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MILITÄR/793: US-Luftwaffe hält an der Atombombe fest (SB)


US-Luftwaffe hält an der Atombombe fest

Strategisches Bomberkommando der USA befürchtet Bedeutungsverlust


Mit deutlichen Signalen hat sich der neue US-Präsident Barack Obama zu einer Welt ohne Atomwaffen bekannt. Hierzu gehören seine Grundsatzrede im April in Prag, seine im Juli in Moskau mit dem Amtskollegen Dmitri Medwedew erzielte Vereinbarung, die Anzahl der unmittelbar einsatzfähigen amerikanischen und russischen Nuklearsprengköpfe um ein Drittel auf jeweils rund 1500 zu reduzieren, und seine Teilnahme als erster US-Präsident der Geschichte an einer Sitzung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen im September zwecks Verabschiedung einer Resolution zur Stärkung der internationalen Bemühungen um die Nicht-Verbreitung von Atomwaffen. Des weiteren soll Obama diejenigen Beamten im Pentagon, die derzeit mit dem Entwurf der neuen, alle fünf Jahre zu erneuernden Nuclear Posture Review (NPR) der US-Streitkräfte befaßt sind, aufgefordert haben, ihm "radikalere Optionen" vorzulegen, die dem langfristigen Ziel der Abschaffung aller Atomwaffen dienlich sind.

Angestoßen von der neuen Kernwaffenpolitik des Weißen Hauses tobt derzeit im Kongreß, im Pentagon, bei den strategischen Streitkräften, im Energieministerium, in den ihm unterstehenden Nationalen Atomlaboren Lawrence Livermore, Los Alamos und Sandia, sowie in den Washingtoner Denkfabriken und Teilen der US-Rüstungindustrie eine Debatte um das amerikanische Atombombenarsenal. Zu den wichtigsten Streitpunkten gehören Fragen um die ideale Größe des "nuclear stockpile" und dazu, ob und wie lange man es, ohne neue Sprengköpfe bauen und testen zu müssen, erhalten kann. Während die Obama-Regierung demnächst den Senat dazu bringen will, das Teststoppabkommen endlich zu ratifizieren, wehren sich die Republikaner dort energisch gegen das Ansinnen der Demokraten. Sie behaupten, das bestehende Atomwaffenarsenal rotte vor sich hin, die Waffen würden bald nicht mehr zu gebrauchen sein, daher müßten die USA eine neue Generation an Atomwaffen bauen und testen, um Amerikas Führungsposition aufrechterhalten und potentielle Feinde von eventuellen Überraschungsangriffen abschrecken zu können.

Eine neue Expertise hat die hysterischen Warnungen der Republikaner im Senat vor dem drohenden Verlust nuklearer Potenz als Ammenmärchen entlarvt. In ihrem jüngsten Bericht ist die Jason Defense Advisory Group, eine unabhängige Gruppe von Wissenschaftlern, welche im Auftrag des Mitre-Konzerns die US-Regierung in Sachen modernster Militärtechnologie berät, zu dem Schluß gekommen, daß Amerikas Atomsprengköpfe keine nennenswerten Alterungserscheinungen aufweisen und von daher auf der Basis regelmäßiger Wartung "auf Jahrzehnte hinaus" einsatzfähig bleiben werden. Eine unzensierte Zusammenfassung der vollständigen Analyse der Jason-Gruppe ist am 19. November erschienen. Darüber berichtete William Broad am nächsten Tag in der New York Times unter der eindeutigen Überschrift "Panel Sees No Need for A-Bomb Upgrade", zu deutsch "Gremium sieht für A-Bomben-Erneuerung keinen Bedarf". Broad zitierte Jeffrey G. Lewis, den Atomwaffenexperten der Washingtoner New America Foundation, dahingehend, daß der Bericht der Jason-Gruppe "einen Pfahl durchs Herz" des Reliable Replacement Warhead, einer Initiative der Regierung George W. Bushs zur Entwicklung und zum Bau einer neuen Generation von Nuklearsprengköpfen, "treiben müßte".

Wie jeder Kenner des Vampirgenres jedoch weiß, leben Untote länger. Selbst wenn Graf Drakula endgültig besiegt erscheint und zum Beispiel durch Sonnenlicht zu Asche geworden ist, gibt es doch noch irgendein Faktotum, das den Staub seines Meisters aufsammelt und diesen durch das Hinzufügen frischen Menschenbluts zum neuen Leben erweckt. Beim US-Atomwaffenarsenal scheint es sich ähnlich zu verhalten. Am Tag der Veröffentlichung der Studie der Jason-Gruppe meldete General Kevin Chilton auf einer Konferenz der Air Force Association (AFA), eines Interessenverbands aller Anhänger der US-Luftwaffe, Widerspruch an. Der Oberkommandierende des U. S. Strategic Command und damit von Amerikas nuklearer Bomberflotte, behauptete, die Nationallabore seien in einem "katastrophalen Zustand", weshalb man dort erhöhte Investitionen und eine neue Generation an jungen Wissenschaftlern bräuchte. In einem Artikel der Air Force Times vom 22. November wird Chilton mit den wundersamen Worten zitiert: "Wir können nicht einfach die Waffen des Kalten Krieges in unserem Arsenal erhalten ... Die Welt des 21. Jahrhunderts ist eine neue, und wir brauchen Waffen, die für das 21. Jahrhundert konzipiert wurden und dessen Bedürfnisse decken." Etwas anderes vom Nachfolger des berühmt-berüchtigten Curtis LeMays, der in der Kuba-Krise 1962 erfolglos US-Präsident John F. Kennedy dazu drängte, den Befehl für einen Atomangriff auf die Sowjetunion zu erteilen, wäre nicht zu erwarten gewesen.

23. November 2009