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NAHOST/1176: Saudi-Arabien lehnt israelischen Angriff auf Iran ab (SB)


Saudi-Arabien lehnt israelischen Angriff auf Iran ab

Riad erklärte saudischen Luftraum zur Sperrzone für Israels Kampfjets



In den vergangenen 48 Stunden haben die Spekulationen um einen israelischen "Überraschungsangriff" auf die iranischen Atomanlagen einen neuen Höhepunkt erreicht. Anlaß war ein am 9. August veröffentlichter Artikel der liberalen israelischen Tageszeitung Ha'aretz, demzufolge der Regierung in Washington eine neue National Intelligence Estimate (NIE) zum iranischen Atomprogramm vorliegt, in der sich die US-Geheimdienste über die Gefahr einer Atombombe in den Händen des "Mullah-Regimes" in Teheran "alarmiert" zeigen. Im Weißen Haus soll man über die Bekanntgabe der Existenz der neuen NIE, wofür man die israelische Regierung um Premierminister Benjamin Netanjahu verantwortlich macht, "erzürnt" sein. Gleichwohl bestreitet die Administration von US-Präsident Barack Obama, die bekanntlich den "Atomstreit" mit Handelssanktionen und diplomatischen Druck zu lösen versucht, daß die iranische "Bedrohung" zugenommen habe. Auch aus anderer Richtung haben die israelischen Kriegsfalken einen Rückschlag erfahren. Angeblich hat Riad Tel Aviv wissen lassen, daß Israels Flugzeuge abgeschossen werden, sollten sie versuchen, den saudischen Luftraum für einen Angriff auf den Iran zu benutzen.

Israels Verteidigungsminister Ehud Barak hatte den Ha'aretz-Bericht über die angebliche Existenz der neuen NIE und der darin enthaltenen Einschätzung der vom Iran ausgehender Bedrohung benutzt, um seine und Premierminister Netanjahus Entschlossenheit zu demonstrieren. Die USA und Israel seien sich einig, daß eine Nuklearbewaffnung des Irans vollkommen inakzeptabel sei, lediglich über den besten Weg, diese Gefahr zu bannen, gebe es Meinungsverschiedenheiten. In Fragen der nationalen Sicherheit Israels werde aber letztendlich in Tel Aviv und nicht in Washington entschieden, so Barak, der sich damit rhetorisch die Möglichkeit eines militärischen Alleingangs offen hielt.

Am 10. August ließ der Sprecher des Weißen Hauses, Jay Carney, deutliche Worte auf das Säbelrasseln des Generals a. D. Barak folgen. So bestritt Carney, daß sich die Einschätzung der US-Geheimdienste über den Stand des iranischen Atomprogramms seit der Veröffentlichung der letzten NIE zu diesem Thema 2007 verändert habe. Damals hatten die Analysten der amerikanischen Nachrichtendienste gemeinsam erklärt, daß die Iraner bereits seit 2003 keine militärisch relevanten Aktivitäten in diesem Bereich mehr verfolgten, und damit den neokonservativen Kriegstreibern um Präsident George W. Bush und Dick Cheney den Wind aus den Segeln genommen. Auf der täglichen Pressekonferenz erklärte Carney weiter, die US-Geheimdienste hätten dank modernster Überwachungstechnologie einen umfassenden Überblick über sämtliche Aktivitäten im nuklearen Sektor des Irans und würden es sofort bemerken, wenn Wissenschaftler dort irgendwelche Schritte unternähmen, die der Forschung und dem Bau von Atomwaffen dienen könnten. Bisher habe man derartiges nicht registriert, so Obamas Pressereferent.

Ebenfalls am 9. August berichtete Israels meistverkaufte Tageszeitung Yedioth Ahronoth, die Regierung in Riad hätte Washington gebeten, an Tel Aviv die Warnung weiterzuleiten, daß die Streitkräfte Saudi-Arabiens jedes israelische Flugzeug abschießen werden, das beim "Überraschungsangriff" auf den Iran saudischen Luftraum zu durchfliegen versucht. In diplomatischen Kreisen wird die saudische Drohung als Unterstützung für die Obama-Regierung gewertet, die einen Alleingang Netanjahus und Baraks vor der Präsidentenwahl in den USA Anfang November unbedingt verhindern will. Man geht davon aus, daß Riad nur bei einem gemeinsamen militärischen Vorgehen der USA und Israels gegen die iranischen Atomanlagen den saudischen Luftraum freigeben würde. So oder so macht die Klarstellung der Position Riads aufgrund der geographischen Lage Saudi-Arabiens einen israelischen Überfall auf den Iran schwierig bis unmöglich. Man kann davon ausgehen, daß auch die Türkei und der Irak ihren Luftraum für ein derartiges Hasardeurstück der israelischen Luftwaffe nicht freigeben, sondern im Ernstfall gegen die ausländischen Eindringlinge verteidigen werden.

Bereits im September 2006 kursierten Medienberichte in Israel, wonach die damalige Regierung Ehud Olmerts bei den Saudis um Überflugsrechte zwecks Angriffs auf den Iran vorstellig geworden sei. Während Yedioth Ahronoth von einem heimlichen Gespräch zwischen Premierminister Olmert und den damaligen Kronprinzen und heutigen König Abdullah berichtete, meinte Ha'aretz von einem ebenso heimlichen Treffen zwischen einem Gesandten Olmerts und Prinz Bandar, dem Nationalen Sicherheitsberater Saudi-Arabiens, in der jordanischen Hauptstadt Amman erfahren zu haben. Am 19. Juli ist Bandar, der lange Jahre Botschafter in Washington war, zum saudischen Geheimdienstchef ernannt worden. Vier Tage später kam es angeblich zu einem Bombenanschlag auf das Hauptquartier des saudischen Geheimdienstes in Riad, die dem umtriebigen Bandar, der als Vertrauensmann der US-Neokonservativen galt, das Leben gekostet haben soll. Seit dem Attentat ist er in der Öffentlichkeit nicht mehr gesehen worden. Über eine Verbindung zwischen dem eventuellen Ableben Bandars und einem Erstarken der israelkritischen Kräfte in Riad kann lediglich spekuliert werden. Im sogenannten "Atomstreit" besteht dennoch kein Anlaß zur Entwarnung. Einem Bericht der französischen Zeitung La Tribune vom 10. August zufolge plant Paris wegen der steigenden Kriegsgefahr die Evakuierung aller 200.000 französischen Bürger aus Israel.

11. August 2012