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MILITÄR/869: Rußland will zur alten Militärgröße zurück (SB)


Rußland will zur alten Militärgröße zurück

Moskau belebt das 5. Mittelmeergeschwader neu



In einer Zeit, in der das Völkerrecht nicht mehr richtig greift und die USA und ihre engsten Verbündeten nach Belieben feindliche "Regime" - Afghanistan, Irak, Libyen - stürzen wie auch mittels ferngesteuerter Lenkwaffen bzw. Söldner ihren Willen in Somalia, Jemen, Pakistan, Sudan, Mali, Syrien durchzusetzen versuchen, will Rußland wieder zu alter militärischer Stärke zurückfinden. In den kommenden Jahren sollen die russischen Streitkräfte massiv aufgerüstet und ihre Einsatzfähigkeit erhöht werden, um Moskau auf der internationalen Bühne wieder Geltung zu verschaffen. Dadurch verblaßt die Vision, derentwillen Barack Obama 2009 in seinem ersten Jahr als US-Präsident zum Friedensnobelpreisträger gekürt wurde, nämlich die Abschaffung aller Atomwaffen, zu einem bloßen Wunschtraum.

Angekündigt wurde das russische Aufrüstungsprogramm von Präsident Wladimir Putin höchstpersönlich am 27. Februar im Kreml bei einem Treffen des Verteidigungsrats aus ranghöchsten Generälen und führenden Mitarbeitern des Verteidigungsministeriums. Putin machte zum Ziel, die russischen Streitkräfte müßten "innerhalb der nächsten drei bis fünf Jahre ein fundamental neues Fähigkeitsniveau erreichen". Zur Begründung der ehrgeizigen Vorgabe verwies er auf "die sich verändernde geopolitische Lage" und hob besonders zwei Aspekte hervor: erstens "bewaffnete Konflikte im Nahen Osten und Asien" sowie "die Gefahr des 'Exports' des Radikalismus und des Chaos" in die an Rußland grenzenden Regionen am Kaukasus und in Zentralasien; zweitens "methodische Versuche, auf verschiedene Weise das strategische Gleichgewicht zu verschieben", was er den USA und ihren NATO-Verbündeten anlastete. Zu den Herausforderungen, denen sich Rußland stellen müßte, zählte Putin den "Ausbau der zweiten Phase des globalen Raketenabwehrsystems" der USA, den fortgesetzten Ostwärtsdrang der NATO und "die Gefahr der Militarisierung der Arktis".

Bereits nach dem erfolgreichen Kaukasuskrieg 2008, bei dem die russischen Streitkräfte neben der vom Westen hochgerüsteten georgischen Armee vor allem gegen erhebliche technische und strukturelle Mängel in den eigenen Reihen ankämpften, hatte der Kreml eine umfassende Reform im militärischen Bereich ins Auge gefaßt. Hierzu gehörte eine Modernisierung der Bewaffnung der russischen Armee, die auf acht Jahre angelegt war und umgerechnet 750 Milliarden Dollar kosten sollte. Der zuständige Verteidigungsminister Anatoli Serdjukow hat sich jedoch durch Waffenbestellungen im Ausland zum Nachteil der einheimischen Rüstungsindustrie und einer übereilten Verschlankung des Offizierskorps viele Feinde im Militärapparat gemacht. Er wurde deswegen Ende letztes Jahr durch den früheren Katastrophenschutzminister Sergej Shoigu, der als enger Vertrauter Putins gilt, ersetzt.

Daß Rußland es mit der Erlangung früherer militärischer Stärke ernst meint, zeigt die vor kurzem bekanntgegebene Entscheidung des Generalstabs in Moskau, nach 20 Jahren das 5. Mittelmeergeschwader wieder zum Leben zu erwecken. Das neue Geschwader soll aus Schiffen der russischen Schwarzmeer-, Nordmeer- und Ostseeflotte bestehen und innerhalb von zwei bis drei Jahren einsatzfähig sein. Lediglich im syrischen Tartus verfügt Rußland über einen Mittelmeerhafen für seine Kriegsmarine. Die Wiederbelebung des 5. Geschwaders laßt erkennen, daß Rußland seine Interessen im Mittelmeer, wie zum Beispiel die Erschließung der Öl- und Gasvorkommen vor den Küsten Zyperns, Syriens, des Libanons und Israels mit Hilfe russischer Energieunternehmen, auch militärisch absichern will. Dies hat auch Spekulationen darüber ausgelöst, daß Rußland im Falle einer im Zuge des Bürgerkriegs erfolgenden Zersplitterung Syriens in seine ethnischen und religiösen Einzelteile bestrebt sein könnte, einen alewitischen Ministaat in der Region um Tartus lebensfähig zu erhalten, wie es Moskau bereits vor fünf Jahren durch die einseitige Anerkennung der georgischen Teilrepubliken Abchasien und Südossetien als souveräne Staaten getan hat.

Der Hinweis Putins auf den Ausbau des globalen Raketenabwehrsystems der USA läßt keine großen Erfolge bei den von Obama vor kurzem in Aussicht gestellten Verhandlungen zwischen Washington und Moskau über eine Verringerung der amerikanischen und russischen Atomwaffenarsenale erwarten. Angeblich möchte die Obama-Regierung die Anzahl der jeweils einsatzfähigen Atomsprengköpfe von derzeit 1550 auf rund 500 reduzieren. Wie Yurij Rubtsow in einem am 18. Februar im Internetportal der Strategic Culture Foundation erschienenen Artikel "Russia's Strategic Nuclear Forces and Deterrence" erläuterte, sehen sich die Generäle in Moskau zu der Annahme genötigt, daß das Raketenabwehrsystem der USA und der NATO bereits in der Lage ist, im Fall der Fälle 600 bis 700 ballistische Raketen Rußlands abzufangen. Deshalb herrscht in russischen Verteidigungskreisen die Überzeugung vor, daß 1500 abschußbereite Atomwaffen das Minimum seien, um das eigene Abschreckungspotential aufrechterhalten zu können. Meinten es die Amerikaner mit der Abschaffung aller Atomwaffen wirklich ernst, hielten sie nicht eisern an einem umstrittenen Raketenabwehrsystem fest, dessen Hauptzweck darin besteht, die Zweitschlagkapazität des Gegners - Rußlands ggf. Chinas - zunichte zu machen.

6. März 2013