht nur müßig wäre, sondern sogar zur Verschleierung der Widerspruchslage zu führen drohte.

Wie heftig die Kontroverse geführt wurde, mag man daran ermessen, daß der Senat das Thema mehr als 19 Stunden lang debattierte, ehe der Entwurf schließlich in den frühen Morgenstunden mit 44 gegen 24 Stimmen ohne Änderungen angenommen wurde. Da das Abgeordnetenhaus des Kongresses das Vorhaben bereits gebilligt hatte, konnte die Präsidentin das Gesetzeswerk wenig später unterzeichnen. [1]

Das bislang geltende Mediengesetz stammte noch aus der Diktaturzeit und war vom damaligen Juntachef General Jorge Videla 1980 per Dekret erlassen worden. Es sah vor, daß nur Privatunternehmer Fernsehen und Rundfunk betreiben durften, während dies anderen gesellschaftlichen Gruppen und Institutionen verboten war. Dies führte zu einer Konzentration der Medienmacht in Händen weniger Konzerne, welche die Profite ebenso monopolisierten wie die öffentliche Meinungsbildung. Die Verschränkung der wirtschaftlichen Macht mit einer Kontrolle von Informationsfluß und Deutungshoheit brachte in Argentinien eine Medienlandschaft hervor, wie sie unter US-amerikanischen oder europäischen Kartellgesetzen kaum möglich wäre, sieht man einmal von Berlusconis Italien ab.

In den 1940er und 1950er Jahren gab Roberto Noble die Tageszeitung Clarín heraus, die sich weiter Verbreitung erfreute. Daraus entwickelte sich nicht zuletzt unter Protektion der Militärdiktatur ein Medienkonzern, der heute nicht nur die größte Tageszeitung des Landes und die wichtigsten anderen Printmedien, sondern auch Fernsehkanäle, Radiosender und lokale Stationen im Landesinneren besitzt. Die Gruppe steuert die Kabelanbieter Cablevisión und Multikanal und hat eine starke Internetpräsenz. Von einer öffentlichen Kontrolle des Informationsauftrags, des erlaubten Werbeanteils oder der Sendezeiten kann keine Rede sein. Wenngleich die Familie Noble nach wie vor entscheidenden Einfluß in der Clarín-Gruppe ausübt, sind inzwischen die spanische Telefonica, Goldman Sachs, einige Werbeagenturen und reine Sportsender mit im Boot. [2]

Künftig erhält der staatliche, privatwirtschaftliche und zivilgesellschaftliche Bereich je ein Drittel des Sendevolumens. Dadurch gewinnen einerseits staatliche Fernseh- und Radiosender an Einfluß, während andererseits auch Gewerkschaften, Universitäten, Kooperativen, NGOs und andere gemeinnützige Organisationen ihre eigenen Kanäle betreiben können. Zudem werden Quoten festgelegt, wieviel Sendezeit Radio- und Fernsehstationen für Programme, die von der Regierung finanziert werden, bereitstellen müssen. Geschwächt wird die monopolartige Stellung der Clarín-Gruppe und weniger anderer Konzerne, die daher gegen die Veränderung der Gesetzeslage Sturm liefen. Clarín hat bereits angekündigt, man werde sich der Forderung nicht beugen, binnen eines Jahres einige Sendelizenzen abzugeben, und ziehe es vor, Teile des Konzerns zu Schleuderpreisen abzustoßen.

Das neue Gesetz sieht die Einrichtung einer aus sieben Mitgliedern bestehenden Regulierungskommission vor, von denen fünf von der Regierung bestimmt werden. Da dieses Gremium unter anderem über die Vergabe neuer Lizenzen entscheidet, könnte sich die Regierung im Wettbewerb um Sendeanteile Vorteile gegenüber anderen Interessenten verschaffen. Auch läuft dieses Modell Gefahr, im Falle eines politischen Rechtsrucks eben jenen Kräften in die Hände zu spielen, denen man die alleinige Verfügung über die Medienmacht entreißen möchte. Günstiger wäre wohl eine regierungsunabhängige Kommission, die einen gesellschaftlichen Auftrag zur Schaffung und zum Erhalt einer gewissen Meinungsvielfalt erhält.

Opposition und Medienkonzerne werfen der Regierung vor, sie bringe die Meinungsfreiheit in Gefahr und wolle die öffentliche Meinungsbildung unter ihre Kontrolle bringen. Die Präsidentschaften Néstor Kirchners und Cristina Fernández de Kirchners zeichneten sich durch ein gespanntes Verhältnis zu den führenden Medien aus, die kaum eine Gelegenheit ausließen, über die Staatsführung und insbesondere deren Ansätze einer gesellschaftlichen Umverteilung zugunsten der armen Bevölkerungsschichten herzufallen. Seit über einem Jahr herrscht eine Intimfeindschaft zwischen den Kirchners und der Grupo Clarín, die sich insbesondere an dem Bestreben der Regierung entzündete, durch eine Erhöhung der Exportsteuern für bestimmte landwirtschaftliche Erzeugnisse Ressourcen zur Finanzierung der Sozialpolitik freizusetzen. Die einflußreichsten Medien des Landes trugen maßgeblich dazu bei, den Protest gegen dieses Vorhaben zu schüren und es schließlich zum Scheitern zu bringen. Als Néstor Kirchner im Sommer mit seiner Kandidatur für den Senat scheiterte und die Peronisten schwere Verluste hinnehmen mußten, schien der Triumph über die Politik der Kirchners endgültig besiegelt.

Um so überraschender kam daher der jüngste Erfolg in Gestalt der Verabschiedung des neuen Gesetzes, mit dem sich die Regierung gegen die geballte Medienmacht durchsetzte. Natürlich verdankte er sich zu einem guten Teil dem Umstand, daß eine Reform des Mediengesetzes aus der Diktaturzeit schlichtweg überfällig war, wogegen sich dessen unmittelbare Nutznießer wie die Clarín-Gruppe jedoch sträubten. Dabei kommt den Kirchners das Verdienst zu, die Gesetzeslage nicht nur zu ihren eigenen Gunsten, sondern zugleich zugunsten bislang unterrepräsentierter gesellschaftliche Kräfte verändert zu haben.

Bezeichnenderweise gehen Mainstreammedien wie die "New York Times" auf den monopolartigen Charakter der argentinischen Medienlandschaft unter der bislang herrschenden Gesetzeslage, angesichts dessen die Meinungsfreiheit als massiv eingeschränkt bezeichnet werden muß, allenfalls beiläufig ein, um dann sofort über die Regierung herzufallen, deren Bestreben es sei, demokratische Institutionen und Werte wie die Presse- und Informationsfreiheit zu beschneiden. Dieser durchsichtige Täuschungsversuch folgt dem Muster der Dauerkampagne gegen Präsident Hugo Chávez und die venezolanische Regierung, der man ebenfalls vorwirft, sie schränke die Pressefreiheit mit dem Ziel ein, die Medien unter ihre Kontrolle zu bringen. Daß auch in Venezuela regierungsfeindliche Privatmedien weite Teile des Feldes mit ihrer Propaganda beherrschen, wird dabei gleichsam als Kavaliersdelikt mit einem Nebensatz abgetan oder gar nicht erst erwähnt, um den eklatanten Widerspruch in der krokodilstränengetränkten Klage um die gefährdete Pressefreiheit nicht sofort ins Auge springen zu lassen.

Anmerkungen:

[1] Argentina Enacts Law on Broadcasters (11.10.09)

New York Times

[2] Einschnitt in die Macht der Medienmultis (08.10.09)
Neues Deutschland

12. Oktober 2009