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LATEINAMERIKA/2350: Laura Chinchilla neue Präsidentin Costa Ricas (SB)


Kontinuität des politischen Establishments - Wohlfahrtsstaat am Ende?


In Costa Rica waren 2,8 Millionen Menschen zu Präsidentschafts- und Parlamentswahlen aufgerufen. Dabei setzte sich erstmals in der Geschichte des mittelamerikanischen Landes eine Frau im Rennen um das höchste Staatsamt durch. Die 50 Jahre alte Laura Chinchilla von der rechtssozialdemokratischen PLN gewann bereits im ersten Wahlgang mit einer deutlichen Mehrheit von rund 47 Prozent der Stimmen. Da nach geltendem Wahlrecht 40 Prozent ausreichen, ist eine zweite Runde nicht erforderlich. Weit abgeschlagen folgte der Sozialdemokrat Ottón Solís von der Partei der Bürgeraktion (PAC) mit 25 Prozent, während der stramm konservative Otto Guevara von der Libertären Bewegung (ML) auf 21 Prozent kam. Chinchilla ist die fünfte Frau an der Spitze eines lateinamerikanischen Landes, nachdem das zuvor bereits in Nicaragua und Panama der Fall war sowie aktuell für Chile und Argentinien gilt. Laura Chinchilla, die im Mai ihr Amt antreten wird, sagte nach ihrem Sieg in der Hauptstadt San José: "Heute schreiben wir Geschichte. Die Menschen von Costa Rica haben mir ihr Vertrauen geschenkt, und ich werde es nicht enttäuschen." [1]

Die Politologin Laura Chinchilla war bislang Vizepräsidentin und ist eine Vertraute des scheidenden Amtsinhabers Óscar Arias, dessen Nationaler Befreiungspartei sie angehört. Der populäre 69jährige Arias wurde während seiner ersten Amtszeit für seine Bemühungen um Beilegung der Konflikte Mittelamerikas 1987 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Zuletzt vermittelte er in Honduras zwischen dem Putschregime und dem gestürzten Präsidenten Manuel Zelaya. Zweifellos profitierte Chinchilla von der Unterstützung durch Arias, der zwar unter gesundheitlichen Problemen leidet, aber dennoch künftig hinter den Kulissen starken Einfluß nehmen könnte. So zeigte denn auch ein Wahlspot der Konkurrenz den scheidenden Staatschef als Puppenspieler, der die Fäden der Marionette Laura Chinchilla zieht. [2]

Wie Óscar Arias verteidigt Chinchilla das Freihandelsabkommen CAFTA zwischen den USA und Mittelamerika. Sie hatte schon vor dem Wahltag angekündigt, sie wolle die wirtschaftsliberale Politik des amtierenden Staatschefs fortsetzen. Das Land sei seit vier Jahren auf dem richtigen Weg, und von diesem Kurs dürfe man nicht abweichen. Dies sei nicht der Augenblick für einen Wandel, der auf einen unbekannten Weg führe. "Weder nach rechts, noch nach links, Costa Rica muß nach vorne gehen", lautete einer ihrer Slogans.

Sie arbeitete früher als Beraterin für Innere Sicherheit im Auftrag internationaler Organisationen, darunter die Interamerikanische Entwicklungsbank und die Vereinten Nationen. In der zweiten Hälfte der neunziger Jahre war sie Sicherheitsministerin und in der gegenwärtigen Regierung zunächst Justizministerin und Vizepräsidentin. Da in Costa Rica, wo im vergangenen Jahr fast 1000 Menschen ermordet worden sind, die steigende Kriminalitätsrate das dominierende Thema des Wahlkampfs war, versprach Chinchilla, die Ausgaben für Sicherheit um 50 Prozent zu erhöhen. Sie machte das organisierte Verbrechen und die Begleiterscheinungen des Drogenschmuggels durch Mittelamerika für die zunehmende Gewalt verantwortlich. Auch stellte sie höhere Löhne und eine bessere Ausbildung für Polizisten in Aussicht und sprach sich für eine flächendeckende Videoüberwachung des öffentlichen Raums, Eingangskontrollen an Schulen sowie höhere und konsequentere Gefängnisstrafen für Kleinkriminelle aus. [3]

Sie hat versprochen, für mehr Investitionen zu sorgen, den Mittelstand zu fördern und sechs Prozent des Bruttoinlandsprodukts in den Bildungssektor zu investieren. Wenngleich sie einerseits die für lateinamerikanische Verhältnisse relativ hohen Standards der Sozialpolitik ihrer Partei nicht zu verwerfen scheint, erweist sie sich hinsichtlich ihrer entschiedenen Ablehnung von Abtreibungen oder gleichgeschlechtlicher Ehen doch als ausgesprochen konservativ.

Costa Rica ist eines der stabilsten Länder dieser Region mit vergleichsweise hoher Lebenserwartung sowie einem ansehnlichen Lohnniveau und Bildungsstand. Die einstige Bananenrepublik hat den Ökotourismussektor in den letzten Jahren erfolgreich ausgebaut und exportiert in größerem Umfang Mikrochips. Nur jeder fünfte Costaricaner lebt in Armut, während das für ganz Lateinamerika für fast jeden zweiten Menschen gilt. Auf dem Entwicklungsindex der UNO liegt das mittelamerikanische Land auf Platz 54 und damit im regionalen Spitzenfeld. Im Schnitt gehen Kinder und Jugendliche zehn Jahre zur Schule, im Rest Lateinamerikas nur sechs. Das hohe Bildungsniveau und die politische Stabilität haben zahlreiche Investoren angelockt, darunter den Chiphersteller Intel, der für fünf Prozent des BIP und fast 40 Prozent der Exporte sorgt. Wichtigster Devisenbringer ist jedoch der Tourismus, der mit knapp acht Prozent zur Wirtschaftsleistung beiträgt und viele Arbeitsplätze schafft. [4]

Sogar als die "Schweiz Lateinamerikas" apostrophiert - eine fragwürdige Gleichsetzung, die einst auch Uruguay für sich in Anspruch nahm - hat sich das Land dem Schein nach von Kämpfen ausgeprägter politischer Flügel der Linken und Rechten freigemacht. Zwar litt die Wirtschaft des Landes angesichts der weltweiten Krise im vergangenen Jahr unter einer Rezession, doch wird für das laufende Jahr wieder ein Wachstum erwartet. Die Doktrin des politischen Establishment, daß man um so besser fahre, je mehr man den angelegten wirtschaftsliberalen Kurs nicht störe, wurde mit der Wahl Chinchillas bekräftigt.

Der drittplazierte Otto Guevara, ein wirtschaftsfreundlicher Jurist mit Studium in Harvard, verfügte über eine gut gefüllte Kasse und machte Wahlkampf mit dem Versprechen einer effizienteren Regierungsführung und verschärfter Verbrechensbekämpfung, was bei weitem nicht reichte, um Chinchilla viele Wählerstimmen abzujagen. Auch sein Vorschlag, den US-Dollar zur Landeswährung zu machen, fiel offensichtlich nicht auf fruchtbaren Boden. [5]

Weiter zurückgefallen ist bei seinem dritten Anlauf Ottón Solís, den vor vier Jahren nur knapp zwei Prozentpunkte von Óscar Arias getrennt hatten. Der Sozialdemokrat führte die Opposition gegen den Beitritt zur CAFTA an, die in einem Referendum im Oktober 2007, bei dem 49 Prozent der Costaricaner gegen das neoliberale Freihandelsabkommen stimmten, den Beitritt um ein Haar verhindert hätte. Die Bürgerbewegung, die Solís einst unterstützte und 2006 fast zum Präsidenten machte, ist inzwischen zerfallen, weshalb er nach seinem jüngsten Mißerfolg eigenen Angaben zufolge keinen weiteren Versuch unternehmen will, sich zur Wahl zu stellen.

Neugewählt wurden auch die 57 Abgeordneten des Einkammerparlamentes und die Kommunalvertretungen. Wie schon Óscar Arias wird auch Laura Chinchilla über keine eigene Mehrheit verfügen. Ihre PLN wird 24 Abgeordnete stellen, die PAC von Ottón Solís schrumpft von 17 auf zehn Parlamentarier, die ML von Otto Guevara verbessert sich von sechs auf neun Mandate und die von Korruptionsskandalen erschütterte ehemalige Regierungspartei Christsoziale Einheit (PUSC) von fünf auf sechs. Die restlichen Sitze entfallen auf kleine Fraktionen. [6]

Will man von einer Sonderrolle Costa Ricas in einem von Armut, Repression und Bürgerkriegen geprägten mittelamerikanische Umfeld sprechen, so hängt diese historisch gesehen mit der Abschaffung der Armee im Jahr 1948 und den Investitionen in Bildung und staatliche Fürsorge zusammen. Zudem wurden mehrere Staatsmonopole aufgebaut: Lange Zeit blieben Energie, Telekommunikation, Versicherung, die einzige Erdölraffinerie und große Teile des Bankensystems sowie der Alters- und Krankenvorsorge in den Händen des Staates, der die Hälfte des Bruttoinlandsproduktes erwirtschaftete. Seit den neunziger Jahren sorgen jedoch staatliche Finanznöte und Freihandelsabkommen zu einem schrittweisen Abbau des Staatsapparats und einer zunehmenden Privatisierung staatlicher Leistungen. Diese Entwicklung verschärft die soziale Polarisierung der Gesellschaft und läutet das absehbare Ende des Wohlfahrtsstaats ein.

Bemerkenswert ist die weitgehende Abwesenheit der Linken im aktuellen Wahlkampf. Drei der vier aussichtsreichsten Kandidaten sprachen sich für Marktöffnung, Steuersenkungen und mitunter sogar die Privatisierung des Gesundheitswesens aus. Wenngleich man im Falle Costa Ricas nicht von einem Rechtsruck sprechen kann, zeichnet sich doch auch dort eine Wiederkehr oder Konsolidierung jener Kräfte und Bestrebungen an, die in den zurückliegenden Jahren angesichts des Vormarsches regionaler Bündnisse zugunsten einer Unabhängigkeit von der Hegemonialmacht USA und verstärkter nachbarschaftlicher Zusammenarbeit zurückgedrängt worden waren. Eklatantestes Beispiel ist die Wahl des Konservativen Sebastían Piñeras zum nächsten Präsidenten Chiles, der damit der seit 20 Jahren regierenden Parteienallianz erstmals seit der Diktaturzeit eine Niederlage bereitet hat. Wenngleich sich Piñera am Ende gegen Augusto Pinochet gestellt hatte, mutete das doch eher wie eine opportunistische Wette auf die absehbare Zukunft, als eine grundsätzliche Gegnerschaft zur Diktatur und des von ihr beförderten politischen Kurses an.

Im Mai 2009 wurde in Panama mit Ricardo Martinelli ein konservativer Supermarkttycoon zum Präsidenten gewählt, der Martín Torrijos und dessen Mitte-Links-Regierung ablöste. Am augenfälligsten ist natürlich der Putsch in Honduras, der Manuel Zelaya seines Amtes beraubte und letztlich den Großgrundbesitzer Porfirio "Pepe" Lobo an die Macht brachte. Zelaya, der sein Land in das Wirtschaftsbündnis ALBA geführt hatte, galt den Eliten in Tegucigalpa und Washington als gefährlicher Konvertit, der sich in zunehmendem Maße an Venezuela und dessen Bündnispartnern orientierte, weshalb man ihn kaltstellte, um den Vormarsch der als Sozialismus des 21. Jahrhunderts bezeichneten Strömung Einhalt zu gebieten.

Anmerkungen:

[1] Erstmals Frau an die Spitze Costa Ricas gewählt. Konservative Laura Chinchilla gewinnt Präsidentenwahl (08.02.10)
NZZ Online

[2] Ex-Vice President May Avoid Run-Off Vote in Costa Rica (08.02.10)
New York Times

[3] Tritt Chinchilla in Arias' Fußstapfen? Costa Rica wählt neues Staatsoberhaupt (06.02.10)
Neues Deutschland

[4] Präsidentschaftswahl in Costa Rica. Wo Mittelamerika noch stabil ist (06.02.10)
http://www.zeit.de/politik/ausland/2010-02/costa-rica-wahl?

[5] Costa Rica election: Why the left is lagging (08.02.10)
Christian Science Monitor

[6] Katerstimmung bei Linken. Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Costa Rica: Erstmals eine Frau an die Spitze des Landes gewählt (09.02.10)
junge Welt

9. Februar 2010