Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

NAHOST/1173: Die Türkei mischt sich in Syrien und im Irak ein (SB)


Die Türkei mischt sich in Syrien und im Irak ein

Aufständische in der Türkei böse - in Syrien dagegen gut?



Lange Zeit war die Außenpolitik der in der Türkei regierenden islamischen Partei für Fortschritt und Gerechtigkeit (AKP) durch das Streben nach einem spannungsfreien Verhältnis zu den Nachbarstaaten geprägt. Als wichtigster Ausdruck dieser Haltung gilt die Entscheidung der Türken, sich nicht nur am angloamerikanischen Einfall 2003 in den Irak zu beteiligen, sondern auch den Südosten ihres Landes den NATO-Verbündeten USA und Großbritannien als Aufmarschgebiet für eine Nordfront gegen die Truppen Saddam Husseins nicht zur Verfügung zu stellen. Auch um eine friedliche Beilegung des "Atomstreits" zwischen dem Iran und dem Westen bemüht sich die Türkei redlich, jedoch wegen der Weigerungshaltung Washingtons vergebens. Doch inzwischen bekommt das sogenannte Neo-Osmanentum von Außenminister Ahmed Davutoglu ein neues, weniger angenehmes Gesicht. Ankara beteiligt sich aktiv an der Destabilisierung Syriens, während es zugleich die Unabhängigkeitsbestrebungen der Kurden im benachbarten Irak unterstützt.

Seit die Kurden im Nordirak angefangen haben, auf eigene Faust mit den großen westlichen Energiekonzernen Geschäfte über die Förderung und den Transport von Öl abzuschließen, gibt es Spannungen mit der Zentralregierung in Bagdad. Die Regierung von Premierminister Nuri Al Maliki wirft den Präsidenten der kurdischen Autonomieregion, Massud Barsani, vor, den Norden des Iraks zunehmend in die Unabhängigkeit zu führen und seine Peschmerga-Kämpfer mit Waffen aus dem Ausland aufzurüsten. Die Vorwürfe Bagdads sind nicht von der Hand zu weisen. Seit 2011 gewähren die Kurden dem irakischen Vizepräsidenten Tareq Al Hashemi, der wegen des Vorwurfs, sunnitische Todesschwadrone zu führen, in Bagdad wegen Terrorismus unter Anklage steht, Zuflucht. Ende Juni haben die Peschmerga den staatlichen irakischen Streitkräften sogar den Zugang zum Norden des Landes verweigert, als diese die Grenze zu Syrien nach einem Überfall der dortigen Rebellen auf mehrere Kontrollpunkte sichern wollten.

Am 2. August kam es zu einem weiteren Affront, als Davutoglu als erster offizieller Vertreter der Republik Türkei seit 75 Jahren Kirkuk, die Hauptstadt des kurdischen Nordiraks, besuchte - ohne vorher Bagdad Bescheid zu sagen. Dort führte er Gespräche mit Barsani über die Lage im Nordosten Syriens, wo nach dem syrischen Truppenabzug Mitte Juli ein Bündnis zwischen dem oppositionellen Kurdish National Council (KNC) und der Democratic Union Party (PYD) die Verwaltung übernommen hat. Die PYD gilt als Schwesterorganisation der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK), die seit mehr als dreißig Jahren um Autonomie für den türkischen Südosten kämpft und aus Sicht Ankaras eine "terroristische" Organisation darstellt. Bei der gewaltsamen Niederschlagung des PKK-Aufstandes durch die türkische Armee sind schätzungsweise 40.000 Menschen ums Leben gekommen. Allein am 2. August sollen nach Regierungsangaben aus Ankara bei Kämpfen in der Nähe der Grenze zum Iran zwei türkische Soldaten und mindestens 37 PKK-Freiwillige getötet worden sein.

Die Türkei droht derzeit offen damit, in den kurdischen Teil Syriens einzumarschieren, damit dort kein Rückzugsgebiet für die PKK entsteht. Wenngleich die Lage in Syrien das Hauptthema des Gesprächs zwischen Barsani und Davutoglu in Kirkuk bildete, herrscht Unklarheit darüber, wie die beiden Politiker verblieben sind. Man kann davon ausgehen, daß der Anführer der irakischen Kurden versprach, entweder seinen Einfluß bei den Volksgenossen in Syrien geltend zu machen, damit die PKK dort ihre Aktivitäten nicht entfalten kann, oder den Türken im Falle eines Einmarsches behilflich zu sein. Schließlich soll das Öl, das mit der Zustimmung Barsanis westliche Großkonzerne im Nordirak fördern wollen, mittels Pipelines durch die Türkei - und eventuell durch Syrien nach der Beseitigung des "Regimes" Bashar Al Assads - auf den Weltmarkt gelangen.

Auch wenn die türkischen Streitkräfte die Grenze zu Syrien noch nicht überschritten haben, so läuft Ankaras Hilfe für die Rebellen dort auf Hochtouren. Letzte Woche meldete die Nachrichtenagentur Reuters die Existenz eines geheimen Stützpunktes im südtürkischen Adana, 60 Kilometer von der syrischen Grenze entfernt, von wo aus Militärs und Geheimdienstler aus der Türkei, Katar und Saudi-Arabien die Rüstungshilfe für die Gegner des Assad-"Regimes" koordinieren. Es ist davon auszugehen, daß sich besagtes "Nervenzentrum" zur Leitung des Aufstandes in Syrien auf dem Gelände des nahegelegenen N ATO-Fliegerhorstes Incirlik oder in dessen unmittelbarer Nähe befindet. Man kann außerdem davon ausgehen, daß diese Hilfe in Absprache mit der CIA stattfindet. Dafür spricht die jüngste Enthüllung, wonach Präsident Barack Obama Anfang des Jahres dem US-Geheimdienst heimlich grünes Licht für die Ergreifung aller Maßnahmen, die zum Sturz Bashar Al Assads beitragen, gegeben hat.

Am 31. Juli meldete die Nachrichtenredaktion des US-Fernsehsenders NBC, daß die syrischen Rebellen, in deren Reihen sich bekanntlich zahlreiche ausländische Moslemextremisten à la Al Kaida befinden, über die Türkei tragbare Boden-Luft-Raketen erhalten hätten, um syrische Kampfflugzeuge und -hubschrauber abzuschießen. Es wird spekuliert, daß es sich bei diesen Raketen um Waffen handelt, die nach dem ebenfalls von der NATO und sunnitischen Salafisten herbeigeführten "Regimewechsel" in Libyen im vergangenen Jahr aus dem Arsenal der Streitkräfte Muammar Gaddhafis verlustig gegangen sind. Jedenfalls scheint es so, als hätte das syrische Außenministerium mit folgender Erklärung vom 2. August nicht gänzlich Unrecht: "Die Regierung der Türkei hat auf ihrem Territorium Militärbüros eingerichtet, von wo aus die israelischen, amerikanischen, katarischen und saudischen Geheimdienste die Terroristen beim Krieg gegen das syrische Volk dirigieren können."

4. August 2012