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LATEINAMERIKA/2321: José Mujica wird nächster Präsident Uruguays (SB)


Ehemaliger Tupamaro setzt sich in der Stichwahl durch


Aus der Stichwahl um das Präsidentenamt Uruguays ist der ehemalige Guerillero José Mujica ist Sieger hervorgegangen. Der 74 Jahre alte Kandidat der Linken bezwang seinen konservativen Konkurrenten Luis Lacalle. Nachdem im Vorfeld des zweiten Wahlgangs bereits die drei wichtigsten Umfrageinstitute übereinstimmend einen Erfolg des früheren Tupamaro prognostiziert hatten, bestätigte sich diese Vorhersage beim Urnengang. Auf Mujica entfielen rund 51 Prozent der Stimmen, während Expräsident Luis Lacalle mit nur 44 Prozent deutlich zurücklag. Lacalle räumte umgehend seine Niederlage mit den Worten ein: "José Mujica wird ab 1. März auch unser Präsident sein." Laut Wahlrecht waren 2,6 Millionen Uruguayer verpflichtet, an der Abstimmung teilzunehmen.

Mujica war für das linke Regierungsbündnis Frente Amplio (Breite Front) ins Rennen gegangen und hatte im ersten Wahlgang die erforderliche Mehrheit noch verfehlt. Im Zentrum der Hauptstadt Montevideo erwies er in seiner Siegesrede vor Tausenden jubelnden Anhängern dem unterlegenen Lacalle Respekt. "Heute ist ein Tag der Freude. Aber wir wissen auch, daß es heute Landsleute gibt, die unglücklich sind, und niemand sollte den Fehler begehen, sie zu beleidigen", warnte der 74jährige. "Weder Sieger noch Besiegte", fügte er hinzu. [1]

Mujica tritt die Nachfolge des populären sozialistischen Präsidenten Tabare Vázquez an, der das südamerikanische Land aus dem wirtschaftlichen Abschwung herausgeführt hat. Hatten vor fünf Jahren Hunderttausende auf den Straßen Montevideos den ersten Wahlsieg der Linken in der Geschichte des Landes gefeiert, so bot die nächtliche Hauptstadt auch diesmal dasselbe Bild ausgiebiger Freudenfeiern.

In den frühen sechziger Jahren gehörte Mujica dem Gründungszirkel der Tupamaro-Stadtguerilla an. Er wurde einmal angeschossen, viermal verhaftet, zweimal gelang ihm die Flucht aus einem Hochsicherheitsgefängnis. Vierzehn Jahre verbrachte er hinter Gittern, wobei er während des gesamten Militärregimes von 1973 bis 1985 in Gefangenschaft war, wo er gefoltert und in Isolationshaft gehalten wurde. Zu seiner Vergangenheit als Guerillakämpfer steht Mujica noch heute. Am meisten bereue er, daß es den Tupamaros nicht gelungen sei, die Diktatur mit Fußtritten zu beenden, bekannte er kürzlich. [2]

Nach Ende des Regimes kam auch Mujica frei, worauf er zunächst Abgeordneter, dann Senator und 2005 Landwirtschaftsminister wurde. Im selben Jahr heiratete er die neun Jahre jüngere Lucía Topolansky, die ebenfalls den Tupamaros angehört und im Gefängnis gesessen hatte. Sie ist heute Senatorin der größten Linksfraktion innerhalb der regierenden Breiten Front.

Mujica definiert sich als "libertären Sozialisten" und sieht es als größte Verpflichtung an, die Kluft zwischen Arm und Reich zu verringern. Uruguay mit seinen nur dreieinhalb Millionen Einwohnern war einst das Land mit der ausgeglichensten Verteilung des Reichtums in ganz Lateinamerika. In den zurückliegenden drei Jahrzehnten kam es jedoch unter der Diktatur und den neoliberalen Regierungen zu enormen Rückschlägen auf diesem Gebiet, welche die Ungleichheit vertieften und die sozialen Verwerfungen steigerten.

Wenngleich Mujica viel für selbstverwaltete Fabriken übrig hat, ist er heute kein Linker im klassischen Sinn mehr. Er gibt sich überzeugt, daß der Kapitalismus so gut wie möglich funktionieren sollte, und hat als Garanten für eine konservative Wirtschaftspolitik, die ausländische Investoren ins Land locken soll, mit dem früheren Wirtschaftsminister Danilo Astori einen rechten Sozialdemokraten zu seinem Stellvertreter gemacht.

Einen Disput mit katholischen Bischöfen wenige Tage vor der Wahl hat Mujica offensichtlich problemlos überstanden. Anders als Präsident Tabaré Vázquez will er gegen Gesetze zur Liberalisierung des Schwangerschaftsabbruchs kein Veto einlegen.

In beträchtlich größerem Maße als sein Vorgänger Vázquez ist Mujica ein engagierter Verfechter der Integration Lateinamerikas. Er ist davon überzeugt, daß diese Weltregion zu einer neokolonialen Rolle verdammt sei, sofern es ihr nicht gelingt, sich zusammenzuschließen. Er kündigte an, in einem ersten Schritt zur Verbesserung der nachbarschaftlichen Beziehungen zu Argentinien die Kontroverse um ein Zellstoffwerk an der Grenze beizulegen.

Anmerkungen:

[1] Ex-Guerilla-Kämpfer gewinnt Präsidentenwahl (30.11.09)
http://www.zeit.de/politik/ausland/2009-11/uruguay-wahl

[2] Mit Mate-Tee und Geduld. José "Pepe" Mujica wird nächster Präsident Uruguays (30.11.09)
http://www.domradio.de/aktuell/artikel_59045.html

30. November 2009