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LATEINAMERIKA/2466: "Antidrogenkrieg" schleift letzte Bastion der Souveränität Mexikos (SB)


Polizeilich-militärische Durchdringung seitens der USA


Zu Zeiten des kalten Krieges rechtfertigten die Vereinigten Staaten ihren mit militärischen, geheimdienstlichen, ökonomischen und politischen Mitteln durchgetragenen Anspruch auf hegemoniale Suprematie in Lateinamerika mit dem Kampf gegen kommunistische Infiltration und Insurgenz. Die Erhebung ausgebeuteter, unterdrückter und ausgegrenzter Elendsheere in Gestalt mannigfaltiger Guerillaorganisationen und antiimperialistischer Befreiungsbewegungen beantwortete Washington mit der Installierung und Unterstützung repressiver Regime wie auch verdeckten Interventionen zugunsten seiner Statthalter. Der nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Zerfall des Warschauer Pakts westlicherseits proklamierte Sieg im Streit der Systeme erforderte eine neue Doktrin und Strategie, um die Bestandssicherung und innovative Fortschreibung kapitalistischer Verwertung und imperialistischer Zugriffsgewalt zu gewährleisten.

Die Verwandlung der Außenpolitik in eine global exekutierte Innenpolitik der westlichen Mächte erhob nationalstaatliche und durch Militärbündnisse vorgetragene Kriege und Interventionen in den Rang weltpolizeilicher Ordnungspolitik. Der "Antidrogenkrieg" als Vorläufer und späterer Kompagnon des "Antiterrorkriegs" richtete sich in seiner ideologischen Begründung nicht länger gegen Staaten oder soziale Revolten, sondern das sogenannte organisierte Verbrechen. Im Rahmen dieses strategischen Entwurfs wurden mißliebige Regierungen durch Entzug von Krediten und Hilfsgeldern abgestraft, weil sie angeblich den Drogenhandel nicht entschieden genug bekämpften. Unter dem Vorwand, grenzüberschreitende Kriminalität könne nur länderübergreifend bekämpft werden, hebelte Washington die Souveränität und territoriale Integrität der Zielländer systematisch aus. Massive Militärhilfe für Verbündete, Entsendung von Ausbildern und privaten Sicherheitsdienstleistern, umfassende Überwachungssysteme und die offizielle Präsenz von US-Behörden wie der DEA in zahlreichen Ländern etablierten ein System legaler Intervention.

Nachdem der Klassenkampf zu einem historischen Irrtum erklärt und als anachronistisch entsorgt worden war, setzten ihn die Vereinigten Staaten im Verbund mit den nationalen Eliten lateinamerikanischer Länder nun unter dem Deckmantel des Kampfs gegen das Drogengeschäft um so schärfer von oben nach unten fort. Wie das Beispiel Kolumbien belegt, ging die milliardenschwere Militärhilfe auch nach offizieller Lesart fließend vom "Antidrogenkrieg" in die Aufstandsbekämpfung über, indem man den Guerillaorganisationen soziale Anliegen absprach und sie zu bloßen Drogenbanden erklärte. So wurden Zwangsmittel zur Niederschlagung der Hungerrevolte in Stellung gebracht und zugleich ordnungspolitisch als Verbrechensbekämpfung legitimiert.

Mit dem international organisierten Drogenhandel wurde ein Feindbild geschaffen und genährt, das in hohem Maße mit den Kriegen der USA, ihren geheimdienstlichen Aktivitäten und dem Bedarf an einer legalistischen Verfügungsoption verknüpft ist. Zwangsläufig rief man dabei Dämonen auf den Plan, die sich jeder Kontrolle entzogen und Verheerungen hervorriefen, die von ihren Ziehvätern durchaus gewünscht wurden, doch keineswegs gebändigt werden konnten. Staaten zu zerschlagen, Bevölkerungsgruppen gegeneinander zu hetzen und Vorwandslagen für eine repressive Sicherheitspolitik zu schaffen, zeugt zwar von überlegener Waffengewalt und machiavellistischem Kalkül, doch geht damit keineswegs die Fähigkeit einher, die Eskalation nach Belieben zurückfahren oder beenden zu können.

Wie Afghanistan und der Irak wird auch Mexiko mit einem Krieg ohne absehbares Ende überzogen, dessen Opferzahlen jene im Mittleren Osten längst überschreiten. Präsident Felipe Calderón hat im Einvernehmen mit Washington den Generalangriff auf die Drogenkartelle eröffnet und damit ein Gemetzel losgetreten, dessen niemand mehr Herr wird. Seit Beginn der Offensive vor sechs Jahren wurden rund 50.000 Menschen getötet, mehr als 10.000 verschwanden spurlos, über 120.000 wurden vertrieben. Die New York Times zitiert in einem aktuellen Beitrag zum "Antidrogenkrieg" Washingtons einen namentlich nicht genannten hochrangigen Repräsentanten der mexikanischen Regierung mit den Worten, die damit verbundene Intervention der USA in seinem Land sei nicht auf "zwei, drei, vier, fünf oder sechs Jahre" begrenzt. Solle diese politische Initiative Früchte tragen, müsse sie langfristig angelegt sein. [1]

Im Kontext des "Antidrogenkriegs" schleifen die USA die letzten verbliebenen Bastionen mexikanischer Unabhängigkeit. Der Schulterschluß bei der Kriegsführung, wie er mit der Mérida-Initiative der Präsidenten George W. Bush und Felipe Calderón besiegelt wurde, setzte eine gemeinsame Sicherheitspolitik unter Führung Washingtons auf die Tagesordnung. Finanziert, ausgerüstet, ausgebildet und folglich unterwandert von den USA führen die Sicherheitskräfte Mexikos in zunehmendem Maße eine Schlacht nach den Maßgaben ihres eigentlichen Kriegsherrn in Washington.

Vor wenigen Tagen hat die mexikanische Regierung eingeräumt, daß US-amerikanische Militärs und Geheimdienstagenten in einem Stützpunkt im Norden des Landes präsent seien. Nachdem zuvor die New York Times darüber berichtet, aber den genauen Ort auf Drängen der US-Behörden nicht genannt hatte, verwies man auch auf seiten Mexikos auf die notwendige Geheimhaltung. Wie es in der Stellungnahme weiter hieß, sei das US-Personal unbewaffnet und an keinerlei Operationen im Land beteiligt. Präsenz und Aktivitäten dieser Personen stünden im Einklang mit der "derzeit geltenden Gesetzeslage" und respektierten uneingeschränkt die "Normen und die nationale Rechtsprechung" Mexikos.

Das darf allerdings bezweifelt werden, verbietet die Verfassung doch ausdrücklich jegliche Operationen ausländischer Militärs und Polizeikräfte auf dem Territorium Mexikos. Daher muß man davon ausgehen, daß es sich um eine abgesprochene Maßnahme zur Umgehung der Gesetzeslage handelt. Offenbar werden dabei Agenten der CIA und DEA um zivile Akteure und ehemalige Militärs des US-Nordkommandos ergänzt, die gemeinsam fast 4.500 mexikanische Bundespolizisten ausgebildet und ihre Expertise zu Abhörmaßnahmen, Informanten und Verhörtechniken eingebracht haben, wie die New York Times berichtet. Zudem habe das Pentagon Hubschrauber des Typs Black Hawk und andere hochmoderne Ausrüstung geliefert wie auch Aufklärungsdrohnen in den mexikanischen Luftraum entsandt. [2]

Nach dem Muster der Aufstandsbekämpfung in Afghanistan und dem Irak sei des weiteren geplant, private Sicherheitsdienstleister in eine mexikanische Eliteeinheit zur Drogenbekämpfung einzubetten, die Einsätze zur Tötung oder Festnahme mutmaßlicher Drogenhändler durchführt. Zieht man die Tätigkeit derartiger Sicherheitsunternehmen an anderen Kriegsschauplätzen in Betracht, muß man von einer weiteren Eskalation des Blutvergießens ausgehen.

Die Tageszeitung La Jornada sprach von einer "flagranten Verletzung der gesetzlichen Vorgaben durch den Einsatz ausländischer Agenten" unter Beteiligung der Regierung, die diesen "Angriff auf die nationale Souveränität und die Prinzipien der Verfassung toleriert und sogar herbeigeführt" habe. Bei der angeblichen Kooperation mit den Sicherheitskräften der USA handle es sich um ein "doppeltes Spiel", bei dem Washington der mexikanischen Regierung Unterstützung im "Antidrogenkrieg" anbiete, während zugleich die Waffenlieferungen an die Kartelle und die profitable Wäsche von Drogengeldern durch führende US-Finanzunternehmen ungehindert ihren Fortgang nähmen.

In diesem Zusammenhang ist auch die Ernennung von Vizeadmiral Joseph D. Kernan zum stellvertretenden Oberbefehlshaber des US-Südkommandos zu nennen, das für Lateinamerika und die Karibik zuständig ist. Kernan ist ein ehemaliger Kommandeur der Navy Seals und repräsentiert in seiner neuen Funktion den wachsenden Einfluß von Militärs aus den Reihen der Spezialkräfte in den höchsten Rängen der Hierarchie. Nach seiner Beförderung bezeichnete er "Drogenhandel, kriminelle Kartelle und gewalttätige extremistische Organisationen" als die größten Herausforderungen für die Sicherheit in seinem neuen Wirkungskreis. Man habe es nicht mit großen konventionellen Streitkräften, sondern einer asymmetrischen Auseinandersetzung zu tun. Operationen von Spezialkräften hinterließen "einen kleinen Fußabdruck" in jenen Ländern, die Hilfe wünschten, aber eine Präsenz mit dem Label "Made in the U.S.A." nicht gebrauchen könnten. [3]

Unterdessen hat in Mexiko ein Gesetzentwurf die ersten maßgeblichen parlamentarischen Hürden genommen, der augenfällige Parallelen zum US-amerikanischen Patriot Act aufweist. Das neue Nationale Sicherheitsgesetz soll Operationen dauerhaft legalisieren, die von der Regierung in einer Art Kriegsrecht veranlaßt werden, sowie die elektronische Überwachung der Bürger, Durchsuchungen ohne richterlichen Beschluß und die Inhaftierung Verdächtiger ohne Anklageerhebung möglich machen. Sollte der Entwurf Gesetzeskraft erlangen, wäre die mexikanische Regierung ermächtigt, bei "Gefahr für Stabilität, Sicherheit, Frieden und Ordnung" des Landes wie auch einer Region, eines Bundesstaats oder einer Stadt solche Maßnahmen anzuordnen. Von den USA lernen, heißt für das politische Establishment Mexikos offenbar, nach der wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Überantwortung nun auch der polizeilich-militärischen Durchdringung Tür und Tor zu öffnen.

Fußnoten:

[1] http://www.wsws.org/articles/2011/aug2011/mexi-a09.shtml

[2] http://www.nytimes.com/2011/08/07/world/07drugs.html

[3] http://www.nytimes.com/2011/08/09/us/09commanders.html

11. August 2011