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NAHOST/1131: EU und USA erklären dem Iran den Wirtschaftskrieg (SB)


EU und USA erklären dem Iran den Wirtschaftskrieg

Brüssel legt die Lunte für den nächsten Nahost-Krieg


Nachdem die Vereinigten Staaten von Amerika am 31. Dezember 2011 den Handel mit der Nationalbank der Islamischen Republik Iran mit Sanktionen belegten, haben am 23. Januar die Außenminister der Europäischen Union gegen die Einfuhr von iranischen Ölprodukten ein Embargo verhängt. Zu letzterem hatten US-Präsident Barack Obama und der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu die europäischen Spitzenpolitiker massiv gedrängt. Auch wenn das Ölembargo erst im Juli vollends in Kraft tritt, befinden sich nach Meinung kompetenter Völkerrechtler die EU seit gestern und die USA seit drei Wochen in einem Wirtschaftskrieg mit dem Iran. Nun fragen sich alle, wie die Regierung in Teheran auf die Herausforderung reagieren wird.

Anlaß des drastischen Schritts ist das iranische Atomprogramm. Dazu heißt es in der heutigen Ausgabe der New York Times: "Westliche Politiker glauben, der Iran baue an einer nuklearen Waffenkapazität, doch die Regierung in Teheran beteuert, daß sein Atomprogramm ausschließlich zivilen Zwecken dient". Was Obama, Netanjahu, Hillary Clinton, Angela Merkel, Guido Westerwelle, Nicholas Sarkozy, Alain Juppé, David Cameron, William Hague et al. tatsächlich glauben, weiß niemand mit Gewißheit, auch nicht die beiden NYT-Reporter Stephen Castle and Alan Cowell. Daher wäre Amerikas "Paper of Record" der Wirklichkeit näher gekommen, wenn Castle und Cowell geschrieben hätten, "westliche Politiker behaupten zu glauben...". Durch die präzisere, wenn auch etwas holprige Formulierung wäre die Dürftigkeit der Teheran zu Last gelegten Verdachtsmomente offensichtlich geworden, woran niemand wirklich interessiert ist. Bekanntlich hat vor neun Jahren die New York Times, allen voran die damalige Lieblingsmultiplikatorin der Neocons, Judith Miller, im Vorfeld des Irakkrieges beim Aufbauschen der vom "Regime" Saddam Husseins ausgehenden "Bedrohung" eine führende Rolle gespielt. Warum sollte es im Falle des Irans anders sein?

Experten, die von der Materie etwas verstehen, wie der ehemalige Direktor der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA), der ägyptische Friedensnobelpreisträger Mohamed ElBaradei, halten den Verdacht für die Existenz eines "iranischen Atomwaffenprograms" für vollkommen überzogen. Schließlich befinden sich alle iranischen Atomwerkstätten, einschließlich der neuen unterirdischen Urananreicherungsanlage, unter ständiger Aufsicht der IAEA, während die einzigen Hinweise, daß die Iraner jemals mit dem Gedanken zum Bau atomwaffenfähiger ballistischer Raketen gespielt haben, angeblich von einem Laptop kommen, den die CIA unter Verschluß hält und von dem niemand weiß, wie bzw. ob er tatsächlich aus dem Iran geschmuggelt wurde oder vielleicht doch vom israelischen Mossad stammt.

Der Mangel an Transparenz, den Amerikaner und Europäer im besten schulmeisterlichen Stil nun vor aller Welt den Iranern vorwerfen, geht nicht zuletzt auf die Weigerung Teherans zurück, Fragen zum besagten Laptop zu beantworten, ohne zuvor Einblick in die angeblich darauf befindlichen Dokumente zu erhalten. Die USA geben ihrerseits das Material unter Verweis auf die "nationale Sicherheit" nicht frei. Möglicherweise will die Regierung in Washington die Dokumente deshalb nicht ans Licht der Öffentlichkeit bringen, weil sie dann selbst unangenehme Fragen beantworten müßte, zum Beispiel warum die Schriftstücke angeblich auf Englisch und nicht auf Farsi, der Landessprache des Irans, verfaßt sind. Der Historiker Gareth Porter, der für die Nachrichtenagentur Inter Press Service schreibt und sich in den letzten Jahren intensiver als jeder andere Publizist mit dem mysteriösen Laptop "aus dem Iran" befaßt hat, hält die ganze Angelegenheit für ein durchsichtiges Täuschungsmanöver westlicher Geheimdienste.

In einer Erklärung begründeten die britischen, deutschen und französischen Regierungschefs Cameron, Merkel und Sarkozy das "beispiellose Sanktionspaket" mit der Behauptung, der Iran würde nicht nur - bezogen auf das Atomprogramm - "seine internationalen Verpflichtungen mißachten", sondern "bereits seine Region mit Gewalt bedrohen und sie dort hinein exportieren". Darum stünden Berlin, London und Paris "vereint hinter starken Maßnahmen, welche die Fähigkeit des Regimes, sein Atomprogramm zu finanzieren, verhindern". Den Außenministern Hague, Juppé und Westerwelle wie der britischen EU-Chefdiplomatin Catherine Ashton blieb es überlassen, die Schutzbehauptung in die Welt zu setzen, mit dem Ölembargo wolle man lediglich die Iraner dazu bewegen, sich wieder an den Verhandlungstisch zu setzen.

Bereits seit Wochen signalisiert Teheran Verhandlungsbereitschaft. Zusammen mit der Regierung in Ankara wurde die Möglichkeit erneuter Gespräche im Februar in der Türkei zwischen Vertretern des Irans und der Gruppe P5+1 (der fünf ständigen - auf Englisch "permanent", daher das P - Vetomächte des UN-Sicherheitsrats, China, Frankreich, Großbritannien, Rußland und die USA sowie Deutschland) erörtert. Dazu hieß es in einem Bericht Ian Traynors und Nick Hopkins' in der heutigen Ausgabe des Londoner Guardian unter Verweis auf EU-Vertreter in Brüssel, daß "niemand die Aussichten ernst nimmt".

Wenn es etwas gibt, das nicht ernst genommen werden dürfte, dann die Behauptung Juppés, mit dem Embargo, das den Iran, der 80 Prozent seiner Deviseneinnahmen aus dem Ölhandel bezieht, wirtschaftlich in die Knie zwingen soll, hätten die EU-Außenminister eine "militärische Lösung" und deren "irreparablen Konsequenzen" vermeiden wollen. Ganz das Gegenteil ist der Fall. Eher hat das russische Außenministerium mit seiner kritischen Stellungnahme die Lage richtig eingeschätzt: "Hier handelt es sich um einen offensichtlichen Fall des Drucks und des Diktats, mit dem man den Iran wegen 'unkooperativen Verhaltens' bestrafen will. Wie wir unseren europäischen Partnern mehr als einmal erklärt haben, ist diese Politik zutiefst verkehrt. So wird der Iran keine Zugeständnisse machen oder Korrekturen seiner Politik vornehmen."

Gelingt es den USA, Japan und Südkorea - nach China und der EU die dritt- und viertwichtigsten Abnehmer iranischen Öls - zur Teilnahme am Embargo zu bewegen, würde dies die iranische Wirtschaft schwer treffen. Derzeit versucht Teheran über bilaterale Abkommen mit Rußland, China und sogar Indien, die Auswirkungen der westlichen Finanz- und Handelssanktionen abzumildern. Sollte der Iran dennoch in schwere wirtschaftliche Not geraten, hat Teheran als Vergeltung mit der Schließung der Straße von Hormus, durch die ein Viertel des über den Seeweg transportierten Öls für die Weltwirtschaft an die Abnehmerländer gelangt, gedroht.

Die USA haben - zuletzt Anfang des Jahres in einen Brief Obamas an den obersten religiösen Führer des Irans, Großajatollah Ali Khamenei - ihrerseits für diesen Fall mit dem Einsatz der amerikanischen Streitkräfte am Persischen Golf gedroht. Um der Drohung eine konkrete Gestalt zu verleihen, ließ das Pentagon am 22. Januar den US-Flugzeugträger Abraham Lincoln samt Begleitflotte, darunter ein britisches und ein französisches Kriegsschiff, die Straße von Hormus golfeinwärts passieren. Vor dem Persischen Golf, im Arabischen Meer, befindet sich ein zweites US-Flugzeugträger, die John C. Stennis, auf Station. Bereits im März stößt ein dritter, die USS Enterprise, hinzu. Währenddessen üben die iranischen Revolutionsgarden die Verhängung einer Blockade. Die Situation ist also hochexplosiv und läuft - wenn die Beteiligten nicht schnellstens zur Vernunft kommen - auf ein fürchterliches Gemetzel zu.

24. Januar 2012