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NAHOST/986: Machtpoker in Bagdad nach irakischen Parlamentswahlen (SB)


Machtpoker in Bagdad nach irakischen Parlamentswahlen

Erfolg der Sadristen gefährdet Washingtons Langzeitplanung


Am morgigen 26. März soll das offizielle Endergebnis der irakischen Parlamentswahlen, die am 7. März stattfanden, bekanntgegeben werden. Doch bereits jetzt, nach Auszählung von mehr als 95 Prozent der abgegebenen Stimmen steht der große Gewinner des Urnengangs fest. Es handelt sich um den schiitischen Prediger Moktada Al Sadr, dessen nach ihm benannte Bewegung beachtliche Erfolge erzielt hat und sich jetzt in der angenehmen Position befindet, von allen Seiten umworben zu werden und letztlich darüber befinden zu können, wer der nächste Premierminister des Iraks wird.

Für die USA dürfte der Aufstieg der Sadristen zu den neuen Königsmachern in Bagdad erhebliche Probleme mit sich bringen. Von allen schiitischen Politikern des Iraks hat seit dem gewaltsamen Sturz Saddam Husseins im Frühjahr 2003 niemand mehr als Moktada Al Sadr so konsequent den Abzug aller fremden Streitkräfte aus dem Zweistromland gefordert. Hauptsächlich deshalb wird er in den westlichen Medien stets als "Radikalprediger" bezeichnet. Zwar haben die USA angekündigt, alle Truppen bis Ende 2011 aus dem Irak abzuziehen, gleichwohl weiß jedes Kind, daß das Pentagon beabsichtigt, mittel- bis langfristig Tausende amerikanischer Militärs und Mitarbeiter privater Sicherheitskonzerne als Ausbilder, Berater und Wartungsspezialisten im Land zu lassen und darüber hinaus eine Reihe von US-Luftwaffenstützpunkten weiterzubetreiben - um des Friedens und der Stabilität in der Region willen, versteht sich. Verhandlungen mit der neuen Regierung in Bagdad über die Aufrechterhaltung einer solchen beachtlichen US-Militärpräsenz im Irak hat Washington geplant. Da die nächste irakische Administration von Al Sadrs Gnaden abhängen wird, dürften sich jene Verhandlungen als äußerst schwierig erweisen.

Jahrelang war Sadrs Mahdi-Armee, bestehend aus jungen Schiiten aus den Armenvierteln Bagdads und der Städte des irakischen Südens den US-Besatzungstruppen ein Dorn im Auge. Ihre nationalistische Einstellung ließ die Sadristen zwischenzeitlich den religiösen Graben überwinden und den sunnitischen Widerstand in den Provinzen Zentraliraks unterstützen. 2008 gab Nuri Al Maliki, der sich zwei Jahre zuvor mit Hilfe der Sadr-Vertreter im Bagdader Parlament zum Premierminister wählen ließ, dem Drängen der Amerikaner nach. Gemeinsam führten daraufhin die US-Streitkräfte und die neue irakische Armee in Bagdad und der südlichen Hafenstadt Basra eine erfolgreiche Großoffensive gegen die Mahdi-Armee, fügten dieser schwere Verluste zu und zwangen ihr die Einstellung aller militärischen Aktivitäten auf.

Al Sadr selbst hatte sich 2007 in den Iran abgesetzt, offiziell, um sich theologisch weiterzubilden und den Rang eines Großajatollahs zu erwerben, inoffiziell, um keinem Attentat der CIA oder des Pentagons zum Opfer zu fallen. Durch die Ausbildung in der Gelehrtenstadt Qom dürfte der Sproß einer berühmten Klerikerfamilie bei seiner Rückkehr in den Irak seine religiöse Autorität erheblich gesteigert haben, was sich mit Sicherheit in noch größeren politischen Einfluß niederschlagen wird. Der jahrelange Aufenthalt im Iran dürfte wiederum Al Sadr für die Vorstellungen Teherans hinsichtlich der künftigen irakisch-iranischen Beziehungen empfänglich gemacht haben. Berichten zufolge waren es die Iraner, welche vor den Parlamentswahlen die Gründung der Irakischen Nationalallianz (INA), bestehend aus dem Sadr Trend und dem Obersten Islamischen Rat im Irak (Islamic Supreme Council of Iraq - ISCI), anregten.

Interessanterweise hat bei den Wahlen der ISCI, dessen Führung um Ammar Al Hakim den Iran-Irak-Krieg im Iran verbracht hat und der zuletzt die größte Einzelfraktion im Bagdader Parlament stellte, erhebliche Verluste erlitten. Profitiert davon haben die Sadristen, die, obwohl sie nur 52 Kandidaten zur Wahl aufstellten, zwischen 30 und 40 davon ins Parlament gebracht haben sollen. Dadurch hat der Sadr Trend den ISCI zum Juniorpartner innerhalb der INA degradiert und wird jetzt von Malikis schiitischer Gruppierung State of Law und der säkular-sunnitischen Iraqiya-Parteienkoalition des Ex-Premierministers Ijad Allawi umworben. Die beiden größten Parteiallianzen des Iraks haben jeweils rund 90 Sitze im Parlament errungen und brauchen die Unterstützung von 163 Abgeordneten, um Anspruch auf die Bildung einer neuen Regierung erheben zu können. Weil die Kurdistan-Allianz Sitze sowohl an Allawis Iraqiya-Koalition als auch an die neue kurdische Goran-Partei verloren hat und im künftigen Parlament nicht mehr so stark vertreten sein wird wie in den letzten Jahren, gehen politische Beobachter davon aus, daß sie ihre bisherige Position als Königsmacher an die von den Sadristen dominierte INA verloren haben.

Wie sich die INA letztlich entscheiden wird, weiß niemand, vermutlich sogar nicht einmal Moktada Al Sadr selbst. Gegen ein Bündnis zwischen State of Law und der INA spricht die Abneigung der Sadristen gegenüber Maliki, dem sie die Militäroffensive vor zwei Jahren und die Verhaftung vieler Mahdi-Armeemitglieder verübeln. Sollte sich die INA für eine Zusammenarbeit mit State of Law entscheiden - ob nun mit oder ohne Maliki in der Führungsposition, sei dahingestellt -, hätte ein starker schiitischer Block in Bagdad die Macht inne, was wiederum zu einem erneuten Aufstand der Sunniten führen könnte. Ein Deal zwischen Iraqiya und der INA erscheint zunächst unwahrscheinlich, denn als ehemaliger Baathist, der noch zu Saddam Husseins Lebezeiten im Exil in London für die britischen und amerikanischen Geheimdienste gearbeitet hat, dürfte Allawi den Sadristen höchst suspekt sein. Auch wenn nun der große Machtpoker in Bagdad begonnen hat und es Monate bis zur Bildung einer tragfähigen Koalitionsregierung dauern wird, kann man sich eines sicher sein. Solange Moktada Al Sadr an seiner Forderung nach Abzug aller amerikanischen Soldaten festhält, wird Washington alles tun, um den politischen Wirkungskreis des populären Geistlichen zu beschneiden.

25. März 2010