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NAHOST/1026: Netanjahu und Abbas verhandeln nicht auf gleicher Augenhöhe (SB)


Gespräche ohne Vorbedingungen gehen zu Lasten des Schwächeren


Wenn David und Goliath auf gleicher Augenhöhe verhandeln wollten - was im biblischen Beispiel bekanntlich nicht der Fall war - bedürfte es einiger Vorkehrungen. Das eklatante Ungleichgewicht der beiderseitigen Voraussetzungen erforderte Zugeständnisse seitens des offensichtlich Stärkeren, die den Schwächeren in den Stand versetzten, nicht unablässig zu dem Riesen aufblicken zu müssen und mithin von vornherein zur Unterordnung und Unterwürfigkeit verpflichtet zu sein. Sollte ein Schlichter mit von der Partie sein, könnte er folglich dieser Aufgabe im Sinne der dabei proklamierten Unabhängigkeit nur gerecht werden, indem er für die Herbeiführung der unabdingbaren Ausgangssituation sorgt. All das ist nicht der Fall, wenn Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, Palästinenserpräsident Mahmud Abbas und US-Präsident Barack Obama in Washington eine weitere Runde vorgeblicher Friedensgespräche inszenieren.

Laßt uns ohne Vorbedingungen miteinander reden, bestand Netanjahu auf einer fiktiven Nullinie, die unter den gegebenen Umständen mitnichten ein Ausdruck von Offenheit und Gesprächsbereitschaft sein kann. Wie die lange Geschichte der von israelischer Seite gebrochenen Abkommen mit den Palästinensern lehrt, schraubte dieser Prozeß die Voraussetzungen für die schwächere Seite auf ein immer niedrigeres Niveau. Während vorangegangene palästinensische Zugeständnisse beim nächsten Ansatz unterschritten wurden, galt das nicht für die unterdessen weiter ausgebaute israelische Machtposition. Wiederum mahnt man beiderseitige Kompromisse an, als hätten sich die Palästinenser im Laufe der Jahre nicht ohnehin mit immer weniger begnügen müssen.

Unterdessen betätigt sich der US-Präsident als Roßtäuscher, indem er die unter seinem Vorgänger George W. Bush entworfene Roadmap ignoriert und damit die Palästinenser, die sich auf sie berufen, einmal mehr lektioniert, wer im Zweifelsfall mit wem unter einer Decke steckt. "Diese Gelegenheit kommt vielleicht so schnell nicht wieder", nahm Barack Obama demonstrativ beide Seiten ins Gebet, die Chance auf Frieden bei ihren Gesprächen in den USA nicht zu verschenken. Nach Einzelgesprächen mit Netanjahu und Abbas verkündete der US-Präsident, beide Seiten könnten es sich nicht leisten, diese Chance verstreichen zu lassen. Daraufhin schlugen sowohl Netanjahu als auch Abbas versöhnliche Töne an. Netanjahu nannte den Palästinenserpräsidenten "Friedenspartner", und Abbas sagte, die Zeit sei gekommen, Frieden zu schließen. [1]

Benjamin Netanjahu sprach angesichts der ersten Friedensverhandlungen seit fast zwei Jahren gar von einem "historischen Kompromiß" [2], was zwangsläufig die Frage aufwirft, wieso Israels Premier plötzlich Kreide gefressen haben sollte, nachdem er die US-Regierung ein ums andere Mal düpiert hat, von den Palästinensern ganz zu schweigen. Anlaß zu Optimismus gibt die aktuelle Lage nicht, haben doch die Palästinenser mit einem sofortigen Abbruch der Gespräche gedroht, sollte der Siedlungsbau wieder aufgenommen werden. Hingegen hat Netanjahu Forderungen zurückgewiesen, einen am 26. September auslaufenden Baustopp zu verlängern. Damit nicht genug, kündigten die Siedler in Reaktion auf den Anschlag mit vier Toten im Westjordanland den Baustopp einseitig auf und kritisierten die Gespräche in den USA, die aus ihrer Sicht zu einem "falschen Frieden" führen würden.

Wenngleich der Siedlungsstopp im Rahmen der Nahostinitiative Obamas ursprünglich nur als erster kleiner Schritt vorgesehen war, den Israel als minimale Voraussetzung für die Wiederaufnahme des Friedensprozesses beizusteuern habe, verstand es Netanjahu, die befristete Einstellung der Bautätigkeit zur zentralen Verhandlungsmasse zu erklären, als seien ruhende Arbeiten an einer Reihe neuer Projekte für die Dauer einiger Wochen oder Monate eine an Selbstaufopferung grenzende Kompromißbereitschaft von israelischer Seite.

Davon abgesehen lehnt die Hamas die Gespräche in Washington ab und erklärt, Abbas habe weder das Recht, für die Palästinenser zu sprechen, noch repräsentiere er sie. Folglich ist das palästinensische Volk nach den Worten von Hamas-Sprecher Sami Abu Suhri auch nicht an ein Ergebnis der Gespräche gebunden. Zugleich kündigte die Hamas an, sie werde trotz der verschärften Sicherheitsmaßnahmen im Westjordanland dort weiter Israelis angreifen und sich daran weder von den Israelis noch der Fatah von Präsident Abbas hindern lassen. Nimmt man weitere zentrale Streitpunkte wie die Zukunft Ostjerusalem, den jüdischen Siedlungsbau im Westjordanland an sich, die Grenzen eines künftigen palästinensischen Staates und das Schicksal der palästinensischen Flüchtlinge hinzu, ist nicht abzusehen, wie es zu einer Lösung kommen sollte, die nicht auf einen weiteren Verzicht der Palästinenser hinausliefe.

Dennoch warb Obama für eine Zweistaatenlösung zur Beendigung des Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern und erklärte die direkten Verhandlungen zwischen beiden Seiten zum einzigen Weg, der zu einem dauerhaften Frieden führe. "Ich bin hoffnungsvoll, vorsichtig hoffnungsvoll, aber hoffnungsvoll", wand sich der US-Präsident, während die Repräsentanten Jordaniens, Ägyptens, Israels und der Palästinenser im Weißen Haus neben ihm saßen. Artig dankten Abbas und Netanjahu ihrem Gastgeber dafür, daß er sie zusammengebracht habe. So erklärte Netanjahu, sein Land wünsche einen dauerhaften Frieden, nicht eine Pause zwischen zwei Kriegen. "Alle verlieren, wenn es keinen Frieden gibt." Abbas rief die Israelis auf, den Ausbau der Siedlungen in den besetzten Gebieten zu stoppen und die Blockade des Gazastreifens zu beenden, und der jordanische König Abdullah II. appellierte an Obama: "Wir brauchen sie als Vermittler, ehrlichen Vermittler und Partner." Wenn die Hoffnungen wieder enttäuscht würden, müßten alle einen hohen Preis zahlen. [3]

Achtmal haben sich Israelis und Palästinenser seit 1979 getroffen, vier US-Präsidenten haben darüber resigniert. [4] Jetzt scheint der anfangs betont zur Schau getragene Enthusiasmus des fünften, er wolle einen Durchbruch im Nahostkonflikt herbeiführen, auf eine klägliche Defensive geschrumpft zu sein. "Diese Gelegenheit kommt vielleicht nie wieder. Sie dürfen sie nicht verpassen", mahnte der US-Präsident, nicht ohne die Erwartungen gleich selbst zu dämpfen. Es habe lange gedauert, bis es gelungen sei, beide Seiten an einen Tisch zu bringen. Jetzt erst beginne die harte Arbeit. Weder Erfolg noch Scheitern seien unausweichlich. "Wir wissen nur, wenn wir es nicht versuchen, dann ist das Scheitern unausweichlich."

Für Netanjahu und Abbas sei es nun an der Zeit, "mit Mut und Weitsicht ihren Völkern den Frieden zu bringen, den sie verdient haben". Beide Seiten müßten sich den direkten Friedensgesprächen ernsthaft verpflichten, da andernfalls "der langanhaltende Konflikt weiterschwelen und eine weitere Generation aufzehren" werde, so Obama. "Das können wir einfach nicht erlauben." Am Ende der Verhandlungen müsse es eine Einigung auf einen "unabhängigen, demokratischen und lebensfähigen Palästinenserstaat" geben, "der in Frieden und Sicherheit Seite an Seite mit einem jüdischen Staat Israel und seinen anderen Nachbarn" existiert. [5]

Dem widerspricht bislang, daß Israel alles darangesetzt hat, einen lebensfähigen Palästinenserstaat zu verhindern. Zudem hat Netanjahu längst Bedingungen vorgegeben, wie ein solcher Staat auszusehen habe. Seine Grenzen würden von Israel kontrolliert, er dürfe über keine nennenswerten Waffen verfügen, sein Luftraum stehe unter israelischer Kontrolle, sein Territorium würde nach Maßgabe der Sicherheitsinteressen Israels "begradigt" und manches mehr, was die Palästinenser unmöglich akzeptieren können, sofern sie nicht auf unabsehbare Zeit in einem Protektorat unter weitreichender israelischer Kontrolle zu leben bereit sind. Obamas schöne Formel der Zweistaatenlösung, so steht zu befürchten, wird sich unter den höchst ungleichen Voraussetzungen der beiden Seiten bei diesen vorgeblichen Friedensgesprächen als eine weitere Karotte vor der Nase der Palästinenser erweisen, die sie weiterhin den Weg fortgesetzten Verzichts einschlagen läßt.

Anmerkungen:

[1] Obama: Chance auf Frieden in Nahost nutzen (02.09.10)
http://de.reuters.com/article/topNews/idDEBEE6810CE20100902

[2] Netanjahu: Friedensengel oder Wolf im Schafspelz? (02.09.10)
http://newsticker.sueddeutsche.de/list/id/1034509

[3] Friedensgespräche im Nahen Osten. Ein Hauch von Optimismus (02.09.10)
http://www.focus.de/politik/weitere-meldungen/friedensgespraeche-im-nahen-osten-ein-hauch-von-optimismus-_aid_547990.html

[4] Nahost-Konflikt. Neunter Versuch (02.09.10)

http://www.zeit.de/2010/36/01-Nahost

[5] Konflikt im Nahen Osten: US-Präsident Obama fordert konstruktive Friedensverhandlungen (02.09.10)
http://www.stern.de/news2/aktuell/konflikt-im-nahen-osten-us-praesident-obama-fordert-konstruktive-friedensverhandlungen-1599455.html

2. September 2010