Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

LATEINAMERIKA/2349: Ausbeuter Haitis werden nie zur Rechenschaft gezogen (SB)


Schweizer Gericht stoppt Zahlung der Duvalier-Millionen an Haiti


Nachdem die Spanier im Jahr 1697 das westliche Drittel der Karibikinsel Hispañola an die Franzosen abgetreten hatten, profitierten diese von der Ausbeutung der dort geschundenen Sklaven, die das Erblühen der reichsten französischen Kolonie, die in Kreisen der Kolonialherren "Perle der Antillen" genannt wurde, mit ihrem Leben bezahlten. Der Nationalheld Toussaint L'Ouverture schlug mit einem Haufen schlecht bewaffneter Bauern und Sklaven die von Napoleon Bonaparte entsandte französische Armee und schüttelte das Kolonialjoch ab. Am 1. Januar 1804 wurde auf der Insel die erste unabhängige Republik von Schwarzen und Mulatten ausgerufen: Haiti.

Die junge Republik mußte jedoch ab Ende der 1820er Jahre 150 Millionen Francs an Frankreichs König Charles X. zahlen, um als Staat anerkannt und nicht von einem weiteren französischen Expeditionsheer überfallen zu werden. Von dieser immensen Auslandsverschuldung erholte sich die Wirtschaft Haitis nie, dessen Entwicklung dadurch entscheidend gehemmt wurde. Führend bei der Unterwerfung des Landes waren neben Frankreich die Vereinigten Staaten, die eine internationale Blockade der Republik anführten, da sie ein Übergreifen der Sklavenbefreiung auf ihr eigenes Territorium befürchteten.

Im Jahr 2004 stellte der damalige Präsident Jean-Bertrand Aristide der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich den Gegenwert der ursprünglichen Zwangsverschuldung mit 22 Milliarden Dollar in Rechnung, doch war ihm bei dem Versuch, die Profiteure der Kolonialherrschaft für die Behebung der Folgen finanziell zur Rechenschaft zu ziehen, kein Erfolg beschieden. Das Gegenteil war der Fall, da die USA Hunderte Millionen Dollar an zugesagten Krediten und Hilfsgeldern einfroren und damit die von Aristide geplanten Sozialreformen und Infrastrukturmaßnahmen sabotierten.

Wie erst jetzt bekannt wurde, hat ein Schweizer Gericht am 12. Januar und damit dem Tag des verheerenden Erdbebens in Haiti entschieden, daß das eingefrorene Vermögen des ehemaligen Diktators Jean-Claude "Baby Doc" Duvalier nicht in sein zerstörtes Heimatland zurückfließt. Das auf einem Schweizer Bankkonto seit 1986 blockierte Geld sollte an den verarmten Karibikstaat überwiesen werden. Das oberste Schweizer Bundesgericht gelangte jedoch zu der Auffassung, daß die Straftaten, die Duvalier vorgeworfen werden, verjährt sind. Daher könne die Schweiz Haiti keine Rechtshilfe leisten. Daraufhin blockierte die Schweizer Regierung die 4,6 Millionen US-Dollar erneut, die zwischenzeitlich im Prinzip freigegeben worden waren. [1]

Die zuvor ergangene Entscheidung des Bundesamts für Justiz, das Vermögen zum Wohle der haitianischen Bevölkerung zu verwenden, war von Mitgliedern des Duvalier-Clans angefochten worden. Wie das Bundesgericht befand, gebe es für die Rückgabe an das Volk keine Rechtsgrundlage. Die Bildung einer kriminellen Organisation, die man Duvalier vorgeworfen hat, verjährt nach schweizerischem Strafrecht nach 15 Jahren, so daß vom Sturz des Diktators im Jahr 1986 an gerechnet die Verjährung 2001 eintrat. Aus diesem Grund hat das Bundesgericht das Rechtshilfegesuch Haitis aus dem Jahr 2008 abgelehnt. Zwar verjähren andere Straftaten wie Mord erst nach 30 Jahren, doch waren die Richter der Auffassung, daß das von den Duvaliers angehäufte Vermögen nicht durch Mord und Körperverletzung, sondern durch Unterschlagung erzielt worden ist.

Da das Bundesgericht offengelassen hatte, ob das Geld womöglich sogar den Duvaliers erstattet werden muß, sprang der Bundesrat in Bern mit dem Beschluß in die Bresche, daß dies nicht geschehen dürfe. Dafür muß allerdings zunächst die Rechtsgrundlage geändert werden, um das Geld beschlagnahmen und eine Auszahlung an Angehörige blockieren zu können. Wie das Außenministerium zur Begründung anführte, wolle die Regierung verhindern, daß der Finanzplatz Schweiz als Fluchtort für unrechtmäßig erworbene Vermögenswerte dient.

Jean-Claude Duvalier, der im Jahr 1971 von seinem Vater die Gewaltherrschaft über Haiti übernommen hatte, soll mehr als hundert Millionen Dollar staatliche Gelder veruntreut haben. Nach seinem Sturz 1986 wandte sich Haiti mit einem Rechtshilfeersuchen an die Schweiz, worauf dort die Konten Duvaliers mit einem Wert von rund 5,1 Millionen Euro eingefroren wurden. Weil gegen den früheren Diktator nach Angaben des Gerichts kein Strafverfahren vorlag, wurde die Herausgabe 1991 und 2002 abgelehnt. Nachdem Haiti 2008 ein neues Rechtshilfeersuchen gestellt hatte, ordnete das Justizministerium in Bern im Februar 2009 die Herausgabe des Vermögens an. Diesen Beschluß hat das Gericht nun aufgehoben. Bei der aktuellen Gerichtsentscheidung ging es um 3,3 Millionen Euro, die von Duvaliers Mutter Simone in der Schweiz deponiert wurden. [2]

Medienberichten zufolge hatte der mittlerweile 58jährige "Baby-Doc" Duvalier kurz nach dem Erdbeben in Haiti angeboten, das Geld für die Erdbebenopfer zur Verfügung zu stellen. In Frankreich, wo der ehemalige Diktator im Pariser Exil lebt, sorgte dies für einen Aufschrei der Entrüstung in den Medien, da man ihm wegen dieser Ankündigung Zynismus vorwarf. [3]

Da der Duvalier-Clan seine haitianischen Landsleute mit Wissen und Duldung der USA, die in der Diktatur ein Bollwerk gegen Kommunismus und Revolution sahen, 30 Jahre lang drangsaliert und ausgeplündert hat, könnte man die angekündigte Geldrückgabe des jüngeren Duvalier auf den ersten Blick als eine Art späte Buße interpretieren. Weil der einstige Lebemann jedoch heute in einem Armenviertel lebt und keinen Zugriff auf die von ihm seinerzeit im Ausland deponierten Gelder hat, muß man hingegen davon ausgehen, daß er sich lediglich einen generösen Anstrich geben will, um die Vergangenheit vergessen zu machen.

Wieviel Jean-Claude Duvalier auf die Seite gebracht hat, ist nur ansatzweise bekannt. Rund 120 Millionen Dollar sollen es auf jeden Fall gewesen sein, wobei manche Schätzungen sogar von bis zu 900 Millionen Dollar ausgehen, die bei ausländischen Banken deponiert wurden. Soweit bekannt, besaß "Baby Doc" Konten in der Schweiz, in Steueroasen wie Luxemburg, den britischen Inseln sowie in den USA. Auch war das Privatvermögen der Duvaliers in exklusiven Immobilien angelegt: Sie besaßen ein Appartement an der Pariser Nobelmeile Avenue Foch, Wohnungen in Neuilly und dem vornehmen 16. Arrondissement der französischen Hauptstadt, eine Wohnung im New Yorker Trump-Tower wie an der Fifth Avenue und zudem eine Luxus-Yacht in Miami.

Viele Millionen hat Duvalier im Zuge seiner luxuriösen Lebensführung im Exil verpulvert, wobei auch diesbezüglich die exakte Größenordnung ungewiß ist. Nachdem er sich im Februar 1986 an Bord eines US-Militärjets aus Haiti abgesetzt hatte, fand er mit seiner Frau und den beiden Kindern in Frankreich Zuflucht. Wenngleich die Flüchtlinge keine Aufenthaltsgenehmigung besaßen, bewahrte sie ihr Vermögen nicht nur vor einem gehetzten Immigrantenschicksal, sondern erlaubte ihnen etliche Jahre lang einen höchst gepflegten Lebensstil. Zunächst wurden die Duvaliers angewiesen, sich im Departement Alpes-Maritimes einen Wohnsitz zu wählen, wozu sich bald ein Landsitz bei Saint Vallier-de-Thiey unweit der Riviera gesellte, wo man eine Zehnzimmervilla mit Tennisplatz und Swimmingpool bewohnte. [4]

Nach einigen überaus verschwenderischen Jahren an der Mittelmeerküste ließ sich Ehefrau Michelle von ihrem Mann scheiden und zog mit einem beträchtlichen Teil der Beute von dannen. Mit "Baby Doc" ging es nun bergab, da die französischen Behörden 120 Millionen Dollar beschlagnahmten. Duvalier mußte sich von luxuriösen Immobilien wie einem Schloß trennen, Personal entlassen und unbezahlte Rechnungen hinterlassen, bis er schließlich bei seinem Sohn in Paris unterkam. Nach Angaben des französischen Fernsehens lebt er heute in bescheidenen Verhältnissen im Pariser Osten.

Wie immer in der Geschichte der seit ihrer Gründung abgestraften Republik Haiti läuft nicht nur die Kumpanei der Räuber, sondern sogar der Streit um die Beute der Ausplünderung stets darauf hinaus, daß die nach dem Willen der Herrenvölker leidgeprüften Haitianer leer ausgehen.

Anmerkungen:

[1] Ex-Diktator. Haiti muss auf Duvalier-Millionen verzichten (03.02.10)
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,675760,00.html

[2] Schweiz: Gericht stoppt Zahlung an Haiti. Die verhinderten Millionen des Diktators "Baby Doc" (03.02.10)
http://www.sueddeutsche.de/politik/872/502110/text/

[3] Gerichtsurteil in der Schweiz. Keine Duvalier-Gelder für Haiti (03.02.10)
http://www.tagesschau.de/ausland/duvalier102.html

[4] Jean-Claude Duvalier. Haitis Ex-Diktator spielt sich als Wohltäter auf (19.01.10)
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,672750,00.html

3. Februar 2010