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MILITÄR/811: Afghanische Zivilisten bei nächtlicher Razzia getötet (SB)


Mörderische Überfälle von US-Spezialkommandos auf die Bevölkerung


Die Kriegsführung der Besatzungsmächte gegen den afghanischen Widerstand fordert unablässig Opfer unter der Zivilbevölkerung, die für sich einzunehmen den Okkupationstruppen zwangsläufig immer schwerer gelingt. Neben Massakern bei Luftangriffen sind es insbesondere die berüchtigten nächtlichen Razzien ausländischer Spezialkräfte, die Afghanen in wachsender Zahl in dem Wunsch bestärken, die fremden Soldaten lieber heute als morgen endgültig loszuwerden.

Im Osten Afghanistans ist es gestern zu schweren Zusammenstößen zwischen Polizeikräften und mehreren hundert Dorfbewohnern gekommen, bei denen nach Angaben des Vorsitzenden des örtlichen Provinzrats, Hadschi Dschamal, ein Mensch getötet wurde. Ein weiterer Demonstrant erlag Berichten zufolge seinen Schußverletzungen in einem Krankenhaus. Bei der Demonstration in der Provinz Nangarhar hat die Polizei einem Reuters-Reporter zufolge in die Menschenmenge geschossen. Zuvor hatten wütende Demonstranten Straßenblockaden errichtet, Autoreifen in Brand gesteckt und Regierungsgebäude mit Steinen beworfen. Dabei skandierten sie: "Tod den Amerikanern! Tod Karzai! Lang leben die Taliban!" [1]

Die protestierenden Dorfbewohner warfen den NATO-Truppen vor, bei einer nächtlichen Razzia in der Provinz Nangahar elf Zivilisten getötet zu haben, deren Leichname sie mit sich trugen. Ein Anwohner berichtete über den nächtlichen Vorfall, er habe mehrere Hubschrauber landen sehen, worauf Schüsse gefallen seien. Afghanische und ausländische Soldaten hätten mehrere Häuser durchsucht. Am nächsten Morgen seien neun Leichen gefunden worden. Zwei Menschen würden noch vermißt. Einem Regierungsvertreter im Bezirk Surch Rod zufolge handelt es sich bei den Toten der Razzia um einen Vater, seine vier Söhne sowie vier Mitglieder einer anderen Familie. "Sie waren unschuldig. Sie waren weder Aufständische noch Extremisten", sagte Mohammed Arish der Nachrichtenagentur AP. [2]

Daraufhin bestätigte ein Sprecher der NATO, daß es in der Region Angriffe von Einheiten des Bündnisses gemeinsam mit der afghanischen Armee gegeben habe. Wie er jedoch behauptete, seien die Soldaten von Aufständischen angegriffen worden. Daraufhin habe sich ein Feuergefecht entwickelt, in dessen Verlauf acht Extremisten getötet worden seien, unter ihnen ein Taliban-Kommandeur. Zivilisten seien nicht zu Schaden gekommen, doch werde der Vorwurf geprüft.

Damit ist es in diesem Distrikt zum zweiten Mal in einem Zeitraum von kaum mehr als drei Wochen bei einer nächtlichen Razzia der US-Streitkräfte zu Todesopfern unter der Zivilbevölkerung gekommen. Am 28. April war das Haus der Parlamentsabgeordneten Safia Sidiqui überfallen worden. Einer ihrer Verwandten, der mit einer Schrotflinte vor die Tür trat, um die vermeintlichen Diebe zu verjagen, wurde von den Soldaten erschossen.

Die New York Times interviewte Sidiqui, die angereist war, um mit den Überlebenden der zweiten tödlichen Razzia zu sprechen. Ihren Angaben zufolge handelte es sich bei den Opfern durchweg um Bauern, die zuvor bis in die Nacht gearbeitet hatten, um Getreide zu dreschen. Unter den Toten habe sich ein zwölfjähriger Junge und ein 70 Jahre alter Mann befunden. Die US-Soldaten hätten sie erschossen, als sie von ihren Schlafstellen aufsprangen. Berichte der Angreifer, man habe diverse gefährliche Waffen im Haus gefunden, dementierte die Abgeordnete. Es habe sich lediglich um zwei Flinten gehandelt, wie sie jeder afghanische Bauer besitzt. Wie sollten sie damit etwas gegen hundert Amerikaner und deren moderne Waffen ausrichten.

Allein im März und April dieses Jahres wurden nach afghanischen Angaben 170 Zivilisten getötet. Aufgrund dieser Todesfälle kam es wiederholt zu heftigen Kontroversen zwischen der afghanischen Regierung und ihren ausländischen Verbündeten. US-Präsident Barack Obama sah sich jüngst bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit seiner Kabuler Marionette Hamid Karzai im Weißen Haus gezwungen, auf die zivilen Opfer einzugehen. Wie er dabei behauptete, seien getötete Zivilisten für ihn nicht nur ein politisches Problem. Genau wie General Stanley McChrystal sei er selbst persönlich dafür verantwortlich, wenn ein Mensch außerhalb des Schlachtfeldes getötet werde. Ihm bereite es keine Freude, einen Bericht über zivile Opfer zu hören, denn dafür sei er nicht Präsident geworden. Den vielen tausend Afghanen, deren Angehörige seit Obamas Amtsantritt im Januar 2009 getötet wurden, können solche Worte kein Trost sein, zumal seine massive Truppenaufstockung zweifellos die Opferzahlen weiter steigen läßt.

Wie der Oberbefehlshaber der Internationalen Afghanistan-Schutztruppe ISAF und der US-Streitkräfte, General Stanley McChrystal, unterdessen erklärt hat, sei der Krieg in Afghanistan seiner Einschätzung nach noch lange nicht entschieden. "Im Moment würde ich sagen, daß niemand dabei ist, zu gewinnen", sagte er in einem Interview des Fernsehsenders PBS. Diese Situation wertete McChrystal jedoch als Fortschritt. Noch vor einem Jahr hätten die Aufständischen gedacht, sie seien auf dem Vormarsch: "Ich glaube, das ist vorbei." Er halte den Plan Präsident Barack Obamas, ab Juli 2011 die Zahl der US-amerikanischen Soldaten in Afghanistan zu reduzieren, für "sehr realistisch". Dennoch werde die Präsenz amerikanischer Truppen am Hindukusch noch weit über diesen Zeitpunkt hinaus erforderlich sein, um einheimische Sicherheitskräfte zu unterstützen.

Anmerkungen:

[1] Toter bei Protesten gegen Nato-Angriff in Afghanistan (15.05.10)
http://de.reuters.com/article/worldNews/idDEBEE64D08R20100514

[2] Wütende Proteste gegen Nato-Einsatz (15.05.10)
http://www.faz.net/s/Rub0CCA23BC3D3C4C78914F85BED3B53F3C/Doc~E313127A7615D4C978DF9839B87B9AD0A~ATpl~Ecommon~Scontent.html

[3] Afghans protest over US massacre of civilians (15.05.10)
World Socialist Web Site

15. Mai 2010