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LATEINAMERIKA/2333: Washington und Bogotá schüren Kriegsgefahr (SB)


Verstärkte US-Präsenz in Kolumbien im Zeichen des "Antiterrorkampfs"


"Verhindern wir, daß ganz Kolumbien in eine Militärbasis des Imperiums verwandelt und der Krieg zum Modus vivendi unserer Gesellschaft wird, weil die Oligarchie davon besessen ist, um jeden Preis strukturelle Veränderungen im Interesse der Mehrheiten zu vereiteln", heißt es in einer im Internet verbreiteten Erklärung der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) zum neuen Jahr. Die Rebellen werfen der Regierung Präsident Álvaro Uribes in Bogotá vor, das Land in ein "Trampolin" zum Überfall auf benachbarte Staaten zu verwandeln. [1]

Die kolumbianische Führung hat mit ihrer Entscheidung, den Streitkräften der Vereinigten Staaten die Nutzung von sieben Militärstützpunkten zu überlassen, die strategische Situation in Südamerika dramatisch verändert. Das im November zwischen Bogotá und Washington unterzeichnete Abkommen stieß in der Region auf nahezu einhellige Ablehnung, da die deutlich verstärkte US-amerikanische Präsenz zutreffend als Bedrohung gewertet wird. Die entschiedensten Einwände wurden von Venezuela ins Feld geführt, dessen Regierung darauf hinwies, daß US-amerikanische Truppen künftig binnen weniger Minuten venezolanisches Territorium erreichen können. [2]

Schon unter Präsident George W. Bush hatte die Reaktivierung der 4. US-Flotte für den Einsatz vor der Küste Südamerikas und in der Karibik deutliche Zeichen erhöhter Kriegsgefahr gesetzt. Obgleich von Washington mit absurden Behauptungen zu einer humanitären Einsatzgruppe heruntergespielt, repräsentiert dieser Flottenverband eine hochmoderne Interventionstruppe mit Hubschrauberträgern, Landeeinheiten und Booten für das Befahren von Flüssen. Unmittelbar bedroht ist wiederum Venezuela, doch übte auch die brasilianische Regierung harsche Kritik, die ihre Ölvorkommen vor der Küste wie auch das Amazonasgebiet mit seinen reichhaltigen Ressourcen im Visier US-amerikanischer Zugriffsgelüste sieht. Diese Befürchtung ist keineswegs übertrieben, da man den Anspruch Washingtons, sich im Interesse der nationalen Sicherheit der Energieträger, Nahrungsmittel und Biodiversität dieser Weltregion zu bemächtigen, in strategischen Positionspapieren jederzeit nachlesen kann.

Unter Präsident Barack Obama haben die USA diesen Kurs nicht zurückgefahren, sondern im Gegenteil mit den kolumbianischen Stützpunkten weiter verschärft. Einem Bericht der britischen BBC zufolge hat die Regierung in Bogotá zudem die Errichtung eines neuen Militärstützpunkts mit bis zu 1000 Soldaten in La Guajira an der Grenze zu Venezuela angekündigt sowie sechs neue Luftlandebataillone in Dienst gestellt. Mit ihren mittlerweile 120 Kampfhubschraubern, bei denen es sich größtenteils um Maschinen des Typs Blackhawk handelt, sind die Luftstreitkräfte der kolumbianischen Armee die schlagkräftigsten und erfahrensten ihrer Art in Lateinamerika.

Während sich die Streitkräfte Kolumbiens in der Vergangenheit vor allem auf den Kampf gegen die Guerillakräfte im eigenen Land konzentriert haben, zeugte bereits der Angriff auf das Lager der FARC in Ecuador am 1. März 2008 auf eine erweiterte Strategie, die Rebellen auch in Nachbarländern zu bekämpfen und Angriffe auf diese Staaten zu Operationen gegen Aufständische zu erklären. Hieran läßt sich natürlich die Handschrift Washingtons ablesen, dessen engster Verbündeter in Südamerika Präsident Uribe ist, der sich dem sogenannten Antiterrorkrieg rückhaltlos angeschlossen hat.

Daher muß die Beteuerung, die neuen US-Stützpunkte dienten ausschließlich Operationen gegen Drogenhändler und Guerilleros, von den Nachbarländern als unverhohlene Drohung aufgefaßt werden, der Unterstützung des Terrorismus' bezichtigt und unter diesem Vorwand angegriffen zu werden, sobald es der US-Administration und deren Statthalter in Bogotá geboten und günstig erscheint. Zuletzt wurden die kolumbianischen Truppen an der Grenze zu Venezuela mit der Begründung verstärkt, man wolle den Kampf gegen die Guerilla nach der Entführung und Ermordung des Gouverneurs von Caquetá, Luis Francisco Cuéllar, verstärken, wofür Präsident Uribe die FARC verantwortlich macht.

Nun hat die venezolanische Regierung eine Infanterie- und eine Panzerbrigade an die Grenze zu Kolumbien verlegt. Präsident Hugo Chávez wies Vorwürfe aus dem Nachbarland zurück, wonach kolumbianische Rebellen Lager auf dem Territorium Venezuelas unterhalten. Man erlaube keiner Gruppierung, sich illegal im Land aufzuhalten, gleich ob es sich um Drogenhändler, Guerilleros oder Paramilitärs handle, betonte der Staatschef. Zugleich warf er der Regierung in Bogotá vor, seit Wochen einen verbalen Krieg gegen sein Land zu führen, der einen Angriff der kolumbianischen Armee auf venezolanisches Gebiet vorbereiten solle. Chávez zog die naheliegende Parallele zum Überfall auf das Lager der FARC in Ecuador und warnte, daß Kolumbien eine derartige Operation erneut mit gefälschten Beweisen rechtfertigen werde.

Da lateinamerikanische Staaten seit Jahrzehnten keine Kriege mehr gegeneinander geführt haben und die Nachbarländer Venezuela und Kolumbien wirtschaftlich eng miteinander verflochten sind, galt ein mit militärischen Mitteln ausgetragener Konflikt trotz aller Streitigkeiten und Drohgebärden bislang als sehr unwahrscheinlich, wenn nicht gar ausgeschlossen. Das hat sich unter dem Druck der USA und dem damit korrespondierenden Aggressionspotential der kolumbianischen Regierung inzwischen in einem Maße geändert, daß die Beziehungen zwischen beiden Ländern nicht nur auf einen Tiefpunkt gesunken sind, sondern ein Krieg tatsächlich nicht mehr auszuschließen ist.

Angesichts der beiderseitigen Truppenkonzentration im Grenzgebiet und der dort vermuteten Präsenz von bis zu 2.000 Rebellen wächst die Gefahr eines Zwischenfalls, der die befürchtete Eskalation auslöst. Wie von Chávez angesprochen, der seine Landsleute und Streitkräfte vor einem möglichen Krieg gewarnt hat und einige grenzüberquerende Brücken sprengen ließ, droht insbesondere eine Intervention ähnlich der in Ecuador, die in Zusammenarbeit US-amerikanischer und kolumbianischer Streitkräfte und Geheimdienste geplant und durchgeführt wurde und der Weltöffentlichkeit eine gerechtfertigte polizeiähnliche Operation gegen zu "Terroristen" erklärte Guerilleros vorgaukelte.

Anmerkungen:

[1] Säbelrasseln an der Grenze (30.12.09)

junge Welt

[2] Die Gegenoffensive beginnt (02.01.2010)

junge Welt

4. Januar 2010