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MEDIEN/445: Paul Wolfowitz diffamiert die Lockerbie-Opferfamilien (SB)


Paul Wolfowitz diffamiert die Lockerbie-Opferfamilien

Für Washingtons Imperialisten ist keine Lüge zu schäbig


Daß zum Verkauf der US-Außen- und Sicherheitspolitik die Verbreitung von jeder Menge Lügen gehört, hat vor wenigen Tagen der Friedensnobelpreisträger Barack Obama eindrucksvoll demonstriert, als er auf einer Pressekonferenz am 15. Februar im Weißen Haus von der pakistanischen Regierung die sofortige Freilassung des Amerikaners Raymond Davis, der am 27. Januar in Lahore unter bisher ungeklärten Umständen zwei Pakistaner erschoß, mit der Behauptung forderte, "unser Diplomat" genieße nach dem Wiener Abkommen von 1963 Immunität. Zu diesem Zeitpunkt wußte Obama längst, daß Davis kein Diplomat, sondern ein Mitarbeiter der CIA war, weswegen das Weiße Haus zunächst die führenden US-Medien wie die New York Times, die Washington Post und die Nachrichtenagentur Associated Press zum Stillschweigen über diesen wichtigsten Aspekt des Auslieferungsstreits mit Islamabad gebeten hatte.

Doch in Sachen Lügen und Volksverdummung kann es Obama - obwohl schon auf dem besten Weg - noch nicht mit dem früheren Stellvertretenden US-Verteidigungsminister Paul Wolfowitz aufnehmen. Der bekennende Zionist und US-Neokonservative hat bekanntlich eine führende Rolle beim Ausdenken und Verbreiten einer Begründung für den angloamerikanischen Einmarsch in den Irak im März 2003 gespielt. Unter seiner Regie war zuvor in der Nahost-Abteilung des Pentagons das berüchtigte Office of Special Plans (OSP) eingerichtet worden, dessen einzige Aufgabe darin bestand, jedes Stück Information, wie fadenscheinig auch immer, mit dem man das "Regime" Saddam Husseins mit "Massenvernichtungswaffen" oder das Al-Kaida-"Netzwerk" Osama Bin Ladens in irgendeine Art Verbindung bringen könnte, an den zuständigen Nachrichtenanalytikern bei der CIA vorbei in das Weiße Haus zu schleusen. Über "Multiplikatoren" wie Judith Miller von der New York Times haben Wolfowitz, dessen Staatssekretär Douglas Feith und die anderen Teilnehmer der OSP-Operation Lügengeschichten über Iraks vermeintlich existierende Atombombenpläne und Chemiewaffenbestände in der Presse untergebracht, damit später im US-Fernsehen sich Präsident George W. Bush, Vizepräsident Dick Cheney, Außenminister Colin Powell, Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und die Nationale Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice darauf beziehen und die große, unerträgliche und deshalb zu beseitigende "Bedrohung" Amerikas beschwören konnten.

Später wollte Wolfowitz natürlich von alledem nichts wissen. Unvergessen bleibt sein Interview für die Juli-2003-Ausgabe der Zeitschrift Vanity Fair, in dem er voller Arroganz und Selbstzufriedenheit freimütig zugab, die Bush-Regierung habe "aus bürokratischen Gründen" das Argument Massenvernichtungswaffen bei der Begründung des militärischen Einmarsches in den Irak in den Vordergrund gestellt, weil es das einzige gewesen sei, worüber man sich habe einigen können. Wie Regierungsdokumente, welche im September 2010 das an der George Washington University ansässige National Security Archive veröffentlichte, belegen, war es Wolfowitz mehr als jeder andere, der nach dem Einzug Bushs ins Weiße Haus Ende Januar 2001 auf einen "Regimewechsel" in Bagdad und eine Abrechnung mit dem irakischen Machthaber drängte.

Dieser Tage macht Wolfowitz mit neuen Geschichtsverdrehungen wieder von sich reden. Angesichts der chaotischen Lage in Libyen ist besonders in den US-Medien die Entscheidung der Bush-Regierung, sich 2003 mit Muammar Gaddhafi zu versöhnen, kritisiert worden. Damit habe man einen größenwahnsinnigen Förderer des "internationalen Terrorismus" die Rückkehr in die internationale Gemeinschaft ermöglicht und damit die Saat für die Katastrophe von heute gelegt, so der Vorwurf der Kritiker. Gegen diese Auslegung der Ereignisse hat sich nun Wolfowitz zur Wehr gesetzt. Bei einem Auftritt am 27. Februar in der Diskussionssendung seines neokonservativen Gesinnungsgenossen Fareed Zakaria beim Nachrichtensender CNN führte Wolfowitz die Aussöhnung zwischen Tripolis und Washington auf die Familien der ermordeten Opfer des Anschlages von Lockerbie zurück. Die amerikanischen Angehörigen der Toten von Pan-Am-Flug-103 hätten "Druck" auf die US-Regierung ausgeübt, "weil sie das Geld, das Gaddhafi anbot, einkassieren wollten". Bei der Entschädigungssumme handelte es sich um zehn Millionen Dollar pro Toten.

Beim besagten Anschlag am 20. Dezember 1988 kamen 270 Menschen ums Leben - 253 Insassen des Pan-Am-Jumbos "Maid of the Seas" und 17 Einwohner von Lockerbie. Die Angehörigen der Getöteten zeichnet bis heute aus, daß sie die Verantwortlichen für diesen schwersten "Terroranschlag" der europäischen Geschichte zur Rechenschaft gezogen sehen wollen. Während die Familien der 189 amerikanischen Opfer den 2001 verurteilten libyschen Geheimdienstmann Abdel Barsit El Megrahi für den Täter halten und sich vor zwei Jahren heftig über dessen Freilassung "aus medizinischen Gründen" aus einem schottischen Gefängnis empörten, fühlen sich die Familien der 43 britischen Opfer bis heute verschaukelt. Sie glauben, daß der Iran den Anschlag als Retourkutsche für den Abschuß einer iranischen Pilgermaschine im Sommer 2008 über dem Persischen Golf durch den US-Lenkwaffenzerstörer Vincennes durchführen ließ und daß diese Tatsache von den zuständigen Stellen in London und Washington bis heute vertuscht wird. Vor diesem Hintergrund ist Wolfowitz' Behauptung, die Lockerbie-Familien wollten eher vom Tod ihrer Lieben profitieren, als bei der Forderung nach Gerechtigkeit zu bleiben - was sie auf unterschiedliche Weise tun -, eine Verleumdung, die an Gemeinheit ihresgleichen sucht.

1. März 2011