Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → REDAKTION


MILITÄR/907: Geld und Waffen für das deutsche Vormachtstreben (SB)



Bundeswehreinsätze ausgeweitet - Rüstungshaushalt aufgestockt

Der Streit um das Besuchsrecht von Bundestagsabgeordneten auf dem Luftwaffenstützpunkt Incirlik im Südosten der Türkei und dessen Ausbau werfen ein Schlaglicht auf die massive Ausweitung der deutschen Kriegsoffensive. Nicht nur im Nahen und Mittleren Osten und in Afrika, sondern insbesondere auch in Osteuropa treibt die Bundesrepublik ihren Anspruch voran, als Führungsmacht der Europäischen Union zu globaler ökonomischer, politischer und militärischer Relevanz und Einflußnahme aufzusteigen. Im Kontext der Verlagerung strategischer Interessen der USA in den pazifischen Raum samt der Einkreisung Chinas sieht deutsche Außenpolitik die Chance, angesichts des tendenziellen Rückzugs der US-Militärpräsenz in Nordafrika und dem Nahen und Mittleren Osten nachzurücken und Hegemonie zu erlangen. [1]

Für den Ausbau der Basis in Incirlik hat das Verteidigungsministerium Investitionen im Umfang von 58 Millionen Euro freigegeben. Neben einem eigenen Flugfeld für die stationierten Tornados der Luftwaffe sollen feste Unterkünfte für die deutschen Soldaten errichtet und ein moderner mobiler Gefechtsstand für den Einsatz angeschafft werden. Der NATO-Stützpunkt ist die Drehscheibe des US-geführten Bombenkriegs in Syrien und im Irak. Seit Ende vergangenen Jahres beteiligt sich die Bundeswehr mit Kampfjets, einem Tankflugzeug, einem Kriegsschiff, Satellitentechnik und bis zu 1200 Soldaten. Die deutschen Tornado-Piloten haben seither rund 500 Aufklärungseinsätze geflogen, deren Bildmaterial auch in die Hände der türkischen Streitkräfte gelangt und von diesen im Krieg gegen die Kurden verwendet wird.

Wie auf dem NATO-Gipfel Anfang Juli in Warschau beschlossen, soll Ende Oktober ein weiteres deutsches Kontingent mit AWACS-Aufklärungsflügen über Syrien beginnen. Da die Bundeswehr ein Drittel aller AWACS-Besatzungen der NATO stellt, sind deutsche Soldaten an so gut wie allen Flügen beteiligt. Hinzu kommt ein neuer Marineeinsatz der NATO im Mittelmeer, wo im Rahmen der Operation "Sea Guardian" auch die EU-Operation "Sophia" vor der libyschen Küste zur Eindämmung der Migration aus Libyen unterstützt werden soll. Bei der Operation "Sea Guardian" sollen ebenfalls AWACS-Maschinen zum Einsatz kommen, doch muß der Bundestag einer Beteiligung deutscher Soldaten erst noch zustimmen.

Von Dezember 2015 bis März 2016 hatte die Fregatte Augsburg der Bundesmarine den französischen Flugzeugträger Charles de Gaulle im Rahmen des Kriegseinsatzes gegen den Islamischen Staat (IS) in den Persischen Golf begleitet. Derzeit befindet sich das deutsche Kriegsschiff auf dem Weg in den Einsatz Counter Daesh II. Vor wenigen Tagen hat die Bundesregierung eine weitere umfangreiche Waffenlieferung an die kurdischen Peschmerga im Nordirak geschickt. Nach Angaben der Bundeswehr besteht sie aus zwei gepanzerten Fahrzeugen vom Typ Dingo I, 1.500 G36-Sturmgewehren, 2 Millionen Schuß Munition und 100 Panzerabwehrraketen vom Typ Milan. Im Gegensatz zur PKK und den kurdischen Selbstverteidigungskräften in Nordsyrien gelten die Peschmerga als längerfristige Verbündete der westlichen Mächte.

Da der deutsche Imperialismus bei dem westlicherseits angestrebten Regimewechsel in Damaskus maßgeblich mitmischen und seinen künftigen Einfluß in Syrien ausweiten will, nahm eine deutsche Delegation an der "Syrien-Konferenz" der sogenannten "High Negotiations Commission (HNC)" in London teil. Bei dieser handelt es sich um ein hauptsächlich von Saudi-Arabien finanziertes Oppositionsbündnis, das bewaffnete islamistische Milizen unterstützt und den Sturz der mit Rußland verbündeten Regierung Baschar al-Assads fordert. Auf der Konferenz präsentierte der General Coordinator der HNC, Riad Hidschab, ein Strategiepapier für einen "Übergangsprozeß", also die Installation eines pro-westlichen Stellvertreterregimes in Damaskus. Hidschab war früher ein hochrangiges Mitglied der Baath-Partei und syrischer Ministerpräsident, lief aber im August 2012 zur Opposition über. Die Bundesregierung pflegt seit längerem Kontakte mit ihm, so fanden allein in diesem Jahr mindestens zwei Treffen zwischen Steinmeier und Hidschab im Januar und Mai statt. [2]

Um die Aufrüstung und Kriegsbeteiligung zu finanzieren, wurde im Rahmen der aktuellen Haushaltsberatungen des Bundestags der Verteidigungsetat für das nächste Jahr um 2,3 Milliarden auf insgesamt 36,61 Milliarden Euro erhöht. Diese Erhöhung entspricht der Hälfte dessen, was dem Bundesaußenministerium insgesamt für zivile Außenpolitik zur Verfügung steht. Der Etat für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung wird um 270 Millionen Euro aufgestockt. Über die Sonderinitiative "Fluchtursachen bekämpfen" wird Entwicklungszusammenarbeit laut Koalitionsvertrag zum Bestandteil einer "effektiven Außen- und Sicherheitspolitik".

Im Kontext einer rasanten Militarisierung zivilen Engagements und der expliziten zivil-militärischen Zusammenarbeit werden immer mehr Mittel der Entwicklungszusammenarbeit zur Flüchtlingsabwehr oder Polizeiausbildung zweckentfremdet. Zugleich wurden die Gelder für Krisenprävention, Friedenserhaltung und Konfliktbewältigung um 8,5 Millionen auf insgesamt 240 Millionen Euro gekürzt. Ungeachtet der Flucht und Vertreibung von Millionen Menschen wurde zudem der ohnehin geringfügige Posten für humanitäre Hilfe im neuen Haushalt um 3,5 Millionen Euro gekürzt. [3]

Das Verteidigungsministerium macht als größte Gefahr neben unkontrollierter Migration, unsicheren Handelswegen sowie "russischer Aggression" den weltweiten islamistischen Terrorismus aus, womit ein breites Interventionsfeld abgesteckt wird. Ursula von der Leyen feierte die größte Erhöhung des Wehretats seit 25 Jahren denn auch als "gute Nachricht für die Bundeswehr". Wie es im Vorwort des Haushaltsentwurfs heißt, erfordere Deutschlands aktive Rolle bei der Wahrung der internationalen Sicherheit eine Etaterhöhung, zur der sich die Bundesrepublik gegenüber der NATO politisch verpflichtet habe. Die Bundesregierung will die Ausgaben für Verteidigung bis 2020 um 10,2 Milliarden Euro steigern und nähert sich damit der NATO-Vorgabe kontinuierlich an, die Militärausgaben in Höhe von zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes verlangen. Zugleich deckt sich diese massive Aufrüstung mit dem eigenständigen Interesse deutscher Eliten, die angestrebte Führerschaft auch militärisch zu konsolidieren. Die Bundeswehr ist derzeit an vierzehn internationalen Militäreinsätzen beteiligt, von den Aktivitäten des BND und der KSK ist ihrer Natur nach wenig bekannt.

Wenngleich der Verteidigungshaushalt vom Parlament beschlossen wird, unterliegt die Verwendung der Gelder keineswegs einer lückenlosen Kontrolle des Bundestags. So weist die Sprecherin für internationale Beziehungen der Fraktion Die Linke, Sevim Dagdelen, darauf hin, daß beispielsweise die sogenannten Exzellenzzentren der NATO in Deutschland in erheblichen Teilen der Geheimhaltung unterliegen. [4] Die NATO baut seit 2004 solche "Centres of Excellence" (CEO) auf, die abseits der militärischen Befehlskette die Doktrin des westlichen Militärpakts in verschiedenen Themenfeldern weiterentwickeln sollen. Als Vorreiter dieser Forschungsinitiative hat die Bundesrepublik 2005 das erste CEO für Luftoperationen in Kalkar eingerichtet, fungiert bei drei weiteren in führender Position und ist an 17 der insgesamt 23 offiziellen Exzellenzzentren beteiligt, wofür im Haushalt des kommenden Jahres insgesamt 981 Millionen Euro vorgesehen sind.

Drei der von Deutschland geführten Exzellenzzentren - für Luftoperationen, für Operationen in seichten und geschlossenen Gewässern und für zivil-militärische Zusammenarbeit - geben über ihre Internetauftritte einen gewissen Einblick in ihre Tätigkeit. Anders das "Exzellenzzentrum für Military Engineering" (Mileng COE) in Ingolstadt, zu dem die Bundesregierung im wesentlichen auf Geheimhaltungsprinzipien der NATO verweist. Auch über die Resultate zweier Experimente, die "Militäreinsätze in urbanem Umfeld" betrafen, ist nichts bekannt. Bekannt ist hingegen die "hohe Zufriedenheit über die Arbeits- und Ausbildungsergebnisse" dieser "einmaligen multinationalen Pionierorganisation" in Regierungskreisen, wobei dem Bundestag nicht einmal die der Einrichtung des Exzellenzzentrums zugrundeliegenden Abkommen zugänglich gemacht werden.

Diese Geheimhaltung ist insofern nachvollziehbar, als selbst den weit verbreiteten Protagonisten deutscher Stärke und Führung unter den Bundesbürgern nicht gefallen dürfte, daß die Pioniere nicht zuletzt den Krieg in ihrer Stadt und gegen die eigene Bevölkerung proben könnten. Da aber ohnehin nicht einzusehen ist, warum der Krieg anderswo besser als einer zu Hause sein sollte, nur damit unser Lebensstandard nicht noch weiter wegbricht, wünscht man sich mehr Abgeordnete im Bundestag, die im deutschen Vormachtanspruch nur Blut und Zerstörung erkennen können.


Fußnoten:

[1] Siehe dazu:
BERICHT/242: Europas Präferenzen - Schwergewicht Deutschland (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0242.html

[2] https://www.wsws.org/de/articles/2016/09/09/inci-s09.html

[3] https://www.jungewelt.de/2016/09-09/001.php

[4] https://www.jungewelt.de/2016/09-09/012.php

9. September 2016


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang