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NAHOST/976: Berlusconi verteidigt Israel gegen Goldstone-Bericht (SB)


Netanjahu lobt Italiens Premier als guten Freund in Europa


Im Rahmen seines dreitägigen Staatsbesuchs in Israel hat Italiens Premierminister Silvio Berlusconi als erster Regierungschef seines Landes einen Gastvortrag vor der Knesset gehalten, die zu diesem Anlaß zu einer Sondersitzung zusammengekommen war. Zudem traf er sich in Bethlehem mit palästinensischen Politikern und sprach zum Abschluß mit Präsident Schimon Peres. In seiner Ansprache vor dem israelischen Parlament kündigte Berlusconi an, er werde sich für eine Aufnahme Israels in die EU einsetzen. Damit positionierte sich der italienische Regierungschef ausdrücklich als Türöffner für den von israelischer Seite angestrebten Anschluß an Europa, der Israels Stellung als Vorposten westlicher Interessen im Nahen Osten unumkehrbar abrunden würde.

"Israel ist das größte Beispiel für Demokratie und Freiheit im Nahen Osten, ein Beispiel mit tiefen Wurzeln in der Bibel und im zionistischen Ideal", sagte Berlusconi am dritten Tag seines Besuchs vor der Knesset. Er bezeichnete die Operation "Gegossenes Blei", bei der die israelischen Streitkräfte binnen drei Wochen zwischen Ende Dezember 2008 und Mitte Januar 2009 rund 1.400 Palästinenser im Gazastreifen getötet, zahlreiche weitere verletzt und verheerende Schäden angerichtet hatten, als eine "gerechtfertigte Antwort auf die Raketen der Hamas". Italien lehne den Bericht der UNO-Kommission unter Leitung des südafrikanischen Juristen Richard Goldstone deshalb ab.

"Wir sind stolz darauf, daß Italien wußte, wie es zu handeln hatte, als Haifa, Tel Aviv und Jerusalem bombardiert wurden", sagte Berlusconi laut einem Bericht der Zeitung "Jediot Aharonot" in italienischer Sprache. "Italien ist stolz auf seine vielen Gesten der Unterstützung - wie seine Weigerung, an der zweiten Durban-Konferenz teilzunehmen, die versuchte, Israel mit unerträglichen Anklagen von Rassismus und Gewalt zu teeren." [1]

Der italienische Premierminister versicherte, daß sein Land an der Seite Israels im Kampf gegen jegliche Form von Antisemitismus in Europa und auf der Welt engagiert sei: "Wir kämpfen mit Ihnen gegen jeden Fall von Antisemitismus in Europa und der gesamten Welt und werden es weiter tun. Wir werden Ihnen auch in Israels Kampf um Frieden und Sicherheit beistehen und darauf hinarbeiten, daß in Nationen in aller Welt Demokratie entsteht und Freiheit als unveräußerliche Errungenschaft für jeden Menschen verteidigt wird." Der Kampf um die Existenz und die Sicherheit Israels und die Friedensbemühungen im Nahen Osten seien untrennbar, unterstrich Berlusconi. Von der unveräußerlichen Freiheit der Palästinenser und deren Drangsalierung durch die von ihm hofierte israelische Regierung sprach er freilich nicht.

Berlusconi bediente sich der italienischen Geschichte und hob hervor, daß sein Land aus dem Kampf gegen die deutsche Besatzung ab dem Jahr 1943 die Kraft geschöpft habe, gegen die Schande der vom faschistischen Diktator Benito Mussolini erlassenen judenfeindlichen Rassengesetze zu rebellieren. Deutsche Truppen hatten 1943 Mittel- und Norditalien besetzt und rund 7.000 Juden deportiert, von denen fast 6.000 getötet wurden. [2]

In Italien wurden die Äußerungen Silvio Berlusconis nicht kritiklos hingenommen. "Berlusconis Worte über Gaza sind falsch und skandalös. In Gaza hat das israelische Heer keine legitime Reaktion durchgeführt, sondern harmlose Zivilisten getötet, was ein Kriegsverbrechen ist, wie auch die UNO festgestellt hat", kritisierte der Vorsitzende von Italiens altkommunistischer Partei "Rifondazione Comunista", Paolo Ferrero. [3]

Obgleich Berlusconi mit seiner eindeutigen Stellungnahme gegen den Goldstone-Bericht bereits grundsätzlich Partei für die israelische Regierung ergriffen hatte, erweckte er im Kontakt mit Palästinensern zumindest den obligatorischen Eindruck einer Ausgewogenheit. So rief er nach einem Gespräch mit Mahmud Abbas in Bethlehem zu einer umgehenden Wiederaufnahme der Friedensverhandlungen sowie zu einem raschen Abschluß einer Friedensvereinbarung auf. Er bot Israel und den Palästinensern an, bei der Suche nach einem Friedensabkommen zu helfen, wobei allerdings nicht nachzuvollziehen ist, warum sich letztere von einem solchen Vermittler über den Tisch ziehen lassen sollten. Darüber hinaus appellierte Berlusconi an die internationale Staatengemeinschaft, die Palästinenser wirtschaftlich zu unterstützen, weil es keinen Frieden ohne Wohlstand geben werde.

Berlusconi begab sich insofern auf diplomatisches Glatteis, als er den Holocaust und den Angriff der israelischen Armee auf den Gazastreifen in einem Atemzug nannte. Bei seinem Besuch in Bethlehem sagte er: "Wie es richtig ist, um die Opfer der Shoah zu weinen, so ist es richtig, Mitleid zu zeigen für das, was in Gaza geschehen ist. Immer wenn der Krieg den Frieden ersetzt, wenn die Gewalt die Vernunft ersetzt, verschwindet die Menschlichkeit und die Beziehung zwischen den Menschen", erklärte der italienische Premier bei einer Pressekonferenz mit Abbas.

Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu wußte natürlich, wie er Berlusconis Worte zur Shoah und zu dem Geschehen im Gazastreifen zu werten hatte, die in einem anderen Kontext zweifellos von israelischer Seite scharf kritisiert worden wären. Da sein italienischer Amtskollege jedoch mit seiner pauschalen Ablehnung des Goldstone-Berichts und der zweiten Durban-Konferenz bereits die entscheidenden Signale zugunsten einer bedingungslosen Unterstützung Israels gesetzt hatte, fand Netanjahu nur lobende Worte für seinen Gast:

"Sie sind ein mutiger Führer, der Israel beisteht. Israels Bürger sollten das Ausmaß Ihrer Unterstützung begreifen. Unter Ihrer Führung ist Italien zur Speerspitze des Kampfes gegen Antisemitismus geworden. Sie stehen nicht nur vor unseren Feinden und Verleumdern, sondern tragen auch dazu bei, Israel und Europa einander näher zu bringen und Israels Aufnahme in die Union zu fördern. Unter Ihrer Führung hat sich die Freundschaft zwischen unseren Nationen und Staaten entwickelt, und Italien ist einer von Israels engsten Freunden geworden. Aus all diesen Gründen weiß Israel, daß es in Berlusconi einen guten Freund in Europa hat."

Am Ende seiner Rede legte Netanjahu sogar noch einmal nach und erzählte von einer Italienerin, die sich während des Holocausts auf die Seite der Juden gestellt hatte: "Im Zug auf dem Weg zur Arbeit sah sie, wie ein deutscher Polizist ein jüdisches Mädchen festnahm. Die Frau, die im achten Monat schwanger war, stellte sich furchtlos zwischen die beiden und sagte zu dem deutschen Polizisten: 'Sie können mich töten, aber schauen Sie in die Gesichter der Passagiere. Die werden Sie hier nicht lebend hinauslassen.' Auf diese Weise rettete sie dem jüdischen Mädchen das Leben und entzündete ein Licht der Menschlichkeit in dieser dunklen Zeit, die auf Europa gefallen war. Diese Frau hieß Rosa, und eines ihrer Kinder heißt Silvio Berlusconi."

Mit dieser ergreifenden Erzählung verknüpfte Netanjahu die Familiengeschichte Berlusconis mit der mutigen Rettung jüdischen Lebens, worauf ihm der italienische Staatschef bewegt für die Worte in Erinnerung an seine 2008 verstorbene Mutter dankte. Überzeugender wäre freilich gewesen, wenn Berlusconi daraus die Konsequenz gezogen hätte, ein mutiges Licht der Menschlichkeit in der dunklen Zeit zu entzünden, die auf die Palästinenser gefallen ist.

Anmerkungen:

[1] Berlusconi: "Israels Reaktion auf Hamas-Raketen war gerechtfertigt" (03.02.10)
http://www.israelnetz.com/themen/aussenpolitik/artikel- aussenpolitik/datum/2010/02/03/berlusconi-israels-reaktion-auf-hamas- raketen-war-gerechtfertigt/

[2] Berlusconi gedenkt in Israel der Opfer des Gaza-Krieges (03.02.10)
http://www.tagesschau.sf.tv/Nachrichten/Archiv/2010/02/03/International/Berlusconi- gedenkt-in-Israel-der-Opfer-des-Gaza-Krieges

[3] Berlusconi nennt Holocaust und Gaza in einem Satz (03.02.10)
http://www.kleinezeitung.at/nachrichten/politik/2284509/berlusconi- nennt-holocaust-gaza-satz.story

4. Februar 2010