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MILITÄR/817: "Vernetzte Sicherheit" - Militarisierung der Entwicklungshilfe (SB)


Zivil-militärische Zusammenarbeit bei der Okkupation Afghanistans


In einer Welt dramatisch schwindender Ressourcen, die weniger denn je für die gesamte Menschheit ausreichen, konzentrieren sich die strategischen Interventionen der führenden Mächte auf die künftige Überlebenssicherung einer elitären Minderheit sowohl im Verhältnis der Nationen und Bündnisse zueinander als auch mit Blick auf innerstaatliche gesellschaftliche Hierarchien. Wenn daher davon die Rede ist, die traditionelle Außenpolitik in eine weltweite Innenpolitik der stärksten Militärkomplexe zu überführen, gilt dies zwangsläufig sowohl der Kriegsführung an fernen Schauplätzen als auch einem repressiven Ausbau der inneren Sicherheit.

Für Interventionen im Ausland ergibt sich daraus schon seit geraumer Zeit ein deutlich verändertes Anforderungsprofil, da der Sieg auf dem Schlachtfeld nicht länger alleiniges oder letztgültiges Ziel ist, sondern zunehmend von einer angestrebten politischen und sozialen Kontrolle der Bevölkerung abgelöst oder um sie ergänzt wird. Um eine Krisenregion zu stabilisieren, also dauerhafte Kontrolle über sie zu erlangen, ist aus westlicher Sicht eine langfristige Besatzung und ein Umbau der Gesellschaftsordnung nach den Maßgaben der Okkupationsmächte unverzichtbar, wie dies unter dem strategischen Entwurf des Nation Building betrieben wird. Die Kriege auf dem Balkan, im Irak oder in Afghanistan zeigen, daß dem Neuaufbau der Protektorate in aller Regel die militärische Zerschlagung vorhandener Staaten und Strukturen vorangeht. Waffengewalt hat mithin keinesfalls ausgedient, sondern bleibt das entscheidende Fundament der Einflußnahme, wenngleich sie notwendig um weitere Werkzeuge der Intervention ergänzt werden muß.

Auf ein einfaches Bild gebracht, kämpfen die stärksten Räuberbanden langfristig gegeneinander um die Beute in Gestalt rapide wachsender Teile der Weltbevölkerung, ohne jemals in deren Verschlingen innezuhalten. In diesem Prozeß werden progressiv Not und Elend produziert, wobei die präventive Eindämmung oder aktuelle Unterdrückung des daraus resultierenden Aufbegehrens steigende Aufwände erforderlich macht. Bekämpft wird nicht die Armut, vielmehr wird der Krieg in all seinen Aspekten ökonomischer, politischer, sozialer und militärischer Art vorrangig und permanent gegen die Armen in Stellung gebracht. Als Bürgerkriege, ethnische Konflikte oder religiöse Auseinandersetzungen in Erscheinung tretende oder ideologisch als solche verschleierte Krisenlagen werden aus der Armut gespeist oder zumindest in hohem Maße von ihr beeinflußt. [1]

Afghanistan ist in mehrfacher Hinsicht ein exemplarisches Beispiel der innovativen westlichen Interventionsstrategie. Auf einen relativ kurzen bewaffneten Angriff, der mit der vermeintlichen Niederlage der Taliban abgeschlossen zu sein schien, folgte die Phase einer dauerhaften Besatzung, deren weitgehende Umlastung auf eine einheimische Marionettenregierung und deren aufzubauende Sicherheitskräfte jedoch mißlungen ist. Dem Vorhaben, die afghanische Gesellschaft nach den Maßgaben westlicher wirtschaftlicher und politischer Prioritäten zügig umzugestalten, stellten sich wachsende Widerstände in den Weg, die eine permanente Kriegsführung der ausländischen Truppen erzwangen, wollte man die angestrebte Kontrolle dieser Region zwischen den Rivalen Rußland und China nicht preisgeben.

Dazu heißt es in einem im Auftrag des NATO-Generalsekretärs im Mai 2010 vorgelegten Entwurf für ein neues Strategisches Konzept: "Angesichts des komplexen und unvorhersagbaren Sicherheitsklimas, das höchstwahrscheinlich in den nächsten Jahrzehnten vorherrschen wird, ist es unmöglich, eine NATO-Teilnahme an ähnlichen (hoffentlich weniger ausufernden) Stabilisierungseinsätzen auszuschließen." In dieser Feststellung klingt sowohl die Entschlossenheit, sich auf lange Sicht in dieser Weltregion festzusetzen, als auch die damit verbundene Sorge um die begrenzte Kapazität der eigenen Mittel an. Wenngleich die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten nicht die Absicht haben, Afghanistan je wieder vollständig zu verlassen, sehen sie sich doch zu einem Abzug erheblicher Teile ihrer dort gebundenen Kampftruppen gezwungen, da diese für weitere Kriege benötigt werden.

Wie die Erfahrungen in Afghanistan und im Irak gezeigt haben, fehlen den Streitkräften der Besatzungsmächte wesentliche Fähigkeiten zum Umbau der Gesellschaft und zur langfristigen Kontrolle der Bevölkerung. Entwürfe wie "Comprehensive Approach" oder "Vernetzte Sicherheit" repräsentieren daher das modifizierte Leitbild einer zivil-militärischen Zusammenarbeit, die Kompetenzen ziviler Akteure in das Gesamtkonzept einbinden und eben jene "weiche" Herrschaft etablieren soll, die zu errichten den Militärs versagt ist.

Für die in Afghanistan präsenten Hilfsorganisationen führt diese Tendenz zur Unterordnung der Entwicklungshilfe unter politische und militärische Zielsetzungen zu einer erheblichen Erschwerung und Einschränkung ihrer Arbeit. Ihre Glaubwürdigkeit als unabhängige und unparteiliche humanitäre Akteure schwindet, da sie von Teilen der Bevölkerung zunehmend als Parteigänger der Besatzungstruppen gesehen und von den Aufständischen als Angriffsziele eingestuft werden. Auf ihrer Jahrespressekonferenz am 30.6.2010 kritisierte die Hilfs- und Menschenrechtsorganisation medico international daher die Strategie der "Vernetzten Sicherheit".

Wie ihr Geschäftsführer Thomas Gebauer warnte, diene die Entsendung von Truppen nicht mehr dazu, ein sicheres Umfeld für den Wiederaufbau zu schaffen. Vielmehr seien es die zivilen Maßnahmen, die nun zur Absicherung des militärischen Handelns beitragen. Die Vermischung von ziviler Hilfe und militärischen Einsätzen führe dazu, daß Helfer und ausländische Soldaten in der Wahrnehmung der Bevölkerung verschmelzen. Dies mache auch die einheimischen Projektpartner verstärkt zur Zielscheibe, so daß es zu tödlichen Angriffe mit Opfern vor allem unter den lokalen Mitarbeitern der Hilfswerke komme. Obgleich es angesichts der herrschenden Armut oftmals keine Alternative zur Hilfe von außen gebe, könne diesen unter dem Diktat ihrer Instrumentalisierung für militärische Zwecke vielerorts nicht mehr geleistet werden. [2]

Auf einer Afghanistan-Konferenz am 24.11.2009 in Berlin wies Gebauer in seiner Rede darauf hin, daß die Bewohner dieses Landes zu den Leidtragenden einer Intervention würden, die doch in ihrem Namen stattgefunden haben soll. Selbst die wenigen Erfolge, die in den zurückliegenden Jahren erzielt wurden, stünden heute unter Druck. Von Januar bis September 2009 habe man 114 Übergriffe auf Mitarbeiter von Hilfsorganisationen verzeichnet, bei denen 17 Personen ums Leben kamen. Zunehmend sei auch das Personal von Krankenhäusern, Schulen und anderen öffentlichen Einrichtungen zum Ziel von Anschlägen geworden. Die Präsenz von ausländischen Soldaten bedeute keineswegs ein Mehr an Schutz, sondern ein zusätzliches Risiko. Das erklärte Ziel der internationalen Schutztruppen, ein sicheres Umfeld für den Wiederaufbau des Landes zu schaffen, sei gescheitert.

Wenn das US-Außenministerium die Arbeit der Minenräumer in Afghanistan lobe, so preise man in Washington nicht etwa das Minenräumen selbst, sondern seine Funktion als Mittel der Aufstandsbekämpfung: Minenräumer bezögen ein Gehalt, weshalb sie weniger anfällig seien, sich der Opposition anzuschließen. Dieses Beispiel zeige, wie humanitäre und entwicklungspolitische Vorhaben Schritt für Schritt strategischen Zielen untergeordnet würden. Der Bau von Schulen und Krankenstationen, die Förderung landwirtschaftlicher Alternativen zum Drogenanbau - all das werde als Mittel der Counterinsurgency betrachtet und gerate folglich ins Visier der bewaffneten Opposition.

Diese Entwicklung führe dazu, daß die Arbeit von Hilfsorganisationen in den Strudel des militärischen Scheiterns hineingezogen wird. Überzeugt von der zivilen Bedeutung von humanitären und Wiederaufbauprojekten, müßten die Hilfsorganisationen doch feststellen, daß eine solche Arbeit für strategische Zwecke in Dienst genommen und dabei mehr und mehr gefährdet werde. Um so notwendiger sei es deshalb für sie, auf Unabhängigkeit zu pochen. [3]

In seiner Festrede bei der Bundesakademie für Sicherheitspolitik am 25.06.2010 sagte Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel, vernetzte Sicherheit bedeute für ihn, daß Entwicklungspolitik, Außenpolitik, Verteidigungspolitik und andere Politikfelder eng aufeinander abgestimmt an gemeinsamen Zielen arbeiten. "Unter vernetzter Sicherheit verstehe ich auch, daß sich militärische und zivile Organisationen in ihrer Arbeit ergänzen, etwa beim Aufbau Afghanistans. Damit ist keine Militarisierung der Entwicklungszusammenarbeit gemeint, sondern eine notwendige und sinnvolle Arbeitsteilung zwischen Streitkräften und Hilfsorganisationen zum beiderseitigen Vorteil." [4]

Während der Bundesentwicklungsminister angesichts harscher Kritik von Seiten der Hilfsorganisationen behauptet, es gehe keineswegs um eine Militarisierung der Entwicklungszusammenarbeit, dokumentiert eine Studie der regierungsnahen "Stiftung Wissenschaft und Politik", wohin der Hase laufen soll. Sie trägt den Titel "Aufstandsbekämpfung als Auftrag" und fordert eine neue strategische Planungseinheit im Auswärtigen Amt, deren Aufgabe es wäre, die politischen, wirtschaftlichen und militärischen Aspekte der Aufstandsbekämpfung zusammenzuführen. "Mit Hilfe dieser Planungseinheit ließe sich kontinuierlich eine gemeinsame zivil-militärische Strategie für alle laufenden Auslandseinsätze erarbeiten und realisieren." Die Denkfabrik plädiert ausdrücklich für eine alleinige Kontrolle des Militärs bei konkreten Einsätzen: "Auf operativer Ebene sollte die Integration ziviler und militärischer Mittel innerhalb der Einsatzführungsstrukturen des Verteidigungsministeriums erfolgen. [...] Es sollte generell erwogen werden, das Personal der mit Auslandseinsätzen befassten zivilen Ministerien für die Dauer der Einsätze in die Strukturen des Verteidigungsministeriums einzugliedern." [5]

Anmerkungen:

[1] Globalisierung, Armut und Krieg (03.07.10)
http://www.linkezeitung.de/cms/index.php?option=com_content&task=view&id=8979&Itemid=294

[2] medico international zieht Jahresbilanz. Kritik an zivil- militärischer Zusammenarbeit (30.06.10)
http://www.medico.de/presse/pressemitteilungen/kritik-an-zivil-militaerischer-zusammenarbeit/3790/

[3] Blühende Landschaften" am Hindukusch? Bewertung aus der Sicht einer deutschen Hilfsorganisation (24.11.09)
http://www.medico.de/themen/krieg/afghanistan/dokumente/vortrag-thomas-gebauer/3649/

[4] Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel: Vernetzte Sicherheit (25.06.10)
Festrede bei der Bundesakademie für Sicherheitspolitik

[5] Noetzel, Timo/Zapfe, Martin: Aufstandsbekämpfung als Auftrag:
Instrumente und Planungsstrukturen für den ISAF-Einsatz.
SWP-Studie, Mai 2008, S. 24.

7. Juli 2010