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NAHOST/1081: Läßt Bagdad die US-Streitkräfte im Irak bleiben? (SB)


Läßt Bagdad die US-Streitkräfte im Irak bleiben?

Maliki-Regierung gibt dem massiven Druck aus Washington nach


Nach dem State of Forces Agreement (SOFA), das im November 2008 der Republikaner George W. Bush mit dem irakischen Premierminister Nuri Al Maliki abschloß, sollen alle US-Streitkräfte bis Ende dieses Jahres den Irak verlassen haben. Doch dem, der jemals an eine strikte Umsetzung dieser Vereinbarung glaubte, fehlt der Blick für die Realpolitik. 2003 marschierten die Amerikaner, unterstützt von ihren Zweiter-Weltkriegsverbündeten Großbritannien und Australien, in den Irak ein, nicht um die Bedrohung durch irgendwelche ABC-Waffen zu beseitigen oder die Demokratie zu verbreiten, sondern um das widerspenstige Baath-"Regime" Saddam Husseins, das sich trotz des Golfkrieges 1991 und zwölf Jahre schwerer UN-Wirtschaftssanktionen nicht in die Knie hatte zwingen lassen, zu beseitigen und aus dem Zweistromland einen Vasallenstaat zu machen, von wo aus das US-Militär langfristig in die umliegende Region - Iran, Persischer Golf, Arabische Halbinsel, Syrien, Türkei, Kaukasus, Südflanke Rußlands, Zentralasien und Westchina - "power projection" betreiben könne, um den Fachjargon des Pentagons zu gebrauchen. Und wenn die US-Energiemultis an der Ausbeutung der fossilen Brennstoffe des Iraks verdienen können, dann nahm man das als Bonus mit.

Bis heute hat nichts, weder die Amtsübernahme im Weißen Haus durch den Demokraten Barack Obama im Januar 2009 noch der von ihm im letzten Sommer vollzogene Abzug aller US-"Kampftruppen", etwas an den Plänen Washingtons für den Irak geändert. Statt ihre verbliebenen 47.000 Soldaten abzuziehen, ihre 70 Militärstützpunkte zu räumen und ihre auf eine Million geschätzten Ausrüstungsgegenstände zu verladen und sonstwohin zu verschiffen, drängen die Amerikaner seit Wochen darauf, von den Irakern zu erfahren, was sie für eine US-Militärpräsenz im Zweistromland bräuchten. Zu diesem Zweck sind in letzter Zeit verstärkt ranghohe Militärs und Politiker der USA, darunter Generalstabschef Admiral Michael Mullen, der scheidende Verteidigungsminister und Ex-CIA-Chef Robert Gates und John Boehner, der republikanische Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses, nach Bagdad gereist. Bei seiner Stippvisite Ende April erklärte Mullen der Presse, die Maliki-Regierung müsse "innerhalb von Wochen" Washington sagen, ob eine weitere US-Militärpräsenz erwünscht sei oder nicht, denn das Pentagon müsse bald "unwiderrufliche", logistische Entscheidungen treffen.

Maliki verdankt seine Wiederwahl zum Premierminister im letzten Frühjahr der Fraktion der Anhänger des einflußreichen schiitischen Predigers Muktada Al Sadr im Bagdader Parlament. Darüber hinaus steht er dem Nachbarland Iran, wo er während der Herrschaft Saddam Husseins einige Jahre im Exil verbrachte, nahe. Deswegen hat er bisher in der Frage eines Verbleibs der US-Streitkräfte oder einer Revidierung des SOFA eine ablehnende Haltung an den Tag gelegt - jedenfalls nach außen hin. Am 11. Mai jedoch änderte sich dies. Maliki hat sich erstmals in der heiklen Frage völlig offen gezeigt und hat damit den Weg für die dauerhafte Besetzung des Iraks durch die Amerikaner freigemacht. Wer denkt, die USA würden ihre Truppen nach Hause holen, nachdem die Argumente, die sie heute ins Feld führen - das Land werde noch von Gewalt erschüttert und müsse "stabilisiert" werden; die irakischen Streitkräfte, allen voran die Angehörigen der Luftwaffe, müßten am neuen, hochmodernen Kriegsgerät ausgebildet werden usw. -, wegfallen, braucht nur den Blick nach Japan oder Deutschland richten, wo heute Zehntausende amerikanischer Militärs mehr als sechzig Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges immer noch stationiert sind.

Auf einer Pressekonferenz in Bagdad erklärte Maliki, wegen des Wunschs der Amerikaner nach Planungssicherheit, müsse er dem Pentagon eine Antwort auf besagte Frage bis August geben, darum würde er in den kommenden Wochen Beratungen mit den Anführern der verschiedenen Parlamentsfraktionen und Provinzgouverneure aufnehmen. Der Premierminister gab zugleich zu erkennen, er werde sich strikt nach der Entscheidung der Mehrheit richten, unabhängig davon, wie sie ausfalle: "Stelle ich fest, daß sie alle dafür sind, dann werde ich ja sagen. Und stellt sich heraus, daß sie es ablehnen, werde ich nein sagen." Wie nicht anders zu erwarten wäre, ließ sich Maliki ein Hintertürchen offen: "Realistisch gesehen, gibt es bei so einem Thema niemals einen hunderprozentigen Konsens"; also sollten irgendwo zwischen 70 und 90 Prozent dafür sein, sollten die Vertreter der Minderheitenposition "sich dem beugen oder aus dem politischen Prozeß ausscheiden".

Für Al Sadr und dessen Anhänger, die eine weitere Stationierung von US-Soldaten im Irak nach dem 31. Januar 2011 kategorisch ablehnen, hatte Maliki auch eine Warnung parat, sollten sie sich mit dem sich abzeichnenden Kniefall Bagdads gegenüber Washington nicht abfinden können: "Wenn sie gegen das Gesetz verstoßen oder sich vom politischen Prozeß zurückziehen wollen, dann liegt das bei ihnen." Es kann kein Zufall sein, daß eine Einheit schwerbewaffneter US-Spezialstreitkräfte am selben Tag, an dem Maliki erstmals öffentlich in der Stationierungsfrage Verhandlungsbereitschaft zeigte, im Hauptquartier der Sadr-Bewegung in der nordirakischen Provinz Diyala eine Razzia durchführte, alle Personen dort verhaftete und alle Computer und Dokumenten beschlagnahmte. Inwieweit sich der hochambitionierte, 37jährige Al Sadr, der seit einigen Jahren seine theologischen Studien in der iranischen Pilgerstadt Chom fortsetzt, um vermutlich nach dem Tod des 80jährigen Großajatollahs Ali Al Sistani als höchste geistliche Instanz der Schiiten im Irak auftreten zu können, beeindrucken läßt, wird sich in den kommenden Wochen zeigen. Presseberichten zufolge trainiert Al Sadrs Mahdi-Armee und hortet bereits seit Wochen Waffen für die nächste Runde ihres Kampfes mit den ausländischen Invasoren.

13. Mai 2011