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MEDIEN/471: Westliche Presse nach MH17-Unglück in Rußlandphobie (SB)


Westliche Presse nach MH17-Unglück in Rußlandphobie

Gleichschaltung der Medien deutet auf steigende Kriegsgefahr hin



In der westlichen Berichterstattung um den tragischen Absturz von Flug MH17 der Malaysian Airlines kurz nach 15.00 Uhr Ortszeit am 17. Juli über dem Osten der Ukraine hat sich eine Einseitigkeit manifestiert, die das Prinzip der Medien als "vierte Gewalt", die Exekutive, Judikative und Legislative auf die Finger schaut und durch Gründlichkeit und Objektivität Korruption und staatlicher Willkür Einhalt gebietet, Lügen straft. Die Bereitschaft scheinbar der meisten Medienvertreter in den NATO-Staaten, auch ohne genaue Kenntnis der Sachlage, Rußland und dessen Präsidenten Wladimir Putin für den Tod der 298 Insassen der Boeing-Maschine verantwortlich zu machen, gibt sehr zu denken. Tatsächlich hat man den Eindruck, führende westliche Politiker redeten sich propagandistisch in einen Konflikt mit Rußland hinein, der, sollte der Kreml nicht irgendwann einmal klein beigeben, mit Waffen ausgetragen werden muß. Daß die Presse nicht mehr tut, um besagte Politiker von ihrem Kriegskurs abzubringen, sondern sie eher noch darin bestärkt, ist mehr als bedauerlich. Vor dem Hintergrund der laufenden Gedenkverantstaltungen zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges vor 100 Jahren hätte man eigentlich mehr erwarten können.

Die Meldung vom Absturz der malaysischen Passagiermaschine war nur wenige Stunden alt, als US-Vizepräsident Joseph Biden bei einem Auftritt am frühen Nachmittag in Detroit erklärte, das Flugzeug sei "offenbar abgeschossen worden". Biden, der kurz zuvor von Putin persönlich per Telefon über das Unglück informiert worden war, räumte zwar Lücken im Erkenntnisstand Washingtons ein, legte sich aber darauf fest, daß hier kein Fehler seitens der Technik oder der Piloten vorlag: "Ich sage 'offenbar', denn wir haben eigentlich nicht alle Details. Ich will dessen, was ich sage, ganz sicher sein. Offenbar wurde sie abgeschossen. Abgeschossen, kein Unglück. Vom Himmel geholt." Während Biden, der in den vergangenen Monaten mehr als jeder andere in der Administration Barack Obamas den "pro-westlichen Kurs" Kiews vorangetrieben hat, diese Worte sprach, meldete der US-Nachrichtensender CNN unter Berufung auf ein nicht identifiziertes Mitglied der US-Geheimdienste, diese verfügten bereits über Informationen, wonach die Boeing 777 mit einer Boden-Luft-Rakete abgeschossen worden sei.

Bei einer Krisensitzung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen am 18. Juli in New York ging US-Botschafterin Samantha Power schwer mit Rußland ins Gericht. Sie behauptete, pro-russische Rebellen in der Dombass-Region der Ostukraine hätten das Flugzeug unter Verwendung entsprechenden Kriegsgerätes aus Rußland abgeschossen. Dabei verwies sie auf den Bericht eines AP-Journalisten, der in der fraglichen Region eine russische SA-11-Boden-Luft-Raketenbatterie vom Typ Buk gesehen haben wollte sowie auf die Veröffentlichung des Mitschnitts eines inkriminierenden Gesprächs zwischen einem russischen Militär und einem Rebellenkommandeur im Internet. Die Verläßlichkeit beider Hinweise - letzterer stammt vom ukrainischen Geheimdienst - auf eine Verwicklung von Akteuren in Rußland bzw. von kiewfeindlichen Aufständischen in der Ukraine ist bis heute nicht bewiesen.

Am 20. Juli nahm es Außenminister John Kerry auf sich, nacheinander bei allen fünf sonntäglichen Politrunden im US-Fernsehen aufzutreten. Neben dem aktuellen Gaza-Krieg zwischen Israel und der palästinensischen Widerstandsbewegung Hamas war der Absturz von Flug-MH17 und dessen Bedeutung für die anhaltenden Kämpfe im Osten der Ukraine und parallel dazu für die zunehmende Verschlechterung der Beziehungen zwischen dem Westen und Rußland das wichtigste Thema. Wie der Zufall so will, ereignete sich das Unglück nur zwei Tage nachdem die EU-Außenminister trotz massiven Drängens der USA keine Verschärfung der wirtschaftlichen Sanktionen gegen Rußland beschlossen hatten. Also plädierte Kerry an die EU-Kollegen, das Versäumte nachzuholen. Zum vermeintlichen Beweis für die Verwicklung Rußlands in das Unglück verwies Amerikas Chefdiplomat auf die "sozialen Medien" wie Twitter und Facebook, in denen Tage zuvor Bilder von Buk-Raketenabwehrsystemen in der Ostukraine und verdächtige Telefon- bzw. Funkgespräche der Rebellen veröffentlicht worden waren.

Sich der Unsicherheit derlei Quellen offenbar bewußt, versuchte Kerry seine Präsentation in der NBC-Sendung "Meet the Press" durch Informationen der eigenen Geheimdienste zu untermauern, als er gegenüber Moderator David Gregory erklärte: "Aber noch wichtiger, wir haben Bilder des Abschusses gemacht. Wir kennen die Flugbahn und es war genau zu dem Zeitpunkt, als dieses Flugzeug vom Radar verschwand. Von der Stimmenerkennung wissen wir auch, daß die Separatisten danach damit prahlten, es abgeschossen zu haben."

Auf die Angaben Kerrys ist aber keinerlei Verlaß. Als es am 21. August 2013 zum Einsatz von sarinhaltigen Granaten in Ghouta, einem Stadtteil von Damaskus, gekommen war, behauptete der ehemalige Senator aus Massachusetts in einer Fernsehrede neun Tage später ganze 35 mal, er wisse, daß die Streitkräfte von Baschar al Assad den Giftgasangriff durchgeführt und dabei 1427 Menschen getötet hätten. Damals drängten die Kriegstreiber im US-Kongreß um den republikanischen Senator John McCain sowie die Regierungen Israels und Saudi-Arabiens Obama dazu, als Bestrafung für den Einsatz von "Massenvernichtungswaffen" einen großangelegten Raketenangriff gegen die staatlichen syrischen Streitkräfte anzuordnen. Doch die in der US-Bevölkerung vorherrschende, große Ablehnung einer Beteiligung ihres Landes an einem erneuten Krieg im Nahen Osten hat Obama quasi im letzten Moment dazu veranlaßt, den entsprechenden Befehl nicht zu erteilen. Inzwischen deutet alles darauf hin, daß es sich bei dem Giftgasangriff um eine Falsche-Flagge-Operation der maßgeblich von Saudi-Arabien gesteuerten Dschihadisten handelte. [1] Bis heute hat Kerry nicht erklärt, woher er die vierstellige Zahl 1427 hatte, wo doch alle Ärzteorganisationen vor Ort von lediglich 200 bis 300 Todesopfern sprachen.

In Reaktion auf die Beschuldigungen Bidens, Powers und Kerrys veröffentlichte das russische Verteidigungsministerium am 21. Juli eigene Satellitenbilder der Dombass-Region zum Zeitpunkt des Absturzes von Flug-MH17 und aus den Tagen davor. Daraus ging hervor, daß sich mindestens eine Buk-Boden-Luft-Raketenbatterie der ukrainischen Armee in einer Position befand, von der aus man das malaysische Flugzeug hätte abschießen können. Darüber hinaus zeigten die russischen Bildaufnahmen einen ukrainischen Kampfjet vom Typ Su-25 in der Nähe von Flug-MH17 kurz vor dem Absturz. Also besteht die Möglichkeit, daß die Rakete, sollte die Passagiermaschine tatsächlich abgeschossen worden sein, nicht vom Boden, sondern auch vom Piloten der ukrainischen Su-25 abgefeuert wurde.

Mit Blick auf diese Widersprüche versuchten mehrere Reporter am selben Tag in Washington, Kerrys Sprecherin im State Department, Marie Harf, genauere Details des Kenntnisstands der Obama-Regierung zu entlocken. Genau wie ihr Dienstherr Kerry versuchte auch Harf die Journalisten mit dem Hinweis auf die in den "sozialen Medien" grassierenden Informationen abzuspeisen. Als ein Korrespondent die neuen Angaben des russischen Verteidigungsministeriums als höherwertiger und verläßlicher einstufte als die Informationen des State Department, wurde Harf ungehalten. Rußland betreibe Propaganda; die russischen Medien richteten sich alle nach dem Kreml; in den USA betreibe man bekanntlich Informationsfreiheit; ein solcher Vergleich sei indiskutabel, so Harf. Als ein Journalist dennoch nachhakte, ob Washington demnächst die Satellitenbilder vom Abfeuern der fraglichen Buk-Boden-Luft-Rakete, über welche die USA laut Kerry verfügten, zu veröffentlichen gedenke, wich Harf mit dem Totschlagsargument der nationalen Sicherheit ins Nebulöse aus.

Letztlich läuft die Position Washingtons im Fall von Flug-MH17 auf folgendes manichäisches Fazit hinaus: Weil der Westen das Gute verkörpert, kann er - die neuen Verbündeten in Kiew eingeschlossen - per se nicht für den Absturz der Maschine verantwortlich gewesen sein; ein solches Verbrechen sei nur einem "Regime" wie demjenigen Putins zuzutrauen. Wer das glaubt, wird selig.

Fußnote:

1. http://www.documentcloud.org/documents/1006045-possible- implications-of-bad-intelligence.html#storylink=relast

24. Juli 2014