Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

MEDIEN/450: Journalisten nach Awlaki-Mord weltweit in Gefahr (SB)


Journalisten nach Awlaki-Mord weltweit in Gefahr

US-Militär steht mit der Informationsfreiheit auf Kriegsfuß


Bei Bürgerrechtlern in den USA hat die Liquidierung des muslimischen "Radikalpredigers" Anwar Al Awlaki in Jemen am 30. September mittels eines von der CIA per Drohne durchgeführten Raketenanschlags Entsetzen und Bestürzung ausgelöst. Zu Recht, denn der 1971 in New Mexico geborene und im Südwesten der USA aufgewachsene Jemenit Awlaki gilt als der erste Bürger Amerikas, der am Justizsystem vorbei auf Befehl des Präsidenten hingerichtet wurde. Namhafte Staatsrechtler wie Jonathan Turley von der George Washington University, Michael Ratner vom New Yorker Center for Constitutional Rights und Glenn Greenwald, Betreiber des Blogs Unclaimed Territory bei der Onlinezeitung Salon, werfen Barack Obama offen vor, durch die Erteilung der Anweisung zur Auslöschung Awlakis seinen Amtseid, die Verfassung der USA zu schützen, die jeden Bürger das Recht auf Leben ohne staatliche Willkür garantiert, gebrochen zu haben.

Während Greenwald, Ratner und Turley zur linksliberalen Intelligenz Amerikas gezählt werden, gibt es auch auf rechter republikanischer Seite vereinzelte Stimmen, die das Vorgehen der demokratischen Obama-Regierung in der Awlaki-Angelegenheit verurteilen. Bei einem Auftritt am 5. Oktober im National Press Club hat Ron Paul, libertärer Kongreßabgeordneter aus Texas und derzeit zum zweiten Mal nach 2008 Bewerber um die Nominierung zum offiziellen Kandidaten der Republikaner für die Präsidentenwahl im kommenden Jahr, davor gewarnt, daß, sofern es keine großen Proteste gegen die Ermordung Awlakis gibt und die Obama-Administration mit diesem Willkürakt durchkommt, als nächstes die Namen mißliebiger Journalisten, welche den Propagandabotschaften Washingtons im sogenannten "globalen Antiterrorkrieg" widersprechen, auf die geheime Tötungsliste des Nationalen Sicherheitsrats kommen könnten. In einer Meldung der Nachrichtenagentur Associated Press vom selben Tag wurde Paul mit folgender Ermahnung an die versammelten Journalisten zitiert:

Können Sie sich vorstellen, auf einer Liste eingetragen zu werden, weil sie eine Bedrohung darstellen? Was geschieht, wenn sie [die staatlichen Behörden der USA - Anm. d. SB-Red.] die Medien ins Visier nehmen? Was, wenn die Medien zu einer Bedrohung werden? ... So wachsen solche Dinge heran - peu à peu. Wir schliddern da bereits hinein, das sei Ihnen von mir versichert.

Tatsächlich steht es um die Gefährdung derjenigen, die den "Informationskrieg" des Pentagons im Wege stehen, weitaus schlimmer als die Kassandarufe Pauls erahnen lassen. Neben Awlaki, der aufgrund angeblicher Hinweise auf seine Verwicklung in mehrere Anschlagsversuche sterben mußte, kam bei demselben Raketenanschlag im Osten Jemens auch der 25jährige Pakistanisch-Amerikaner Samir Khan aus North Carolina ums Leben, dem nichts außer der Teilnahme an der Produktion der Al-Kaida-Zeitschrift "Inspire" vorzuwerfen war. Wie Eric Walberg, der für die in Kairo erscheinende Zeitschrift Al-Ahram schreibt und Autor des vor kurzem veröffentlichten Buchs "Postmodern Imperialism: Geopolitics - and the Great Game" ist, in einem am 5. Oktober bei Informationclearinghouse.info publizierten Beitrag feststellte, bestand der "wahre Grund", weshalb Awlaki und Khan sterben mußten, allein darin, daß "sie für westliche Dissidenten charismatische Botschafter des Islams waren".

Gemäß des strategischen Dauerstrebens des Pentagons nach "full spectrum dominance" der US-Streitkräfte zu Lande und zu Wasser, in der Luft, im Weltall sowie auf der Informationsebene gehört die Ausschaltung "feindlicher" Nachrichtenquellen längst zum Standard. Das berühmteste Beispiel stellt der Raketenangriff dar, bei dem am 23. April 1999, mitten im Kosovo-Krieg der NATO gegen Jugoslawien, 16 Mitarbeiter in der Sendezentrale des serbischen Rundfunks RTS in Belgrad, allesamt Zivilisten, getötet wurden. Und auch bei der jüngsten Militäraktion der NATO zum Sturz des "Regimes" Muammar Gaddhafis in Libyen hat man nicht darauf verzichtet, den staatlichen Rundfunksender in Tripolis mit Raketen anzugreifen. Ob dabei Menschen ums Leben kamen ist unklar.

Bei der Einnahme der afghanischen Hauptstadt Kabul im Dezember 2001 und der irakischen Hauptstadt Bagdad anderthalb Jahre später wurde jedesmal das jeweilige Büro des arabischen Nachrichtensenders Al Jazeera von der US-Luftwaffe mit Raketen zerstört. Beim Vorfall in Bagdad wurde der Reporter Tarek Ayoub getötet. Am selben Tag, dem 8. April 2003, starben der Reuters-Kameramann Taras Protsyuk und Jose Couso, Kameramann des spanischen Fernsehsenders Telecinco, als sie aus einem Fenster im Hotel Palestine, damals als wichtigste Unterkunft der internationalen Presse in Bagdad bekannt, heraus Bilder vom Einmarsch amerikanischer Truppen machten. Die Besatzung eines US-Panzers hatte das Feuer auf sie eröffnet. Vor zwei Tagen hat ein Berufungsgericht in Madrid Anklage gegen die drei beteiligten US-Soldaten erhoben. Es gilt jedoch als ausgeschlossen, daß die amerikanischen Behörden die drei Tatverdächtigen an die spanischen Behörden ausliefern werden.

Die Tötung von Ayoub, Protsyuk und Couso sind lediglich die Spitze des Eisbergs. Bereits vor dem Einmarsch in den Irak gab es Hinweise, daß das US-Militär ein blutiges Exempel an denjenigen Journalisten statuieren würde, die sich nicht bei den amerikanischen oder britischen Streitkräften einbetten ließen und statt dessen beabsichtigten, auf eigene Faust aus dem Zweistromland zu berichten. Vor dem drohenden Unheil hat am 13. März 2003 - sechs Tage vor der Irakinvasion - die renommierte britische Kriegskorrespondentin Kate Adie bei einer Diskussionsrunde des ersten Radioprogramms des staatlichen irischen Rundfunksenders Raidío Teilifís Éireann (RTÉ) unter Verweis auf eine eigene ranghohe Quelle im Pentagon ausdrücklich gewarnt. So ist es auch gekommen. In den darauffolgenden Jahren starben im Irak mehr Journalisten als bei jedem anderen Krieg zuvor. Im November 2005 wurde die selbstherrliche Haltung Washingtons bezüglich einer freien Berichterstattung in Kriegszeiten offensichtlich, als bekannt wurde, daß im Jahr zuvor US-Präsident George W. Bush im Gespräch mit dem damaligen britischen Premierminister Tony Blair ernsthaft erwogen hatte, die Al-Jazeera- Zentrale in Katar in die Luft zu sprengen und den dazugehörigen Bombenanschlag dem Al-Kaida-"Netzwerk" Osama Bin Ladens in die Schuhe zu schieben.

7. Oktober 2011