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LATEINAMERIKA/2485: Brasilien - Erledigung am Rande ... (SB)



Nachdem der brasilianische Präsident Jair Messias Bolsonaro vor kurzem einen Evangelikalen zum Abteilungsleiter für unkontaktierte Völker bei der Indianerschutzbehörde ernannt hatte, hat eine evangelikale Vereinigung - Ethnos360 - nun angekündigt, mit einem neu erworbenen Hubschrauber bislang unkontaktierte Indianerstämme aufsuchen zu wollen. Darüber berichtete unter anderem die Internetseite Mongabay. [1] Ausgerechnet in Zeiten der Coronaviruspandemie! Schon einmal, vor 30 bis 40 Jahren, war in Brasilien ein unkontaktiertes Volk um mindestens ein Drittel vernichtet worden, nachdem es von Evangelikalen mit Infektionskrankheiten wie Malaria angesteckt worden war.

Weil Bolsonaro wiederholt klargestellt hat, daß ihm die indigenen Schutzgebiete ein Dorn im Auge sind, muß der Vorgang als absichtliches Herbeiführen der Vernichtung von Indigenen gedeutet werden.

Seit 1988 verbietet die brasilianische Verfassung das Aufsuchen von unkontaktierten Völkern. Auf die Einhaltung der Bestimmungen hat die Indianerschutzbehörde FUNAI zu achten. Doch ausgerechnet deren Abteilung für unkontaktierte Völker (CGIIRC) wird seit Februar 2020 von Ricardo Lopes Dias geleitet. Dieser hat von 1997 bis 2007 für die New Tribes Mission zehn Jahre lang im Javari-Tal unter Indigenen vom Volk der Matsés gelebt, deren Sprache erlernt und sie zu missionieren versucht. Die New Tribes Mission ist Vorläuferorganisation der in Florida ansässigen Ethnos360. Ein anderer Name, das gleiche Ziel: Bekehrung aller unkontaktierten Völker zum christlichen Glauben.

Brasilianische Bundesstaatsanwälte haben sich vergeblich darum bemüht, daß die Ernennung Dias' zum FUNAI-Abteilungsleiter zurückgenommen wird. Unter anderem hatten sie sich auf Erklärungen des Anthropologen und Bolsonaro-Anhängers Edward Mantoanelli Luz berufen, der zwar nicht Mitglied der New Tribes Mission, aber Sohn dessen Leiters ist. Und ähnliche Ansichten hegt. Gegenüber dem "Guardian" sagte Luz, daß Brasiliens Indigenen-Politik vom Ausland manipuliert worden war und daß Brasilien jetzt einen Präsident hat, der sich nicht danach richte. Die "Kein-Kontakt-Politik" müsse enden. FUNAI und Gesundheitsexperten könnten den Anfang machen und die isolierten Gruppen aufsuchen. Die evangelikale Botschaft könne zu einem späteren Zeitpunkt folgen. [2]

Die New Tribes Mission war es auch, die 1982 angefangen hatte, "Geschenke" für das unkontaktierte Volk der Zo´é vom Himmel regnen zu lassen und später versucht hat, Kontakt mit ihm aufzunehmen. Schließlich, 1987, suchten rund 100 Mitglieder der Zo´é das Lager der Missionare auf und überreichten ihnen zerbrochene Pfeile - eine unmißverständliche Ansage, daß die Eindringlinge gefälligst verschwinden sollten.

In Brasilien sind 115 unkontaktierte Völker bekannt. Bis auf zwei leben alle im westlichen Amazonas-Regenwald in der Grenzregion zu Peru. Eben da, in der Nähe eines Reservats im Javari-Tal, wurde der neue Hubschrauber von Ethnos360 positioniert. Eine Kirche haben die Evangelikalen dort bereits gebaut. In dem Schutzgebiet sind 16 isolierte Völker beheimatet. Sie wären extrem bedroht, sollte auch nur eine Person von ihnen infiziert werden.

Vergangene Woche hatte FUNAI eine Bestimmung geändert und den Kontakt zu isolierten Gruppen dann erlaubt, wenn es aufgrund der Covid-19-Pandemie für deren Überleben wichtig sei. Nach einem Aufschrei der Empörung in der Öffentlichkeit nahm die Regierung diese Bestimmung am Montag wieder zurück, wie der "Guardian" berichtete.

Das Beispiel zeigt jedoch, daß Ethnos360 zum Sprung ansetzt, isoliert lebende Menschen aufzusuchen. Auch wenn deren Vernichtung nicht das erklärte Ziel der Organisation ist, hat sie bzw. ihre Vorläuferorganisation bisher keinen Anhaltspunkt für die Hoffnung geliefert, daß sie nicht bereit ist, dieses Risiko einzugehen. Vielmehr erzeugt die evangelikale Organisation den Eindruck, daß sie es im Zweifelsfall Gottes Wille zuschreiben würde, sollten die Indigenen an der vom neuartigen Coronavirus ausgelösten Lungenkrankheit Covid-19 sterben.

Vermutlich käme so ein Worst-case-scenario Bolsonaro gelegen. Könnte er doch dann die Indigenenreservate hemmungslos für Bergbau und Landwirtschaft öffnen, wie er es bereits wiederholt angemahnt und teilweise schon in die Wege geleitet hat. Als kleines Dankeschön, daß sie 2018 seinen Wahlkampf unterstützt haben. Und als Dankeschön an die Evangelikalen hat Bolsonaro den Bock zum Gärtner gemacht und Dias die Zuständigkeit für die isoliert lebende ursprüngliche Bevölkerung überantwortet.

Die Pandemie mit dem Virus Sars-CoV-2, die auch in Brasilien grassiert, würde dann das Indigenen-"Problem" gewissermaßen am Rande erledigen. Was Bolsonaros Einstellung zu der ursprünglichen Bevölkerung angeht, dürfte sie mit folgendem, von der Organisation "Survival International" kolportierten Zitat treffend wiedergegeben sein:

"Es ist eine Schande, dass die brasilianische Kavallerie nicht so effektiv war wie die Amerikaner, die ihre Indianer ausgerottet haben." (Correio Braziliense, 12. April 1998) [3]


Fußnoten:

[1] https://news.mongabay.com/2020/03/bringing-christ-and-coronavirus-evangelicals-to-contact-amazon-indigenous/amp/

[2] https://www.theguardian.com/global-development/2020/mar/23/the-isolated-tribes-at-risk-of-illness-from-amazon-missionaries

[3] https://www.survivalinternational.de/artikel/3542-bolsonaro

25. März 2020


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