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LATEINAMERIKA/2343: Evo Morales für eine zweite Amtszeit vereidigt (SB)


Nach fünf erfolgreichen Jahren ausgezeichnet positioniert


In der bolivianischen Hauptstadt La Paz ist Präsident Evo Morales für eine zweite Amtszeit vereidigt worden. Er schwor "für das Land und das Volk" zu regieren, ehe er die präsidiale Schärpe und Medaille entgegennahm. An der Zeremonie nahmen Venezuelas Staatschef Hugo Chávez, seine Amtskollegen aus Ecuador und Paraguay, Rafael Correa und Fernando Lugo, sowie die scheidende chilenische Präsidentin Michelle Bachelet teil. Wie Chávez hervorhob, sei die Wiederwahl ein Beispiel dafür, daß die lateinamerikanische Bevölkerung aus "langer neoliberaler Nacht" aufwache. [1] An diesen 22. Januar werde man sich als den Tag erinnern, an dem der plurinationale Staat mit einer neuen Vision gegründet wurde", erklärte Arbeitsminister Calixto Chipana. [2]

Am Vorabend hatte sich der erste bolivianische Präsident indianischer Abstammung in einer Zeremonie in der Ruinenstätte Tiwanaku zum spirituellen Führer der Ureinwohner weihen lassen. "Brüder und Schwestern, heute habe ich die Ehre, euch mitzuteilen, daß die Zeiten eines bettelnden und unwürdigen Bolivien vorbei sind", erklärte Evo Morales feierlich. In Quechua, Aymara und Spanisch wandte er sich an die gut 40.000 geladenen Staatsgäste und Vertreter sozialer Bewegungen aus aller Welt: "Die Völker der Welt immer aufrecht, nie auf den Knien vor dem Kapitalismus." [3]

Anfang Dezember war der 50 Jahre alte Evo Morales mit 64 Prozent der abgegebenen Stimmen für weitere fünf Jahre an die Spitze des Andenstaats gewählt worden. Zudem gelang es seiner Partei Bewegung zum Sozialismus (MAS), in beiden Kammern des Parlaments die absolute Mehrheit zu erringen. Der konservative Kandidat der Opposition, Manfred Reyes Villa, hatte sich nach der Niederlage bei der Präsidentschaftswahl in die USA abgesetzt, da ihm in Bolivien wegen mutmaßlicher Steuerflucht und Wahlbetrugs Strafverfolgung droht. Villa selbst bezeichnet sich wie nicht anders zu erwarten als Opfer politischer Verfolgung, womit er sich in seinem Exil politischen Rückhalt erwirtschaften könnte. Präsident Morales hat immer wieder harsche Kritik an der US-Regierung geübt und die Zusammenarbeit mit deren Antidrogenbehörde und Propagandafonds aufgekündigt.

Gegner der Regierung wetterten gegen die "plumpe indígene Symbolik" und verlangten, daß man endlich "anfangen müsse zu regieren und zu arbeiten", als hätten Evo Morales und seine Administration nicht gerade dies vier Jahre lang außerordentlich erfolgreich praktiziert. Morales hat nach dem Wahlsieg vom Dezember 2005 seine Versprechen gehalten. Mit einem Präsidialdekret nationalisierte er im Mai 2006 die Produktion von Gas und Öl. Verglichen mit 2004 verdreifachten sich die Steuern multinationaler Energiekonzerne, und die Regierung handelte wesentlich günstigere Förderverträge aus. Die Staatseinnahmen stiegen in den letzten vier Jahren um 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, und die bolivianische Wirtschaft legte auch im internationalen Vergleich zu.

So gehört ausgerechnet der arme Andenstaat Bolivien zu jenen Ländern, welche die weltweite Systemkrise des Kapitalismus bislang am besten zu überstehen scheinen. Nach Angaben des Internationalen Währungsfonds lag das Wirtschaftswachstum im Krisenjahr 2009 mit 2,8 Prozent höher als in jedem anderen Land Südamerikas. Augenscheinlich hatten erhöhte Investitionen in die Infrastruktur, eine beschleunigte Industrialisierung und insbesondere die Umverteilung von oben nach unten Früchte getragen. Die extreme Armut konnte um 15 Prozent verringert werden, Sozialprogramme wie die Rente für alle alten Menschen oder das Mutter- und Schulgeld brachten den armen Teilen der Bevölkerung eine spürbare Entlastung, die sich wiederum in einer steigenden Nachfrage auf dem Binnenmarkt niederschlug.

Nicht zuletzt gelang es der Regierung, die aggressive Gegnerschaft in den wohlhabenden Provinzen des südöstlichen Tieflands in die Schranken zu weisen und deren sezessionistischen Drohungen ein Ende zu machen. Gegen den erbitterten Widerstand der Agrar- und Wirtschaftsoligarchie wurde der Entwurf einer Verfassung zur "Neugründung Boliviens" im Konvent durchgesetzt und im Januar 2009 mit einem Volksentscheid ratifiziert.

Anmerkungen:

[1] Morales für zweite Amtszeit vereidigt. Bolivianischer Präsident dehnt seine Macht kontinuierlich aus (22.01.10)
NZZ Online

[2] Bereit für Runde zwei. Boliviens Präsident Morales in La Paz für fünf weitere Regierungsjahre vereidigt. Linkskräfte können auf eine erfolgreiche erste Amtsperiode zurückblicken (23.01.10)
junge Welt

[3] "Wir mussten 180 Jahre warten, um Bolivien neu zu gründen" (23.01.10)
Neues Deutschland

23. Januar 2010