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NAHOST/961: Goldstone fordert US-Regierung zur Begründung ihrer Kritik auf (SB)


Obama-Administration bleibt inhaltliche Stellungnahme schuldig


Richard Goldstone hat den Finger auf die Wunde US-amerikanischer Kumpanei mit der israelischen Regierung gelegt und die Obama-Administration aufgefordert, ihre Kritik an dem unter seiner Leitung erstellten Bericht über den Gazakrieg endlich zu spezifizieren. Wie der Sonderermittler des UNO-Menschenrechtsrats in einem Interview mit Al Dschasira monierte, sei die offizielle Antwort der US-Regierung auf den 575 Seiten umfassenden Report ambivalent ausgefallen. Während die Administration einerseits seine Empfehlung umfassender und nach bestem Wissen und Gewissen durchgeführter Untersuchungen mutmaßlicher Kriegsverbrechen sowohl in Israel als auch im Gazastreifen unterstütze, erkläre sie andererseits, daß der Bericht fehlerhaft sei. [1]

Wenn die US-Regierung wie angegeben ernsthafte Bedenken gegen den Untersuchungsbericht hege, würde er gerne in Gestalt einer inhaltlichen Stellungnahme davon Kenntnis haben, welcher Art diese Kritik im einzelnen sei, erklärte der südafrikanische Jurist, dessen Vorgeschichte und Person sich zum Leidwesen der Führung in Israel und den USA so wenig zur Diskreditierung eignet. Er habe noch immer nicht von der Obama-Administration erfahren, welche Fehler der Bericht ihrer Meinung nach enthält. Er würde gern auf diese Einwände antworten, wenn er nur wüßte, worauf sie sich beziehen. Natürlich mache er sich deswegen Sorgen, weshalb er es begrüßen würde, zumindest informell mit der US-Administration zusammenzuarbeiten.

Da sich niemand gern Verbrechen nachsagen lasse, überrasche ihn die heftige Kritik von beiden Seiten nicht, erklärte Goldstone weiter. Er bedauere jedoch, zu welchen Extremen sich manche Kritiker verstiegen hätten und daß die Einwände in so hohem Maße personalisiert worden seien. Für ihn sei klar, daß die überwältigende Mehrheit der Kritiker den Bericht überhaupt nicht gelesen habe, weil die meisten Einwände nicht auf dessen Inhalt eingingen. Auf die schwerwiegenden Vorwürfe, die in dem Report formuliert werden, habe er bislang keine Antwort erhalten.

Wenngleich Goldstone vorsichtig argumentiert und keine systematische Obstruktion seiner Arbeit unterstellt, umschreibt seine These, die Kritiker hätten den Bericht offenbar überhaupt nicht gelesen, doch das Dilemma der US-Regierung. Sie kann schlechterdings nicht riskieren, Goldstone inhaltlich zu widersprechen, ohne eine Legion von Zeugen in aller Welt wachzurufen, die das Massaker der israelischen Streitkräfte mit Entsetzen verfolgt und nicht vergessen haben. In bedingungsloser Unterstützung israelischer Hegemonal- und Repressionspolitik, die sich mit ihren eigenen strategischen Entwürfen deckt, kann sie daher den Bericht nur pauschal als unzulänglich und unstimmig rügen, muß aber eine detaillierte Begründung dieser Behauptungen schuldig bleiben.

Goldstone ist im Rahmen seiner Interessenlage zu integer und standfest, um sich auf diese Weise abschlachten und entsorgen zu lassen. Nachdem international bestätigt worden ist, daß der Bericht seiner Kommission die umfassendste offizielle Dokumentation des einseitigen Gazakriegs sei, die bislang erstellt worden ist, und zudem in Einklang mit den erschütternden Zeugnissen zahlreicher Hilfsorganisationen, Menschenrechtsgruppen und Journalisten steht, sieht er um so weniger Anlaß, sich den Mund verbieten oder gar der Lüge bezichtigen zu lassen.

Der Delegierte der USA im UNO-Menschenrechtsrat, Douglas M. Griffiths, hat gegen den Goldstone-Bericht eingewendet, er sei unfair gegenüber Israel. In Begründung seiner Gegenstimme beim Votum des Gremiums erklärte Griffiths, Richter Goldstone habe zwar die Verbrechen der Hamas beim Namen genannt, jedoch die Probleme Israels bei der Bekämpfung eines solchen Feindes in dieser Umgebung nicht genügend berücksichtigt. Wie aus dieser absurden Argumentation hervorgeht, blendet die US-Regierung die mehr als 1.400 getöteten Palästinenser und die ungeheuren Zerstörungen und anderen Kriegsfolgen völlig aus. In dieser Kontroverse geht es einzig und allein darum, die Klassifizierung als Kriegsverbrechen zu verhindern, wofür die israelische Regierung inzwischen sogar eine Neufassung des Kriegsrechts anstrebt, das für "Terroristen" keine Gültigkeit mehr haben soll. Weder geht es also um eine angemessene Reaktion auf das Massaker, noch die Verhinderung künftiger Greueltaten, sondern im Gegenteil um deren nachträgliche und präventive Legalisierung.

Nachdem der Menschenrechtsrat den Goldstone-Bericht und dessen Empfehlungen gegen die Stimmen der USA und fünf europäischer Staaten mehrheitlich gebilligt hat, ist das Dokument an die UNO-Vollversammlung und Generalsekretär Ban Ki-moon übergeben worden. Diesen obliegt es nun, darüber zu befinden, ob der Sicherheitsrat damit befaßt werden soll. Dort würde das Veto des US-Vertreters auf jeden Fall verhindern, daß der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag eingeschaltet wird. Im für Israel ungünstigsten Fall könnten Strafbefehle gegen verantwortliche Politiker und hochrangige Militärs ausgestellt werden, weshalb diesen bei Verlassen ihres Landes die Festnahme drohen würde. Dazu wird es jedoch nicht kommen, da es dafür der kompletten Aushebelung eines ideologischen, militärischen, politischen und juristischen Pakts von außerordentlicher geostrategischer Tragweite bedürfte. Dessen ungeachtet bleibt beachtenswert und nicht folgenlos, in welchem Ausmaß Richard Goldstone in seinem Grimm weiter ins Wespennest zu stechen bereit ist und wieviel Unterstützung er dabei erhält.

Anmerkungen:

[1] Gaza Report Author Asks U.S. to Clarify Concerns (23.10.09)
New York Times

23. Oktober 2009