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MILITÄR/863: USA stufen Hackerangriffe als Kriegsgrund ein (SB)


USA stufen Hackerangriffe als Kriegsgrund ein

Amerika will auch das virtuelle Schlachtfeld im Internet dominieren



Hackerangriffe, die zu schweren Schäden bei der gesellschaftlichen Infrastruktur und/oder zum Tod von Menschen führen, gelten künftig für die USA als Kriegsgrund. Dies gab am 18. September ein führender Rechtsexperte der Regierung von Präsident Barack Obama bei einer Grundsatzrede auf einer Konferenz am U.S. Cyber Command in Fort Meade, Maryland, wo nicht zufällig auch die National Security Agency (NSA), der größte Geheimdienst der Welt, ihr Hauptquartier hat, offiziell bekannt. Über diese bahnbrechende Entwicklung in Sachen Völkerrecht berichtete am darauffolgenden Tag die Washington Post unter der Überschrift "US official says cyberattacks can trigger self-defense rule". In dem Post-Artikel, den Reporterin Ellen Nakashima verfaßt hatte, hieß es:

Hackerangriffe können bewaffneten Angriffen, die das Recht auf Selbstverteidigung auslösen und den internationalen Kriegsgesetzen unterliegen, gleichkommen, erklärte der leitende Anwalt des Außenministeriums am Dienstag.
Bei der Erläuterung der Position der Regierung der USA bezüglich der Regeln, die den Cyberkrieg bestimmen, erklärte Harold Koh, der Rechtsbeistand des Ministeriums, daß ein Hackerangriff, der Tod, Verletzung oder nennenswerte Sachbeschädigung zur Folge hätte, aller Wahrscheinlichkeit nach als Gewaltanwendung und damit als Verstoß gegen das Völkerrecht gewertet werden würde.
Aus Sicht der Vereinigten Staaten löst jede illegale
Gewaltanwendung potentiell das Recht auf nationale
Selbstverteidigung aus, erklärte Koh.
(...)
"Unserer Meinung nach gibt es keine Schwelle, unterhalb dessen die Anwendung von Gewalt keine entsprechende Gewaltreaktion erforderlich machen würde", sagte er. ... Weiterhin erklärte er, daß bei der Erwiderung des Angriffs die Gegenreaktion zwar nicht im Netz erfolgen, gleichwohl eine notwendige Handlung sein muß, die angemessen ist und Schaden für Zivilisten vermeidet.

Seit einigen Jahren sieht sich der Iran schwersten Hackerangriffen ausgesetzt, die gegen sein ziviles Kernenergieprogramm gerichtet sind und die große infrastrukturelle Schäden angerichtet haben und eventuell für einige Todesfälle verantwortlich sein könnten. Unter den Namen Stuxnet und Flame sind die entsprechenden Sabotagesoftwareprogramme weltweit bekannt geworden. Bislang hat sich niemand offiziell zu den Angriffen bekannt. Man geht aber davon aus, daß ihre Urheber in staatlichen Stellen in Israel und/oder den USA sitzen. Hierfür sprechen zahlreiche Medienberichte, die sich auf die Angaben anonym gebliebener Regierungsvertreter Tel Avivs und Washingtons stützen. So wußte zum Beispiel am 1. Juni dieses Jahres die New York Times, immerhin Amerikas "Paper of Record" unter der Überschrift "Obama Order Sped Up Wave of Cyberattacks Against Iran" folgendes zu berichten:

Seit seinen ersten Monaten im Amt hat Präsident Obama zunehmend ausgeklügelte Angriffe gegen die Computersysteme angeordnet, welche die wichtigste Urananreicherungsanlage des Irans regulieren...
Nach Angaben der Beteiligten war es die Regierung George W. Bush, die unter den Codenamen "Olympische Spiele" den "ersten anhaltenden Einsatz von Cyberwaffen" initiiert hatte. Dazu die NY-Times:
Herr Obama hat beschlossen, die Angriffe ... zu forcieren, selbst nachdem ein Teil des Programms im Sommer 2010 per Zufall bekannt wurde. Ein Programmierfehler ließ es aus der iranischen Anlage Natans entweichen und so gelangte es per Inernet um die Welt. Computersicherheitsexperten fingen an, den Wurm, der von den USA und Israel entwickelt wurde, zu studieren und nannte ihn Stuxnet.
(...)
Es scheint nicht das erste Mal zu sein, daß die Vereinigten Staaten Cyberwaffen wiederholt benutzt haben, um die Infrastruktur eines anderen Landes lahmzulegen, und ihnen mit Computercode gelungen ist, was bis dahin nur durch die Bombardierung eines Landes oder die Entsendung von Agenten, um Sprengstoff anzubringen, erreicht werden konnte.
(...)
Laut Teilnehmern an vielen Treffen im Situation Room [des Weißen Hauses - Anm. d. SB-Red.[] war sich Herr Obama sehr bewußt, daß mit jedem von ihm befohlenen Angriff die Vereinigten Staaten Neuland betraten, ähnlich wie sie es in den 1940er Jahren durch den ersten Einsatz von Atomwaffen, in den 1950er Jahren mit ihren Interkontinentalraketen und im vergangenen Jahrzehnt durch die Verwendung von Drohnen getan haben.

Es mutet mehr als heuchlerisch an, daß die USA einerseits den Hackerangriff auf das eigene Staatsterritorium nun offiziell zu einem Kriegsgrund erklären, während sie andererseits diejenigen sind, die als erste zu solchen Maßnahmen als Mittel der Kriegsführung greifen. Washington nimmt für sich ein Recht in Anspruch, daß es dem Iran nicht zuzubilligen bereit wäre. Oder glaubt jemand, Barack Obama und seine Außenministerin Hillary Clinton würde nicht mit Empörung und dem moralischen Zeigefinger reagieren, würden die Iraner wegen Stuxnet den Verteidigungsfall ausrufen und militärische Gegenmaßnahmen gegen Amerika ergreifen?

22. September 2012