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LATEINAMERIKA/2344: Haiti unter dem Regime der US-Streitkräfte (SB)


US-Oberbefehlshaber de facto die höchste Gewalt im Land


Die Naturkatastrophe einer Serie schwerer Erdbeben, deren Ende nicht abzusehen ist, verwandelt Haiti endgültig in einen Spielball administrativer Verfügungsgewalt, die unter dem Deckmantel humanitärer Hilfe das Labor der Verwaltung in tiefstes Elend und unabwendbare Abhängigkeit getriebener Menschenmassen perfektioniert. So eklatant ist das Mißverhältnis zwischen den unter beispiellosem Getöse in Stellung gebrachten Interventionsmechanismen und dem weitgehenden Ausbleiben umfassender Unterstützung für die notleidende Bevölkerung, daß eine wachsende Zahl internationaler Experten, die an dem Anspruch effektiver Katastrophenhilfe festhalten, heftige Kritik an der Funktionalisierung der Tragödie üben.

So hält der Leiter des italienischen Katastrophenschutzes die internationale Hilfe in Haiti für gescheitert. Guido Bertolaso, der für seine Leitung der Hilfsmaßnahmen nach dem Erdbeben in den Abruzzen im Jahr 2009 allseits gelobt worden war, bezeichnete im Sender RAI insbesondere den militarisierten Ansatz der USA als ineffektiv, da er an den Bedürfnissen der Menschen vorbeigehe. [1] Er charakterisierte die US-amerikanische Militäroperation als eine eindrucksvolle Schau der Macht und verglich sie mit der desaströsen Reaktion auf den Hurrikan Katrina in New Orleans. Sie habe nichts mit der Realität der Haitianer zu tun, da sie weder Kontakt mit dem Land aufnehme, noch in Verbindung mit den internationalen Organisationen und Hilfsgruppen stehe.

Mit einer chaotischen Situation konfrontiert, neigten die USA dazu, einer militärischen Intervention den Zuschlag zu geben, statt Katastrophenhilfe zu leisten, die man den Streitkräften nicht anvertrauen dürfe. Was fehle, sei eine zivile Leitung und Koordination der Kapazitäten, die über militärische Disziplin hinausgeht.

Haiti befinde sich in einer schrecklichen Situation, mit der man wesentlich besser umgehen könnte. Statt dessen löse die Notlage eine Parade der Eitelkeiten aus. Vielen Leuten gehe es vor allem darum zu zeigen, wie groß und bedeutend ihr Land sei, indem es Solidarität bekundet. Organisationen wie die UNO hätten das Bedürfnis, vor den Fernsehkameras eine gute Figur zu machen, statt sich auf das zu konzentrieren, was sich unter den Trümmern befindet. In diesem Zusammenhang hob er besonders den Auftritt des früheren US-Präsidenten und derzeitigen UNO-Sondergesandten für Haiti, Bill Clinton hervor, der eine große Show aus der Verteilung von Wasser gemacht habe, aber am nächsten Tag schon wieder heimgereist sei. [2]

Mit dem Eindruck, daß es den Vereinigten Staaten nicht darum geht, Haiti zu helfen, sondern das Land zu besetzen, steht Bertolaso nicht allein. Inzwischen sind fast 20.000 US-Soldaten stationiert, die insbesondere den Flughafen und andere strategisch wichtige Einrichtungen besetzt halten, während mehrere Kriegsschiffe vor Anker gegangen sind und die Häfen kontrollieren. Immer wieder beklagen sich Hilfsorganisationen, daß ihr Nachschub unterbrochen wird, weil das US-Militär absoluten Vorrang hat.

Außenministerin Hillary Clinton hat jedoch alle Vorwürfe brüsk zurückgewiesen und behauptet, ihr Land führe die "außerordentlich engagierten und effektiven internationalen Bemühungen an, die ohne zusätzliche militärische Unterstützung nicht erfolgreich sein können". Wie zum Beweis nannte sie die Ankunft eines Hospitalschiffs der Marine mit 1.000 Betten, wobei sie zu erwähnen vergaß, daß die "USNS Comfort" erst acht Tage nach dem schweren Erdbeben eintraf, als bereits Zehntausende Haitianer mangels medizinischer Versorgung gestorben waren.

Offensichtlich geht es der US-Administration in erster Linie darum, mögliche Unruhen im Keim zu ersticken, einen Flüchtlingsstrom in die USA zu verhindern, die Regierung Prévals zu stützen und eine langfristige Präsenz vorzubereiten. Obgleich nicht im mindesten davon die Rede sein kann, daß die Suche nach Überlebenden und die Versorgung der Bevölkerung mit Trinkwasser, Nahrung, Medikamenten und Unterkunft gesichert ist, haben die USA bereits die zweite Stufe der Intervention in Gestalt des Wiederaufbaus ausgerufen.

Nach Angaben der haitianischen Regierung sind mehr als 150.000 Todesopfer bestätigt, wobei man davon ausgehen muß, daß in der Hauptstadt und insbesondere in entfernter liegenden Gebieten noch Zehntausende Tote liegen, die man noch nicht gefunden hat. Wieviele Menschen mit Verletzungen überlebt haben, vermag niemand zu sagen. Schätzungen der UNO zufolge sind bis zu 1,5 Millionen Haitianer obdachlos geworden, wobei bislang rund 235.000 auf das Angebot eingegangen sind, sich kostenlos in andere Landesteile transportieren zu lassen.

Während die Bevölkerung von Präsident Réne Préval so gut wie nichts zu sehen und hören bekommen hat, beherrschen die US-Militärs in einem Maße das Feld, daß das US-Magazin Time den Oberbefehlshaber im Land, Generalleutnant Ken Keen, als "De-facto-König von Haiti" bezeichnet hat. [3] Die US-Streitkräfte sind an die Stelle der haitianischen Regierung getreten, ohne dazu von wem auch immer ermächtigt worden zu sein oder wenigsten die damit verbundenen Aufgaben bestmöglich zu übernehmen.

Bereits Monate vor dem Erdbeben hatte der UNO-Sondergesandte Bill Clinton den Plan vorangetrieben, ausländische Investoren nach Haiti zu holen, um das Armenhaus als absolutes Billiglohnland auszubeuten. Sieht man einmal von den im Land vermuteten Erdölvorkommen ab, die sich die USA angeblich als Notreserve sichern wollen, ist die extrem niedrig entlohnte Arbeitskraft die einzig relevante ökonomische Komponente, die sich in diesem ausgeplünderten Land verwerten läßt. Clinton holte 500 Geschäftsleute aus mehreren Ländern nach Port-au-Prince, wo man über Produktionsmöglichkeiten insbesondere in der Textilsparte beriet. Auf diese Initiative berief sich Außenministerin Hillary Clinton, als sie zur Konferenz nach Montreal reiste, wo die Zukunft Haitis verhandelt wurde.

Basierend auf dem zynischen Kalkül, daß Haitis tiefe Armut sein wichtigstes Kapital im Kontext kapitalistischer Verwertung sei, unterstützt die UNO das Vorhaben, Sonderzonen einzurichten, in denen Sweatshops ihren ausgebeuteten Arbeitskräften Hungerlöhne bezahlen. Sklavenähnliche Arbeitsverhältnisse werden den Hunger der Haitianer nicht stillen, wohl aber die Taschen einheimischer Eliten füllen und für Profite ausländischer Unternehmen sorgen, die in dem karibischen Armenhaus Textilien und andere Waren fertigen und zollfrei ausführen lassen.

Hinzu kommt die sogenannte "Dezentralisierung" in Gestalt eines monströsen Umsiedelungsprojekts, das die Bevölkerung der Hauptstadt verringern und insbesondere die Elendsquartiere reduzieren soll. Natürlich läuft das nicht auf bessere Wohnverhältnisse für alle hinaus, sondern dient der Zerschlagung gewachsener Strukturen, die Potentiale des Widerstands darstellen. Wo die umgesiedelten Menschen unterkommen, ist völlig ungewiß, weshalb man mit einer massenhaften und langfristigen Unterbringung in Lagern rechnen muß.

Anmerkungen:

[1] Katastrophenschutzexperte. Internationale Hilfe für Haiti gescheitert (25.01.10)
http://derstandard.at/1263705872663/Katastrophenschutzexperte- Internationale-Hilfe-fuer-Haiti-gescheitert

[2] Criticism mounts over US response to Haiti disaster (26.01.10)
World Socialist Web Site

[3] "Reconstructing Haiti" on starvation wages (26.01.10)
World Socialist Web Site

26. Januar 2010