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NAHOST/1141: Ägyptens Moslembruderschaft vor der Machtübernahme (SB)


Ägyptens Moslembruderschaft vor der Machtübernahme

Moslembrüder nehmen mit eigenem Kandidaten an der Präsidentenwahl teil



In Syrien halten immer noch weite Teile der Bevölkerung deshalb zum "Regime" von Präsident Bashar Al Assad, weil die Baathisten dort, obwohl autoritär, seit fast fünf Jahrzehnten immerhin für eine säkulare Gesellschaft gesorgt haben, in der bis vor kurzem Christen, Alewiten, Sunniten, Kurden und Menschen aus den kleineren religiösen und ethnischen Minderheiten gleichgestellt waren und weitestgehend friedlich miteinander auskamen. Unterstützt vom Westen, aber vor allem von den sunnitisch-arabischen Monarchien Katar und Saudi-Arabien und mit Hilfe ausländischer Kämpfer à la Al Kaida versucht die Moslembruderschaft in Syrien seit rund einem Jahr einen "Regimewechsel" zu erzwingen. Auch wenn sich die syrischen Moslembrüder gemäßigt geben und behaupten, lediglich für "Demokratie" und "Freiheit" zu kämpfen, besteht dennoch die Gefahr, daß sie im Falle der Machtübernahme in Damaskus im Namen der sunnitischen Mehrheit des Landes einen Staat auf der Basis von Botschaften, die ein arabischer Karawanenhändler namens Muhammed vor rund eineinhalb Tausend Jahren vom einem überirdischen Wesen, dem Engel Gabriel, erhalten haben will, errichten. Der Blick auf die jüngste Entwicklung in Ägypten nährt diesen Verdacht.

In dem mit 85 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichsten arabischen Land ist die Moslembruderschaft auf dem besten Weg, die Staatsmacht zu übernehmen und fast alle anderen politischen Gruppierungen an die Wand zu spielen. Bei den ägyptischen Parlamentswahlen, die über mehrere Wochenenden zum Jahreswechsel 2011/2012 stattfanden, hat die Moslembruderschaft eine deutliche Mehrheit der Sitze erobern können. Gleich an zweiter Stelle landeten die Salafisten, die man als radikalen Arm der Moslembruderschaft verstehen könnte. Das neue Parlament hatte nach seiner Konstituierung ein Gremium zusammengestellt, das die neue ägyptische Verfassung ausarbeiten sollte. Die Hoffnungen, daß darin pluralistische Werte wie Religionsfreiheit oder die Gleichheit von Mann und Frau Eingang finden würden, haben sich inzwischen zerstoben. Aus Protest gegen das selbstherrliche Verhalten der islamistischen Mehrheit im hundertköpfigen Gremium haben gerade in den letzten Tagen die Vertreter liberal-säkularer Gruppierungen sowie die zehn Millionen Menschen zählende Gemeinde der christlichen Kopten ihre Mitwirkung am Verfassungsentwurf aufgekündigt. Also gibt es nichts mehr, was die Moslembruderschaft und die Salafisten daran hindert, der neuen Verfassung ihren eigenen ideologisch-engstirnigen Stempel aufzudrücken.

Vermutlich weil am vergangenen Wochenende die Diplomaten des Westens zu sehr damit beschäftigt waren, sich in Istanbul als die "Freunde Syriens" aufzuspielen und ihre gewaltbereiten Hilfswilligen im Kampf gegen die Zentralregierung in Damaskus anzufeuern, hat man von ihnen keine Proteste gegen den schleichenden Putsch der Islamisten am Nil vernommen. Vielmehr deutet die verständnisvolle Reaktion von US-Außenministerin Hillary Clinton auf die Entscheidung der ägyptischen Moslembruderschaft, sich nun doch mit einem eigenen Kandidaten an der bevorstehenden Präsidentenwahl zu beteiligen, nachdem diese monatelang das Gegenteil behauptet hatte, darauf hin, daß Washington und das mächtige Militär Ägyptens Vertrauen zu der neuen heranreifenden Politikerelite in Kairo geschöpft haben. Dies verwundert nicht. Schließlich wird Ägyptens Moslembruderschaft genauso wie die der anderen arabischen Staaten von den Saudis, Amerikas wichtigsten Rüstungskäufern, protegiert und finanziell unterstützt. Bezeichnenderweise gab die ehemalige Senatorin von New York ihre Stellungnahme zur überraschenden Nachricht von der Teilnahme Khairat El Shaters, des Chefstrategen der Moslembruderschaft, an der ägyptischen Präsidentenwahl just zu dem Zeitpunkt ab, als sie am 31. März in Riad die Pläne des Pentagons publik machte, in Zusammenarbeit mit Saudi-Arabien und den totalitären Duodezstaaten des Persischen Golfs ein gegen den Iran gerichtetes, milliardenteures Raketenabwehrsystem aufzubauen.

Interessant ist auch die Begründung, warum El Shater bei der ägyptischen Präsidentenwahl kandidiert. Presseberichten, darunter auch der New York Times, zufolge soll El Shater, dem gute Chancen auf einen Sieg prognostiziert werden, verhindern, daß der ultrakonservative Salafist Hazem Salah Abu Ismail zum Staatsoberhaupt gewählt wird. Ismail, der bei den Umfragen zuletzt mit 22 Prozent auf dem zweiten Platz hinter Amir Mousa, dem ehemaligen Außenminister und Ex-Chef der arabischen Liga, lag, gilt als Sprachrohr der verarmten Massen in den städtischen Slums und auf dem Land. Er lehnt das Friedensabkommen mit Israel ab und will die alljährliche, auf mehr als eine Milliarde Dollar geschätzte Finanz- und Rüstungshilfe der USA, die seines Erachtens Ägypten zum Vasallenstaat macht, nicht mehr annehmen. Statt sich an die USA zu orientieren, soll Ägypten laut Ismail den Handel mit den Ländern des Nahen Ostens, Afrikas und Asiens verstärken.

Sollte, wie geplant, El Shater die ägyptische Präsidentenwahl, deren erste Runde am 23. Mai stattfindet, gewinnen, dann kann man davon ausgehen, daß der schwerreiche Geschäftsmann bemüht sein wird, seine Treue zur Scharia, der islamischen Gesetzgebung, herauszukehren, um seine armen Glaubensbrüder bei der Stange zu halten. Auf Ägyptens Säkularisten und Christen kommen daher ungemütliche Zeiten zu. Die Tatsache, daß dieser Tage eine Delegation der ägyptischen Moslembruderschaft in Washington zu Besuch ist, um im Weißen Haus, auf dem Kapitol sowie bei den wichtigsten Denkfabriken am Potomac politische Gespräche zu führen, ist noch kein Anlaß zur Entwarnung.

5.‍ ‍April 2012