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LATEINAMERIKA/2484: Venezuela - neue alte Frontverläufe ... (SB)


Venezuela - neue alte Frontverläufe ...


In Venezuela kommen die USA mit ihren Bemühungen um einen "Regimewechsel" in Caracas nur schleppend voran. Im Januar hat die Regierung Donald Trumps den jungen, bis dahin wenig bekannten Abgeordneten der venezolanischen Volksversammlung Juan Guaidó zum "Interimspräsidenten" des ölreichen Karibikstaats ernannt und Dutzende mit den USA verbündete Staaten dazu gebracht, sich dem selbstherrlichen, völkerrechtlich dubiosen Akt anzuschließen. Ende Februar gab es den medial großinszenierten Versuch, einen Lkw-Konvoi voller Hilfsgüter von Kolumbien über die Grenze nach Venezuela hineinzubekommen. Offenbar war die Aktion so konzipiert, daß es nach dem erhofften Versagen der venezolanischen Grenztruppe infolge einer Kettenreaktion zur Meuterei der Militärführung in Caracas kommen sollte, die Präsident Nicolás Maduro abgesetzt, dem sozialistisch-bolivarischen Experiment in Venezuela ein Ende bereitet, die alten Eliten wieder an die Macht gehievt und das Land erneut zum Vasallenstaat Washingtons degradiert hätte.

Statt dessen geriet die Konfrontation am Grenzübergang Cúcuta samt obligatorischem "Popkonzert" unter der Leitung des britischen Virgin-Medienmoguls Richard Branson für Trumps Riege der kalten Krieger mit Vizepräsident Mike Pence, Außenminister Mike Pompeo, dem Nationalen Sicherheitsberater John Bolton, dem Venezuela-Sonderbeauftragten Elliott Abrams und dem republikanischen Senator aus Florida Marco Rubio zum PR-Desaster. Die Grenze blieb dicht, bezahlte Hooligans der CIA setzten die Lastwagen mit den Hilfsgütern mit Molotowcocktails in Brand, und die Generalität in Caracas stellte sich demonstrativ geschlossen hinter Maduro und erklärte sich zur Niederschlagung jedweden Umsturzversuchs bereit. Daraufhin zogen CIA und Pentagon die Schraube an und legten Anfang März weite Teile des venezolanischen Stromnetzes lahm, so daß Millionen von Menschen in Dunkelheit und Elend gestürzt wurden. Bewerkstelligt wurde die Aktion mittels einer Mischung aus Hackerangriffen, Brandanschlägen und dem Einsatz elektronischer Impulswaffen. Die Existenz eines Plans für eine solche gemischte Cyber-Aktion mit dem Codenamen "Nitro Zeus" hatte bereits 2010 Wikileaks durch die Enthüllung entsprechender Dokumente publik gemacht. Nach einem Bericht der New York Times von 2016 wäre sie von der Regierung Barack Obamas gegen den Iran angewandt worden, hätte Teheran nicht 2015 den Atomvertrag mit den fünf UN-Vetomächten China, Frankreich, Großbritannien, Rußland und USA plus Deutschland unterzeichnet.

Die Behörden in Venezuela haben aktuell alle Hände voll zu tun, die anhaltenden Angriffe auf das Stromnetz so gut wie möglich abzuwehren und abzumildern, während sie den Vandalismus von der CIA bezahlter Unruhestifter an öffentlichen Gebäuden und Einrichtungen bekämpfen, der häufig nachts unter dem Schutz der Dunkelheit erfolgt. Bei dieser Herkulesaufgabe haben die Venezolaner in den letzten Tagen wichtige Unterstützung aus dem Ausland erhalten. Am 23. März landeten auf einem Militärflughafen in Caracas zwei Transportmaschinen aus Rußland. An Bord befanden sich 35 Tonnen Hilfsmaterial sowie 200 Techniker unter der Leitung von keinem geringeren als Vasili Tonkoschkurow, dem Oberkommandeur der russischen Landstreitkräfte.

Was genau die russischen Militärs in Venezuela machen ist unklar. Möglicherweise assistieren sie bei der Abwehr von Nitro Zeus. Unbestätigten Meldungen zufolge sind zumindest einige von ihnen damit befaßt, die Bestände der venezolanischen Streitkräfte an russischen S-300-Flugabwehrraketenbatterien auf ihre Funktionstüchtigkeit hin zu überprüfen und sie eventuell auf den neuesten technischen Stand zu bringen. So oder so hat die russische Militärpräsenz in Venezuela in Washington einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Die Yankees sahen die eigene Monroe-Doktrin aus dem 19. Jahrhundert, derzufolge sich Washington jede ausländische Intervention in seinem "Hinterhof" verbietet, verletzt. Trump erklärte, die Russen müßten "sich verziehen", und um dies gegebenenfalls zu erzwingen seien "alle Optionen" möglich. Iran-Contra-Veteran Abrams drohte, Rußland werde seine Dreistigkeit "teuer bezahlen". Bolton behauptete, Maduro würde mit Hilfe "kubanischer und russischer Schlägertypen" den Drang des venezolanischen Volkes nach Freiheit und Demokratie unterdrücken. Die USA würden eine "Einmischung feindlicher, ausländischer Militärmächte ... in der westlichen Hemisphäre" nicht dulden, so der ehemalige UN-Botschafter von George Bush junior, der wegen seiner undiplomatischen Art berüchtigt ist.

Um so entsetzter müssen die Kriegsstrategen im Weißen Haus und Pentagon gewesen sein, als sie die Nachricht von der Landung einer Abordnung der chinesischen Volksarmee in Venezuela erreichte. Gelandet war die chinesische Militärmaschine am 28. März auf der karibischen Insel Margarita. Dort wurden Hilfsgüter abgeladen und verteilt. Danach flog die 120 Mann starke Truppe weiter zu einem Militärstützpunkt auf dem venezolanischen Festland. China und Rußland sind mit Abstand die größten Kreditgeber und ausländischen Investoren Venezuelas. In den letzten Jahren hat Peking Caracas Kredite im Wert von mehr als 62 Milliarden Dollar eingeräumt. Venezuela steht mit rund 17 Milliarden Dollar bei Rußland in der Kreide. Das Hauptbetätigungsfeld der Chinesen und Russen in Venezuela liegt in den Sektoren Öl und Gold. Gemeinsam mit einheimischen Betrieben sind chinesische und russische Konzerne an einer ganzen Reihe von Projekten beteiligt.

Derzeit hilft Rußland Venezuela, mit den Auswirkungen der amerikanischen Wirtschaftssanktionen klarzukommen. Die Russen kaufen Schweröl in größeren Mengen aus Venezuela, liefern gleichzeitig die nötigen Spezialprodukte, um das schwarze Gold vor Ort raffinieren und transportfähig machen zu können. Offenbar sind Peking und Moskau nicht gewillt, den Amerikanern das alleinige Sagen in Venezuela einzuräumen und wollen ihnen ihre ständigen Militärinterventionen in Afrika und Asien heimzahlen. Eine Eskalation scheint unausweichlich. Für den 6. März hat Guaidó zum Auftakt von "Operation Freiheit", mittels der sich die venezolanischen Massen gegen das "Regime" Maduro "erheben" sollen, aufgerufen. Ein Gericht in Caracas hat wiederum bereits am 2. März Guaidós Immunität als Abgeordneter aufgehoben und zwar wegen der landesverräterischen Zusammenarbeit mit ausländischen Mächten. Bislang ist Guaidó nicht verhaftet worden. Doch sollte ihm etwas zustoßen, wäre das für die Regierung Trump der gewünschte Anlaß, den Druck auf Maduro und seine Anhänger massiv zu erhöhen.

4. April 2019


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