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NAHOST/991: Obama läßt Ägyptens Demokratiebewegung in Stich (SB)


Obama läßt Ägyptens Demokratiebewegung in Stich

Mubarak-Regime droht Demonstranten mit Erschießung


Als nach dem Sturz Saddam Husseins im Irak allen Schauergeschichten zum Trotz, mit denen die Regierung von US-Präsident George W. Bush die Intelligenz der Weltöffentlichkeit 2002 beleidigte, doch keine Massenvernichtungswaffen gefunden wurden, änderte Washington die Begründung für den völkerrechtlich illegalen Einmarsch in das Zweistromland. Plötzlich hieß es, der mit militärischen Mitteln erzwungene Regimewechel in Bagdad sollte als Auftakt zur Demokratisierung des "Greater Middle East" dienen. Der sich selbst überschätzende "Kriegspräsident" Bush jun. sprach in diesem Zusammenhang von der "Vorwärtsstrategie der Freiheit", in Folge derer die alten autoritären Regime der islamischen Welt zwischen Atlas-Gebirge und Persischem Golf durch demokratisch legitimierte Regierungen ersetzt werden würden, die ihrerseits für stabile Verhältnisse, Eindämmung der Korruption, bessere Bildungschancen, soziale Ausgleichsmaßnahmen, Wirtschaftswachstum und im Grunde genommen die Beseitigung jener Mißstände sorgen würden, welche zur Entstehung des "islamistischen Terrorismus" beitrügen und diesen am Leben erhielten.

Auch wenn Tony Blair, der damals als britischer Premierminister Bushs engster Kriegsverbündeter war und heute als offizieller Friedensvermittler des Nahost-Quartetts eher eine politisch glücklose Figur macht, weiterhin an jenen Träumen eisern festhält bzw. dies jedenfalls behauptet, herrscht in Washington nicht mehr der absolute Glaube an der Demokratie als Allheilmittel für die zahlreichen Probleme des Nahen Ostens vor - vor allen Dingen nicht seit 2006 bei den Parlamentswahlen in den besetzten palästinensischen Gebieten die bis dahin oppositionelle, islamische Hamas die durch zahlreiche Korruptionsaffären und Kompromisse mit Israel diskreditierte, regierende Fatah besiegt hat. Vor dem Hintergrund der großen Hoffnungen, die Bushs Nachfolger Barack Obama mit seiner berühmten Kairoer Rede im Juni 2009 bezüglich eines Neuanfangs in den Beziehungen der USA zu den Ländern der muslimischen Welt geweckt hat, macht sich unter den Anhängern der diversen demokratischen Gruppierungen im Nahen Osten große Enttäuschung breit. Statt Bushs "Freiheitsagenda" voranzutreiben, setzt Obama auf "Realismus", d. h. auf einen Modus vivendi mit den alteingesessenen Herrschern.

Nirgendwo zeigt sich dies besser als in Ägypten, das seit 1981 vom Ex-Luftwaffenoffizier Hosni Mubarak regiert wird. Ägypten ist nach Israel das Land, daß jährlich die meiste Finanz- und Militärhilfe aus den USA erhält (Letztes Jahr betrug sie 1,55 Milliarden Dollar). Dafür hält Kairo den Friedensvertrag mit Israel ein und dem nördlichen Nachbarn bei seinem aggressiven Kurs gegenüber den Palästinensern, dem Libanon, Syrien und dem Iran den Rücken frei. Darüber hinaus gehört Ägypten zu den Ländern, wohin spätestens seit 2001 Verdächtige des "Antiterrorkrieges" von der CIA zu Folterzwecken verschleppt werden. Zum Entsetzen des Großteils der ägyptischen Bevölkerung unterstützen Mubaraks Sicherheitskräfte Israel seit einigen Jahren bei dessen Gaza-Blockade - inzwischen sogar durch die Installierung einer unterirdischen Stahlmauer, welche die Versorgung des noch von der Hamas regierten Landestreifens durch Tunnel unterbinden soll.

2011 steht in Ägypten die Wahl des Staatsoberhauptes an. Alle Beobachter gehen davon aus, daß der 81jährige Mubarak, dem vor kurzem in einer Klinik in Deutschland die Gallenblase und ein angeblich gutartiger Tumor operativ entfernt wurden, für keine sechste Amtszeit kandidieren, sondern statt dessen seinen Sohn Gamal, derzeit Generalsekretär der seit Jahrzehnten regierenden Nationaldemokratischen Partei (NPD), ins Rennen schicken wird. Dagegen setzen viele Ägypter ihre Hoffnungen in Mohamed ElBaradei. Nach fast zwölf Jahren als Leiter der in Wien ansässigen Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) ist der gelernte Jurist im Frühjahr in sein Heimatland zurückgekehrt, wo er die Nationale Front für Veränderung gegründet hat.

Man hätte vielleicht gedacht, daß niemand anderes als der weltweit angesehene Ex-Diplomat ElBaradei aus Sicht des Westens, sozusagen als Kompromißkandidat zwischen Gamal Mubarak und einem Vertreter der muslimischen Bruderschaft, der bisher größten Oppositionsgruppierung in Ägypten, besser geeignet wäre, als Präsident demokratische Reformen am Nil durchzuführen, die eine Verbesserung der Lebensbedingungen der einfachen Menschen mit sich brächten und dadurch das Land stabilisierten und es für die Umtriebe irgendwelcher "Extremisten" weniger anfällig machten. Leider scheint dies nicht der Fall zu sein. Möglicherweise hat sich ElBaradei durch seine unverhohlene Kritik an der Kungelei des Westens mit den nahöstlichen Potentaten und am Umgang der Israelis mit den Palästinenser zur Person non grata gemacht. Fest steht jedenfalls, daß die Obama-Regierung just in dem Moment, da die Nationale Front für Veränderung eine Kandidatur ElBaradeis bei der nächstjährigen Präsidentenwahl auslotet bzw. vorbereitet, die US-Finanzhilfe für die ägyptische "Zivilgesellschaft" - Menschenrechtsgruppen, demokratische Parteien usw. - gleich um 50 Prozent reduziert hat. Dies berichtete am 19. April die Nachrichtenagentur Associated Press. Sie zitierte Ahmed Samih, Leiter einer Organisation, die dank der US-Finanzhilfe die ägyptischen Parlamentswahlen 2005 beobachten konnte, dahingehend, daß Obama in Ägypten zwar "Veränderung" wolle, aber nicht welche, die die Regierung in Kairo erzürne.

In Ägypten haben die Machthaber die jüngsten Signale aus Washington verstanden und setzen bereits jetzt zur verstärkten Unterdrückung der demokratischen Opposition an. Unter Verweis auf kleinere Demonstrationen für ein Ende des Ausnahmezustands und eine Verfassungsänderung, um die passive Teilnahme an der Präsidentenwahl zu erleichtern, die am 6. und am 13. April in Kairo von der ägyptischen Polizei zum Teil gewaltsam aufgelöst wurden, forderten am 19. April im Parlament laut einem Bericht der Online-Ausgabe der Los Angeles Times die beiden NPD-Abgeordneten Nashaat Kassas und Ahmed Abu Aqrab von Innenminister Habib Adli für die Zukunft ein noch härteres Vorgehen gegen Oppositionelle. Kassas bezeichnete die jugendlichen Demonstranten als "Banditen", die man besser gleich erschießen sollte. Es gäbe 80 Millionen Ägypter, man würde die paar "Unruhestifter" nicht vermissen, so der Mubarak-Anhänger. Daraufhin hat Hamed Rashed, ein Berater des Innenministers, die Parlamentarier mit der Information beruhigt, daß den staatlichen Ordnungskräften Ägyptens ohnehin gesetzlich gestattet sei, auf Demonstranten scharf zu schießen, sollte die Situation das erfordern. Von einer Protestnote seitens der US-Botschaft oder des Außenministeriums Hillary Clintons gegen solche unverhohlenen Drohungen des Staatsapparats gegen ägyptische Zivilisten ist bislang nichts bekannt.

21. April 2010