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MILITÄR/792: USA verlieren Materialschlacht am Hindukusch (SB)


USA verlieren Materialschlacht am Hindukusch

Wirbelsäulenverletzungen bei Panzerfahrzeuginsassen angestiegen


Für das Fiskaljahr 2010 sind im US-Haushalt 130 Milliarden Dollar zur Deckung der laufenden Kosten der Kriege im Irak und in Afghanistan vorgesehen. Sie wurden vor einiger Zeit vom Kongreß als Teil des Wehretats für 2010 in Höhe von 668 Milliarden Dollar bewilligt. Nichtsdestotrotz berichtete die New York Times am 5. November unter Verweis auf Robert Hale, den Rechnungsprüfer des Pentagons, daß die 130 Milliarden vermutlich bis Ende des Fiskaljahrs 2010 im September kommenden Jahres vor allem wegen der explodierenden Kosten des Kriegseinsatzes in Afghanistan nicht reichen werden. Darüberhinausgehende finanzielle Belastungen kommen auf den US-Haushalt zu, sollte Präsident Barack Obama der Forderung des ISAF-Oberkommandierenden General Stanley McChrystal nach Entsendung weiterer 40.000 bis 80.000 Soldaten nachkommen. Dies räumte Admiral Michael Mullen, der Vorsitzende der Vereinigten Stabschefs, am 4. November bei einem Auftritt im Washingtoner National Press Club auf Nachfrage eines Journalisten ein. Bei geschätzten Kosten der Stationierung eines einzelnen US-Soldaten für ein Jahr in Afghanistan von einer Million Dollar kann man gut nachvollziehen, warum Obama zögert, weitere Truppen an den Hindukusch zu entsenden, und warum die Washington Post am 31. Oktober unter Verweis auf Quellen im Regierungsapparat berichtete, McChrystal bekäme höchstens 26.000 Mann für den Kampf gegen die Taliban.

Die militärische Lage der USA und ihrer Verbündeten in Afghanistan sieht derzeit nicht nur nicht rosig aus, sondern verschlechtert sich zusehends. Der Oktober 2009 war für die US-Streitkräfte mit 55 Gefallenen der verlustreichste Monat seit dem Beginn der Operation Enduring Freedom vor genau acht Jahren. In den ersten fünf Monaten 2009 lag die Zahl der Überfälle der Taliban auf die Koalitionsstreitkräfte um 59 Prozent höher als im selben Zeitraum 2008. Die Angriffe der Taliban unter Einsatz von Straßenminen sind sogar um 114 Prozent gestiegen. Nicht umsonst räumt die US-Armee in letzter Zeit im Süden Afghanistans gefährdete Außenposten und zieht sich auf die größeren Stützpunkte zurück.

McChrystal will zusätzliche Soldaten, weil er ansonsten befürchtet, daß die NATO den Krieg verlieren könnte. Skeptiker dagegen behaupten, der Krieg sei bereits verloren, weitere ausländische Soldaten würden nur noch mehr Afghanen in die Arme der Besatzungsgegner treiben. Seit ein afghanischer Polizist am 3. November auf einem Stützpunkt in der südafghanischen Provinz Helmand fünf britische Soldaten erschoß und sechs weitere durch Schüsse verletzte, geht bei den westlichen Militärs die berechtigte Angst vor einer Unterwanderung jener Sicherheitskräfte, für deren Aufbau man Milliarden ausgibt, durch Taliban-Sympathisanten um. Wohlwissend um die schwierige, wenn nicht sogar ausweglose militärische Lage sollen die USA bereits erste inoffizielle Kontakte zur Taliban-Führung um Mullah Muhammed Omar aufgenommen haben. Dies berichteten am 5. November in der jungen Welt Rainer Rupp unter Verweis auf die Website Islam Online und am 6. November Pepe Escobar in der Asia Times Online. Angeblich haben die Amerikaner den Taliban angeboten, sie wieder in den politischen Prozeß einzubinden und ihnen sogar das Gouverneursamt in Kandahar und fünf weiteren südafghanischen Provinzen zu überlassen. Als Gegenleistung sollten die Aufständischen von ihrer Forderung eines vollständigen Abzugs aller ausländischen Streitkräfte absehen und den Amerikanern den Betrieb von acht dauerhaften Stützpunkten auf afghanischem Territorium zugestehen. Über ihren ehemaligen Außenminister Mullah Muttawakkil sollen die Taliban, die weite Teile des ländlichen Gebietes bereits kontrollieren, das Angebot ausgeschlagen haben.

Das Angebot läßt jedoch deutlich erkennen, worum es den US-Militärs in Afghanistan geht, nämlich mitnichten um "Demokratie" oder "Frauenrechte" oder "Wiederaufbau" - von den indiskutablen, weil mehr als durchsichtigen Vorwänden "Antidrogenkrieg" und "Antiterrorkrieg" ganz zu schweigen -, sondern in aller erster Linie um die Integrierung des am westlichen Hindukusch und damit an China, Rußland und dem Iran strategisch gelegenen Landes in das weltumspannende Basenimperium des Pentagons. Auch wenn derzeit viel davon die Rede ist, daß die USA und ihre NATO-Partner den Krieg in Afghanistan gewinnen müssen bzw. zumindest nicht verlieren dürfen, so klingt eines bei all den Durchhalteparolen durch: man ist nach Afghanistan gegangen, um zu bleiben. Auch wenn morgen die Obama-Regierung überraschend ankündigen sollte, im Verlauf irgendwelcher Geheimverhandlungen habe man sich mit den Taliban arrangiert, diese hätten versprochen, Osama Bin Ladens Al-Kaida-"Netzwerk" nicht mehr zu unterstützen, dafür wollten die USA aus Afghanistan abziehen, so liefe dies auf eine ähnliche Entwicklung wie im Irak hinaus. Der Abzug der Amerikaner dort, der bis Ende 2011 vollzogen werden soll, bezieht sich lediglich auf die Kampfeinheiten. In einem Netzwerk von riesigen "dauerhaften" Stützpunkten werden zehntausende US-Soldaten und Mitarbeiter irgendwelcher privater Militärdienstleistungsunternehmen unter dem Vorwand stationiert bleiben, die irakischen Streitkräfte auszubilden und ihnen bei der Wartung und Bedienung ihres neuen Kriegsgerätes Made in the USA helfen zu können.

In einem faszinierenden Artikel, der am 6. November bei TomDispatch.com unter der Überschrift "2014 or Bust: The Pentagon's Afghan Building Boom" erschienen ist, berichtet Nick Turse über die massiven Bauaktivitäten des Pentagons und dessen Auftragsfirmen, um dem "Fußabdruck" der US-Militärs in Afghanistan dauerhafte Gestalt zu verleihen. Die von Turse aufgelisteten Fakten sind beeindruckend wie zugleich erschreckend. Während die U.S. Agency for International Development 2009 20 Millionen Dollar für Entwicklungshilfe in Afghanistan ausgab, investierte dort das Pentagon in selbem Zeitraum 2,2 Milliarden - allein 834 Millionen davon flossen in Bauprojekte. 2010 will das US-Militär 1,3 Milliarden Dollar in 100 Projekte an mehr als 40 verschiedenen Orten in Afghanistan stecken. Das beste Beispiel ist der Luftwaffenspützpunkt Bagram bei Kabul, derzeit Zuhause für 20.000 US-Soldaten sowie Tausende weiterer NATO-Kameraden und Mitarbeiter ziviler Dienstleistungsunternehmen. Allein auf dem der US-Luftwaffe zugewiesenen Teil des mehr als 1000 Hektar großen Stützpunktes sind Bauprojekte im Wert von mehr als 200 Millionen Dollar bereits angelaufen oder in der Planungsphase. Dazu gehören ein 30 Millionen Dollar teurer Passagierterminal mit angeschlossener Cargo-Abfertigungsanlage. Währenddessen läuft in Bagram der Bau eines 60 Millionen Dollar teuren Internierungslagers für rund 1000 Gefangene auf Hochtouren. Turse führt zahlreiche Hinweise an, die die Absicht des US-Militärs zum längeren Verbleib in Afghanistan belegen wie beispielsweise ein im September an das private Geheimdienstunternehmen SOS International vergebener Auftrag unter anderem für Dolmetscherdienste, der erst 2014 ausläuft.

Währenddessen stoßen die Bemühungen der Amerikaner, ihre rüstungstechnologische Überlegenheit in Afghanistan zur Geltung zu bringen, an einigen Stellen an ihre Grenzen. Um die Soldaten bei Straßenfahrten vor Minen und Überfällen zu schützen, hat das Pentagon rund 3500 1,4 Millionen Dollar teure, 14 Tonnen schwere, gepanzerte MRAP-Fahrzeuge (von Mine Resistant Ambush Protected) nach Afghanistan verschifft. Zwar halten diese Ungetüme die äußere Sprengwirkung der Taliban-Minen von den Insassen der Fahrzeuge fern, doch inzwischen bauen die Taliban ihre Sprengfallen so groß, daß bei der Explosion das MRAP-Fahrzeug in die Luft geschleudert wird, um mit einem schweren Knall - manchmal auf der Seite oder mit der Oberseite - auf dem Boden aufzuschlagen. In einem Artikel, der Gregg Zoroya zu diesem Thema am 4. November bei der Tageszeitung USA TODAY unter der Überschrift "Spinal injuries up among troops" veröffentlichte, kehren deshalb immer mehr Soldaten, die eine solche Minenexplosion im Innern eines MRAP-Fahrzeuges er- bzw. überlebt haben, mit schwersten Wirbelsäulenverletzungen nach Hause zurück.

6. November 2009