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MILITÄR/924: Rußland - auf der Überholspur ... (SB)


Rußland - auf der Überholspur ...


Seit im Januar Pentagonchef James Mattis Kongreß und Öffentlichkeit eine Zusammenfassung der eigentlich geheimen neuen National Defence Strategy der USA vorgelegt hat, steht fest, daß der "globale Antiterrorkrieg", den George W. Bush im September 2001 auf den Trümmern des New Yorker World Trade Center stehend per Megaphon verkündete, nicht mehr höchste Priorität der amerikanischen Außen- und Sicherheitspolitik genießt. An dessen Stelle rückt wieder die gute alte "Großmachtrivalität" ins Blickfeld der Geostrategen in Washington. Damit verabschieden sich die Amerikaner - natürlich nicht ganz - von der Aufstandsbekämpfung und den Konflikten "niedriger Intensität", um militärische Auseinandersetzungen auf internationaler, kontinentübergreifender Ebene bis hin zum Dritten Weltkrieg austragen zu können.

In der National Defense Strategy 2018 werden Rußland und China explizit als die Hauptrivalen der Supermacht USA identifiziert. Moskau und Peking hätten die letzten 17 Jahre, als sich Pentagon und CIA in extrem teuere, scheinbar endlose, lediglich für die US-Rüstungsindustrie nützliche Kriege in Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien, Somalia und dem Jemen verhedderten, ausgenutzt, um aufzurüsten, die eigene Einflußsphäre auszubauen und sich der "regelbasierten Ordnung" der Nach-1945-Ära zu widersetzen, so in etwa der Vorwurf aus der Feder des Generals a. D. und Irakkriegsveteranen Mattis. In amerikanischen Militärkreisen macht man sich offenbar Sorgen, daß die jahrelange weltweite Jagd der US-Spezialstreitkräfte nach mutmaßlichen Dschihadisten die Fähigkeit des Pentagons, einen Konflikt mit einem ebenbürtigen Gegner zu gewinnen, beeinträchtigt. Die Sorgen sind berechtigt.

Die USA geben bekanntlich wahre Unsummen für die "Landesverteidigung" aus. Der US-Wehretat, der 2019 eine neue Rekordhöhe von 716 Milliarden Dollar erreicht, beträgt häufig so viel wie der aller anderen Staaten der Welt zusammen. Die astronomische Höhe leitet sich aus dem Streben der USA nach der Globalherrschaft ab. Gleichzeitig hat die Bereitschaft des Kongresses, Pentagon und Weißem Haus praktisch jeden militärischen Wunsch zu finanzieren, zu krassen Fehlentwicklungen geführt. Hierzu gehört nicht nur der "Antiterrorkrieg" zwischen Sahelzone und Hindukusch, sondern auch das Versagen in der Beschaffungspolitik. Prominente Beispiele sind drei Waffensysteme, für die der US-Steuerzahler Milliarden ausgibt und die entweder nicht funktionieren oder weit hinter den Erwartungen geblieben sind. Gemeint sind das globale Raketenabwehrsystem, der neue Kampfjet der fünften Generation vom Typ F-35 sowie das Littoral Combat Ship, ein für den Einsatz in Küstennähe gedachtes Tarnkappenkriegsschiff.

Die Rechnung für soviel Hybris und Eitelkeit auf seiten der Amerikaner hat Rußlands Präsident Wladimir Putin bei einer spektakulären Rede am 1. März präsentiert. Der Kremlchef stellte mehrere neuartige Waffensysteme vor, gegen die die existierende Verteidigungsarchitektur der USA wirkungslos ist. Hierzu gehören ein neuer Hyperschall-Marschflugkörper, der das gegen ballistische Raketen konzipierte Raketenabwehrsystem mühelos umfliegen kann, sowie eine neue Interkontinentalrakete namens Sarmat, die vom U-Boot gestartet und somit von Süden her Richtung USA abgefeuert werden kann. Putin erklärte, die neuen russischen Waffensysteme seien die Antwort auf Washingtons einseitigen Austritt aus dem ABM-Vertrag 2002 und sein Beharren auf das umstrittene Raketenabwehrsystem.

Ende Mai berichtete die Nachrichtenredaktion des US-Fernsehsenders NBC unter Verweis auf eigene Geheimdienstquellen, das russische Militär habe ihr neues Luftabwehrsystem S-500 erfolgreich getestet, dessen Boden-Luft-Rakete, die 55R6M, auch "Triumfator-M" genannt, gegnerische Marschflugkörper, Drohnen und Tarnkappenkampfjets vom Typ F-22 und F-35 in einer Entfernung von 480 Kilometern vom Himmel holen könne. Ende Juli meldete die russische Nachrichtenagentur Tass, daß Rußlands Militär bereits einen Kampfjet der sechsten Generation in der Erprobungsphase habe, der gänzlich ohne Pilot auskommt. Die einmotorige Maschine, besser gesagt Drohne, namens Okhotnik (Jäger) wiegt 20 Tonnen und soll dennoch eine Fluggeschwindigkeit von 999 km/h erreichen können, so Tass.

Am 8. August wartete die angesehene South China Morning Post mit der Meldung auf, die Volksarmee habe an einem unbekannten Ort im westlichen China erfolgreich ihr erstes Hyperschall-Flugzeug namens Sternenhimmel-2 getestet. Die Maschine, die mehrere, eventuell auch nuklearbestückte Raketen und Marschflugkörper mitführen kann, ist angeblich extrem wendig und erreicht eine Höchstgeschwindigkeit von 7.344 km/h. Bislang haben die USA kein einziges Hyperschall-Flugzeug in ihrem Arsenal. Das 2010 von Boeing aufgenommene Projekt X-51 wurde nach mehreren Fehlstarts aufgegeben. Im April dieses Jahres hat das Pentagon für 928 Millionen Dollar mit Lockheed Martin einen Vertrag über Entwicklung und Bau eines Hyperschall-Marschflugkörpers unterzeichnet.

Zu denken dürfte den US-Militärs auch ein Vorfall geben, der im April im Mittelmeer stattgefunden haben soll und über den am 10. August die Moskauer Zeitung Izvestia unter Verweis auf Quellen im russischen Sicherheitsapparat berichtete. Demnach ist es bei einer Patrouillenfahrt im Mittelmeer der Besatzung der russischen Fregatte Admiral Essen gelungen, ein Atom-U-Boot der US-Marine zu orten und über Stunden zu begleiten. Jeder Versuch des U-Boots, das russische Schiff abzuschütteln, sei mißlungen. Der Vorfall gilt als Beweis für neuartige Sonartechnologie der Russen, die es ihnen ermöglicht, die leisen amerikanischen U-Boote der Ohio-Klasse rasch ausfindig zu machen und im Kriegsfall zu zerstören. Bei dem U-Boot, das die Admiral Essen aufgespürt haben soll, handelt es sich um die USS Georgia, die mit 150 Marschflugkörpern ausgerüstet ist und im April vom östlichen Mittelmeer aus an dem amerikanisch-britisch-französischen Angriff auf Ziele der syrischen Streitkräfte beteiligt gewesen sein soll.

18. August 2018


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