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NAHOST/973: Keine unabhängige Untersuchung der Operation "Gegossenes Blei" in Israel (SB)


Schreiben an die UNO verschleiert Boykott der Goldstone-Ergebnisse


Im September 2009 hatte eine Kommission der Vereinten Nationen unter Leitung des südafrikanischen Richters Richard Goldstone einen 575 Seiten umfassenden Bericht über die Operation "Gegossenes Blei" der israelischen Streitkräfte im Gazastreifen veröffentlicht. Dieser Report kam zu dem Schluß, daß sowohl Israel als auch die Hamas Kriegsverbrechen verübt und sich mutmaßlich Verbrechen gegen die Menschenrechte schuldig gemacht haben. Da im Verlauf des Massakers rund 1.400 Palästinenser, jedoch nur dreizehn israelische Soldaten getötet wurden - letztere zum Teil durch Beschuß der eigenen Truppen - und ungeheure materielle Zerstörungen angerichtet wurden, richten sich die Vorwürfe zum überwiegenden Teil gegen Israel.

Nach Veröffentlichung des Goldstone-Berichts forderte die UNO sowohl Israel als auch die Hamas auf, unabhängige Untersuchungen hinsichtlich der genannten Vorwürfe durchzuführen und die Vereinten Nationen vom Ergebnis in Kenntnis zu setzen, bevor sich die UNO-Vollversammlung am 5. Februar mit dem Report und den darin ausgesprochenen Empfehlungen befaßt. Letztere regen insbesondere an, den Goldstone-Bericht an den Internationalen Strafgerichtshof weiterzuleiten, sofern die beiden Konfliktparteien keine substantiellen Untersuchungen durchgeführt haben. Wenngleich es als nahezu ausgeschlossen gilt, daß sich führende Politiker oder Militärs Israels vor einer internationalen Gerichtsbarkeit verantworten müssen, droht doch die Rückendeckung für die israelische Führung Schaden zu nehmen, je intensiver die Ergebnisse des Goldstone-Berichts wahrgenommen werden.

Israel hat eine umfassende Propagandakampagne entfacht, um Goldstone zu diskreditieren und den Bericht der Kommission als einseitig und fehlerhaft zu verwerfen. Die israelischen Streitkräfte leiteten eine eigenständige Untersuchung ein, die wie nicht anders zu erwarten zu dem Schluß kommt, daß von einigen Fehltritten abgesehen alles seine Ordnung gehabt habe. Dies rief zwangsläufig Kritiker in Kreisen von Menschenrechtsorganisationen wie auch unter den Knessetabgeordneten auf den Plan, die eine unabhängige Untersuchung verlangten.

Ohne eine solche durchzuführen, hat die israelische Regierung nun in einem Schreiben an UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon mitgeteilt, sie strebe eine Untersuchung aller erhobenen Vorwürfe an. In dem 46 Seiten umfassenden Dokument mit dem Titel "Gaza Operation Investigations: Update" unterstreicht Israel seine uneingeschränkte Anerkennung des Kriegsrechts und verpflichtet sich, jegliche Vorwürfe aufzuklären, gleich von welcher Seite sie erhoben werden.

Das mag sich gut anhören, verschleiert aber den Umstand, daß Israel innerhalb der gesetzten Frist keine unabhängige Untersuchung durchgeführt hat und letzten Endes nur das wiederholt, was vom ersten Tag an gegen den Goldstone-Bericht eingewendet wurde. Nach Monaten zu behaupten, man sei zur vollen Aufklärung bereit, obwohl man unterdessen jede unabhängige Überprüfung verhindert hat, kann man nur als Farce bezeichnen.

Daß im aktuellen Dokument keine neuen Positionen angeführt werden, läßt sich schon daran ablesen, daß es explizit als Ergänzung zu einem Bericht vom Juli 2009 mit dem Titel "The Operation in Gaza: Factual and Legal Aspects" ausgewiesen ist. In dem damaligen Bericht sei man bereits auf eine breite Palette von Fakten und rechtlichen Aspekten eingegangen, darunter Tausende von Raketenangriffen sowie die Verstecke der Hamas unter Zivilisten, welche die Gefechte so komplex und schwierig gemacht hätten.

Die israelische Regierung betont zudem, daß es sich bei dem Schreiben an den UNO-Generalsekretär weder um eine umfassende Stellungnahme zum Report des UNO-Menschenrechtsrats, noch einen Katalog aller Fehler des Goldstone-Berichts handelt. Man stelle jedoch einige Ungenauigkeiten oder unzutreffende Angaben hinsichtlich der israelischen Ermittlungsbehörden klar. Israel ermittle im Falle mutmaßlicher Kriegsverbrechen auf eine Weise, die sich mit dem Verfahren in anderen demokratischen Staaten vergleichen läßt, und untersuche im Zusammenhang mit der Operation im Gazastreifen derzeit 150 verschiedene Fälle. [1]

Klartext sprach Verteidigungsminister Ehud Barak, der den Goldstone-Bericht als "falsch, verzerrend und unverantwortlich" abkanzelte. Der Report erwecke fälschlich den Eindruck, die IDF (Israel Defense Forces) unterschieden sich sowohl von einem moralischen als auch einem professionellen Standpunkt aus bewertet von jeder anderen Armee. "Alle Soldaten und Offiziere, die wir in die Schlacht schicken, sollen wissen, daß der Staat Israel auch am Tag danach hinter ihnen steht. [2]

Israels scheidender Justizminister Menachem Mazuz sagte der Zeitung Haaretz, man habe ein klares Interesse daran, eine ernsthafte und qualifizierte Untersuchung hinsichtlich des Goldstone-Berichts durchzuführen, um eine Gegendarstellung zu erarbeiten. Das waren insofern offene Worte, als sie das Ergebnis der Untersuchung schon vor deren Durchführung vorwegnahmen: Die Widerlegung des Goldstone-Reports, der per se als israelfeindlich eingestuft und bekämpft wird.

Damit zeichnet sich unmißverständlich ab, daß die israelische Regierung weder eine unabhängige Untersuchung durchführt, noch die Ergebnisse einer solchen akzeptiert, sofern darin ernsthafte Kritik an den Operation "Gegossenes Blei" geübt wird. Es handelt sich also um die Fortsetzung der Machtpolitik zu Lasten der Palästinenser mit anderen Mitteln, die genau wie der Überfall der israelischen Militärmaschinerie auf den Gazastreifen so lange folgenlos für die israelische Führung bleibt, wie diese im eigenen Land, vor allem aber seitens ihrer Verbündeten volle Rückendeckung erhält.

Anmerkungen:

[1] Israel slams Goldstone 'misrepresentations' of internal probes into Gaza war (30.01.10)
http://www.haaretz.com/hasen/spages/1146197.html

[2] Israel Goldstone Response (29.01.10)
http://www.wibw.com/internationalnews/headlines/83028642.html

30. Januar 2010