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NAHOST/1095: Irakische Regierung ebnet dauerhafter US-Besatzung den Weg (SB)


Pseudodemokratisches Prozedere schient fortgesetzte Kollaboration


Die Vereinigten Staaten haben den Irak nicht mit Sanktionen belegt, angegriffen, besetzt und in Fraktionen gespalten, um ihn danach wieder vollständig zu verlassen. Die Errichtung großer Stützpunkte und eines riesigen Botschaftskomplexes in Bagdad zeugte seit Jahren von der Absicht, beträchtliche Kontingente regulärer Soldaten, ergänzender Militärdienstleister, Geheimdienstmitarbeiter und anderen zivilen Botschaftspersonals dauerhaft im Land zu stationieren. Der Irak ist hinsichtlich seiner enormen Erdölvorkommen wie auch der Frontstellung im Mittleren Osten insbesondere gegen den Iran für Washington eine unverzichtbare Bastion, die nicht preisgegeben werden darf. Von einem der modernsten und höchstentwickelten Staaten der gesamten vorderasiatischen und nordafrikanische Region zurückgeworfen auf den Stand entfesselter religiös und ethnisch konnotierter Fraktionskämpfe und Bürgerkriege, geprägt von Armut und Unsicherheit, zeugt der Irak von den strategisch herbeigeführten Verheerungen imperialistischer Expansion.

Ein Abkommen zwischen Washington und der irakischen Führung legte 2008 fest, daß ungeachtet des Abzugs der Kampftruppen rund 40.000 reguläre US-Soldaten bis Ende 2011 im Land verbleiben sollten. Darüber hinaus wurde der Regierung in Bagdad die Option eingeräumt, über den genannten Zeitraum hinaus eine weitere Stationierung von US-Truppen zu beschließen. Was den Eindruck eines definitiven Endes der Besatzung und einer freien Entscheidung der irakischen Volksvertretung erwecken sollte, lief auf eine Farce zur Verschleierung der von langer Hand geplanten Dauerpräsenz der US-amerikanischen Streitkräfte, Militärdienstleister und Geheimdienste hinaus.

Die administrativen Mühlen zur formalen Durchsetzung der hinter den Kulissen festgelegten Scharade gerieten jedoch ins Stocken, da die irakische Regierung monatelang durch politische Machtkämpfe paralysiert war und daher die Beschlußlage zur fortgesetzten Stationierung von US-Soldaten nicht herbeiführen konnte. Durch diese Verzögerung nervös geworden, drängten hochrangige US-Militärs die Regierung in Bagdad, endlich Fakten zu schaffen, da die damit verbundenen logistischen Probleme nicht über Nacht gelöst werden könnten. In persönlichen Gesprächen mit den irakischen Entscheidungsträgern ließen sie keinen Zweifel an ihrer Absicht, weiterhin im Land zu bleiben, wie umgekehrt auch Premierminister Nuri Kamal al-Maliki dieser Option den Zuschlag gab. [1]

Daß die fortgesetzte US-Militärpräsenz längst beschlossene Sache sein sollte, stieß jedoch bei einigen politischen Fraktionen auf heftigen Widerstand, die sich daraufhin öffentlich dagegen aussprachen. So hat insbesondere Moktada al-Sadr seine Anhänger dazu aufgerufen, die Angriffe auf US-Truppen wieder aufzunehmen, sollten diese nach 2011 im Land angetroffen werden. Die Fraktion der Sadristen im Parlament verlangt, daß die US-Soldaten Ende des Jahres bis auf den letzten Mann den Irak verlassen müssen. Im Unterschied zu diversen anderen Fraktionen, die sich von einem Abkommen mit den Amerikanern Vorteile versprächen, lehne man dies grundsätzlich ab.

Unter wachsendem Druck seitens der USA hat die politische Führung des Irak nun beschlossen, die Regierung zur Aufnahme von Verhandlungen über die künftige Stationierung von US-Truppen zu ermächtigen. Unter Leitung von Präsident Jalal Talabani wurde in mehrstündigen Gesprächen hinter verschlossenen Türen mehrheitlich eine Übereinkunft unter den Führern der teils verfeindeten politischen Lager herbeigeführt. Die Abschlußerklärung der Zusammenkunft, der zufolge man überein gekommen sei, im Geist der Freundschaft und Zusammenarbeit mit den USA über deren künftige Truppenpräsenz zu verhandeln, wurde ohne den Vertreter der Sadristen verlesen. Dieser hatte zuvor zum Zeichen des Protests das Treffen verlassen. [2]

Bislang brauchte Premierminister Maliki den Block der Sadristen als einen seiner Koalitionspartner, da sein Bündnis bei den letztjährigen Parlamentswahlen zwei Sitze weniger als das Ayad Allawis gewonnen hatte. In den zurückliegenden Wochen hatten sich einige schiitische Partner Malikis auf die Seite Allawis geschlagen, da ihnen die zunehmende Machtfülle des Regierungschefs nicht geheuer war. Dieser hatte de facto neben seinem eigenen Amt die Posten des Verteidigungs- und Innenministers übernommen und schon zuvor die Sicherheitskräfte und Geheimdienste seiner Weisung unterstellt.

Um den jüngsten Kuhhandel zu bewerkstelligen, war es dem Vernehmen nach erforderlich, dem früheren Regierungschef Ayad Allawi größeren Einfluß zu gewähren. So wird der nationale Sicherheitsrat reaktiviert, dessen Vorsitz er innehatte, und Allawis Partei darf den neuen Verteidigungsminister stellen, während die Fraktion um Maliki den Innenminister benennt. Mit der Besetzung der beiden Schlüsselressorts scheint die seit Bildung der Koalitionsregierung im letzten Dezember währende Lähmung überwunden und der Premierminister in der Lage zu sein, die Vereinbarung im Parlament auch gegen den Widerstand der Sadristen durchzusetzen.

Nachdem Präsident Barack Obama im Wahlkampf versprochen hatte, er werde die gesamten US-Truppen aus dem Irak abziehen, bedurfte es diverser Vorwände, um den längst geplanten Bruch dieser Zusage argumentativ zu unterfüttern. Neben der fadenscheinigen Standardbehauptung, es handle sich keinesfalls um Kampftruppen, sondern vielmehr Berater und Ausbilder, war unter anderem von einer Bedrohung durch den Iran wie auch vom beiderseitigen Nutzen einer dauerhaften militärischen Zusammenarbeit zwischen Washington und Bagdad die Rede. Ein namentlich nicht genannter Vertreter der US-Botschaft versicherte einerseits, die nach 2011 im Irak stationierten amerikanischen Soldaten hätten ganz andere Aufgaben, als dies in der Vergangenheit der Fall war, da die irakischen Kampftruppen inzwischen durchaus in der Lage seien, die innere Sicherheit zu gewährleisten. Andererseits seien sie im Unterschied zu den Streitkräften der Nachbarländer noch nicht bereit, einen konventionellen Krieg gegen mögliche Aggressoren zu führen. Daher sei es absolut vernünftig und nachvollziehbar, wenn die irakische Armee, die Panzer und andere Waffen von den USA gekauft habe, die Zusammenarbeit fortsetzen wolle, um eine gewisse Verteidigungsfähigkeit zu erlangen. Beispielsweise könnten US-amerikanische Ausbilder weiterhin mit irakischen Spezialkräften Antiterroroperationen durchführen und sie mit ihrer Aufklärung unterstützen.

Wie US-Generalstabschef Admiral Mike Mullen unterstrich, setze jedes Abkommen über eine Verlängerung der Truppenpräsenz die Zusage der Immunität US-Militärangehöriger voraus, wofür die Zustimmung des irakischen Parlaments erforderlich sei. Dafür dürfte bereits gesorgt sein, enthält doch die von den Fraktionsführern zusammengezimmerte Übereinkunft ausdrücklich einen Passus, wonach US-Soldaten auch künftig nicht der irakischen Strafverfolgung unterliegen. Wenngleich angeblich noch nicht feststeht, wie groß das im Land verbleibende Kontingent sein soll, kursiert doch bereits die Zahl von rund 10.000 US-Soldaten, die wesentlich größer als alle bislang angenommenen Dimensionen des künftigen Besatzungsregimes ist.

Fußnoten:

[1] http://www.nytimes.com/2011/08/04/world/middleeast/04iraq.html

[2] http://www.csmonitor.com/World/Middle-East/2011/0803/Iraq-signals-willingness-to-allow-some-US-forces-to-stay

5. August 2011