Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

LATEINAMERIKA/2418: Santos im Amt - Kein neuer Besen in Bogotá (SB)


Politischer Kurswechsel Kolumbiens nicht in Sicht


Wie es einem frisch inaugurierten Staatschef geziemt, hat auch Manuel Santos die Inszenierung seiner Präsidentschaft mit der volkstümlichen Posse "Neue Besen kehren gut" eröffnet, für die ihm sein Vorgänger Alvaro Uribe Drehbuch, Kulissen und Theaterdonner hinterließ. Die mit dem Wechsel des höchsten politischen Machthabers in Kolumbien assoziierte Erwartung, nun werde sich entspannen, was zuvor angespannt war, verfällt der hoffnungsgetriebenen Fixierung auf ein nicht nur simplifizierendes, sondern die existierenden Widersprüche und Bruchlinien gezielt leugnendes Konfliktverständnis. Santos, der einem wirtschaftlich und politisch einflußreichen Familienclan Bogotás entstammt, verkörpert zwar eine andere Fraktion der kolumbianischen Eliten wie der Großgrundbesitzerssohn Uribe aus Medellín, was jedoch nicht zu dem Trugschluß verleiten sollte, man könne den Teufel mit dem Beelzebub austreiben, womit wir beim Thema sind: Als Verteidigungsminister Uribes im Bürgerkrieg ging Santos mit seinem damaligen Regierungschef derart konform, daß kein Blatt Papier zwischen die Positionen der beiden paßte. Heute spielen die beiden plötzlich Sonne und Mond, denn während der in Düsternis untergehende Uribe seinem Intimfeind Hugo Chávez im Nachbarland Venezuela noch einmal kräftig gegen das Schienbein tritt, erhebt sich Santos strahlend am Firmament des neuen Morgens, um Neubeginn und Versöhnung zu verkünden.

Kolumbien wird geläutert aus dieser Krise hervorgehen, deren schmutzige Bezichtigungen an Venezuela hängenbleiben - so könnte man die derzeit aufgeführte Farce in Kurzform entschlüsseln. Die absehbare Erleichterung, so verständlich sie angesichts der abgewendeten Kriegsgefahr sein mag, entführt das Publikum lediglich in die Pause, während auf der Bühne bereits zum folgenden Akt umgebaut wird. Wenn das nächste Mal der Vorwurf erhoben wird, Chávez sei ein "Terrorhelfer", dem man das Handwerk lege müsse, soll die Schraube noch enger angezogen werden.

Kolumbien bleibt ein Brückenkopf der Vereinigten Staaten in dieser Weltregion, woran auch Santos nichts ändern wird, der maßgeblich zur Einladung der US-Streitkräfte auf die acht Stützpunkte im eigenen Land beigetragen hat. Mit seinen Grenzen zu Venezuela und Ecuador hat Kolumbien gleich zwei potentielle Kriegsziele Washingtons zu Nachbarn. Und ist der Ausbau des größten kolumbianischen Luftwaffenstützpunkts, Palenquero, erst einmal abgeschlossen, können die Maschinen der US Air Force von dort aus jeden Ort des Kontinents erreichen, wenn man einmal von dessen äußerster Südspitze absieht. Unter dem Plan Colombia haben die USA mehr als sieben Milliarden Dollar Rüstungshilfe ins Land gepumpt, wodurch sich Kolumbien gemessen am Bruttoinlandsprodukt den weitaus größten Militärhaushalt der Region leisten kann, der in dieser Hinsicht dreimal so groß wie der venezolanische ist. Zudem sind die USA der wichtigste Handelspartner des südamerikanischen Landes, das man daher je nach Sichtweise als engsten Bündnispartner oder Klientelstaat Washingtons bezeichnen kann. Wenngleich man das Bild in einem in erheblichen Teilen von tropischem Regenwald bedeckten Land nicht überstrapazieren sollte, könnte man doch zumindest im politischen Sinn sagen, daß in Kolumbien kein Blatt vom Baum fällt, ohne daß die US-Regierung davon Kenntnis hätte. [1]

Ebensowenig wie an der Zusammenarbeit mit den USA und deren Streitkräften wird Präsident Santos an den sozialen Verhältnissen in Kolumbien rütteln, da andernfalls der tief gespaltene Charakter der Gesellschaft offen zutage träte. Die Armutsrate hat nahezu 47 Prozent erreicht, so daß schätzungsweise 22 Millionen Menschen im Elend leben, wovon 12 Millionen mit weniger als zwei US-Dollar am Tag auskommen müssen. Damit ist die Armutsrate doppelt so hoch wie im Durchschnitt Südamerikas. Nach offiziellen Angaben beträgt die Arbeitslosenquote 12 Prozent, doch verschleiert dies eine weithin vorherrschende informelle Ökonomie, in der 60 Prozent der Erwerbstätigen weit weniger als den Mindestlohn erhalten und über keinerlei Versorgungsansprüche oder Rücklagen verfügen.

Zwar erreichte das Wachstum der kolumbianischen Wirtschaft im Jahr 2007 sieben Prozent, doch lag dieser Anstieg durchaus im regionalen Trend und wurde auch von Ländern wie Kuba, Uruguay, Peru, Venezuela und Panama erzielt oder übertroffen. Entscheidend ist dabei jedoch, daß dieses Wachstum an der Mehrheit der kolumbianischen Bevölkerung vorbeiging. So wurden nach Berechnungen, gestützt auf die Daten des nationalen Statistikinstituts DANE, während der Regierung Uribes circa eine Million Menschen obdachlos. Zwischen 2002 und 2008 rutschte eine halbe Million Angestellter und Arbeiter in den informellen Sektor ab und im selben Zeitraum wurden knapp eine Million Menschen in die Unterbeschäftigung gedrängt, wobei die tatsächlichen Zahlen wesentlich höher liegen dürften. [2]

Weltweit gesehen rangiert Kolumbien hinsichtlich der sozialen Ungleichheit an neunter Stelle der schlimmsten Extreme, und während der Präsidentschaft Uribes hat sich diese Polarisierung deutlich verschärft. So sind seit 2005 nicht weniger als 2,5 Millionen Menschen unter die Armutsgrenze gesunken und 3,2 Millionen in absolute Armut gestoßen worden. In Regionen, die von Paramilitärs kontrolliert werden, wurden von Rechts wegen durchgeführte Landreformen rückgängig gemacht, Bauern von ihrem Besitz vertrieben und feudale Verhältnisse wiederhergestellt. Darüber hinaus wurden mit paramilitärischer Hilfe mehr als 2,5 Millionen Bauern aus ressourcenreichen Gebieten vertrieben, die von transnationalen Bergbaugesellschaften, Ölkonzernen oder Agrounternehmen ausgebeutet werden.

Wird Santos dem Treiben der Todesschwadrone Einhalt gebieten, die unter Uribe mit voller Unterstützung der USA regelrecht aufblühten? Als ausgelagerte Staatsgewalt gehen sie mit allen Arten der Drangsalierung gegen Kleinbauern und Rebellen, Gewerkschafter und Journalisten, kurz gegen jeden vor, der in Opposition zu den herrschenden Verhältnissen steht oder den Großgrundbesitzern, Kartellen oder Konzernen einfach nur im Weg ist. Gegenwärtig existieren 82 paramilitärische Gruppen, die mit mehr als 10.000 Kämpfern in 273 Gemeindebezirken operieren. Diese Präsenz und das heutige Wachstum solcher Einheiten spricht der angeblichen Demobilisierung der Vereinten Selbstverteidigungsgruppen AUC im Jahr 2006 Hohn. Die Paramilitärs, obschon ihrem Wesen nach differenziert und relativ autonom, erweisen sich im Kern als Sturmtruppe des Klassenkampfs von oben, womit sie selbst die regulären Streitkräfte übertreffen, deren Bilanz an Greueltaten sprichwörtlich ist. In vielen Fällen handelt es sich bei Einheiten der Armee, denen gravierende Übergriffe nachgewiesen wurden, um Truppenteile, die von den US-Streitkräften unterstützt und ausgebildet werden, und nicht zuletzt um eben jene Armee, die Santos in seiner früheren Tätigkeit als Verteidigungsminister unterstand.

Sicherheit ist in Kolumbien jene der Eliten und wohlhabenderen Bewohner der urbanen Zentren, die heute sehr viel weniger Angst vor Entführungen als in der Vergangenheit haben müssen. Auch begünstigt der Schutz des Straßennetzes, wie ihn Uribes Programm der "demokratischen Sicherheit" vorsieht, in erster Linie den nationalen Warenfluß der großen Unternehmen. Geschützt werden auch strategische Gebiete für multinationale Konzerne, Agrarunternehmen und Großgrundbesitzer, wobei die Streitkräfte sowohl die Rebellen, als auch Kleinbauern und soziale Netzwerke bekämpfen. Nach Angaben des Forschungszentrums CEPRID sind zwischen 2002 und 2007 rund 14.000 Zivilisten dem internen Konflikt zum Opfer gefallen, was im Schnitt sieben Toten pro Tag entspricht. Die Paramilitärs waren demnach für 58 Prozent der Fälle mit identifizierten Tätern verantwortlich, das Militär und andere Sicherheitskräfte haben 17 Prozent der Fälle zu verantworten und die Rebellen 25 Prozent.

Als 59. Präsident Kolumbiens hat Santos bei seiner Amtseinführung im Schutz von 30.000 Soldaten in der Hauptstadt Bogotá seinen Landsleuten und aller Welt das Blaue vom Himmel herunter versprochen. Er will Frieden mit den Rebellen schließen, sofern diese aufhören Rebellen zu sein, millionenfach neue Arbeitsplätze schaffen, die soziale Kluft abbauen, Institutionen und Demokratie stärken und nicht zuletzt die Beziehungen zu vielen Ländern Lateinamerikas - allen voran Venezuela und Ecuador - verbessern.

Doch lassen wir zum Abschluß Juan Manuel Santos selbst zu Wort kommen. Uribe sei "der beste Präsident, den Kolumbien je hatte", sagte der neue Staatschef des südamerikanischen Landes in seiner Siegesrede nach den gewonnenen Präsidentschaftswahlen über seinen Vorgänger und Mentor. Am 7. August fügte Santos bei seiner Antrittsrede zur Amtseinführung auf dem zentralen Plaza Bolívar in Bogotá hinzu: "Danke, danke, tausendfacher Dank, Ihnen und Ihrer Familie, Herr Präsident Uribe, weil Sie uns ein Land hinterlassen, in dem es jetzt möglich ist, über Fortschritt, Wohlstand, Zukunft und Frieden zu reden." Spricht so ein Mann, der ernsthaft vorhat, mit der Politik seines Vorgängers zu brechen?

Anmerkungen:

[1] Santos takes office as Colombia's president (09.08.10)
World Socialist Web Site

[2] Acht Jahre Uribe. Wirtschaftswachstum für Großunternehmer und Verwicklungen des Expräsidenten in Paramilitarismus (09.08.10)
http://amerika21.de/analyse/8007/acht-jahre-uribe

10. August 2010