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NAHOST/1198: Nach Wahlen in den USA steht Lösung im Atomstreit an (SB)


Nach Wahlen in den USA steht Lösung im Atomstreit an

Für Teheran und Washington ist die Zeit der Entscheidung gekommen



An diesem 6. November gehen die Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika an die Wahlurne. Sie müssen sich zwischen Barack Obama und Mitt Romney als US-Präsident sowie über die künftige Zusammensetzung von Repräsentantenhaus und Senat entscheiden. Nach dem gigantischen Präsidentenwahlkampf, der über eineinhalb Jahre dauerte und bei dem die Kandidaten und ihre Unterstützer mehr als drei Milliarden Dollar ausgaben, steht eine Lösung des sogenannten Atomstreits mit dem Iran - ob nun friedlich-diplomatisch oder blutig-militärisch - an. Obwohl der Demokrat Obama die erste Option favorisiert und der Republikaner Romney die zweite vorzuziehen scheint, läßt sich derzeit die Richtung, die Washington in dieser Frage letztendlich einschlagen wird, ebensowenig vorhersagen wie der Ausgang des Kopf-an-Kopf-Rennens der beiden Präsidentschaftsbewerber.

Die Konfrontation zwischen Washington und Teheran war im Wahlkampf mit Abstand das wichtigste außenpolitische Thema und zwar vor allem deshalb, weil die Republikaner ständig versucht haben, Obama als Weichling in Sachen nationaler Sicherheit darzustellen. Da Obama für sich verbuchen konnte, im vergangenen Jahr Amerikas Hauptfeind, Osama Bin Laden, zur Strecke gebracht zu haben, wurden seine Bemühungen, den Iran mittels diplomatischer und wirtschaftlicher Sanktionen zum Einlenken zu bewegen, als Beschwichtigung und unverantwortliche Zeitverschwendung kritisiert. Unterstützung erhielten die Republikaner hierbei vom israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu, ein früherer Arbeitskollege und langjähriger Freund Romneys. In den Sommermonaten hat Netanjahu die angeblich vom iranischen Kernenergieprogramm ausgehende "existentielle Bedrohung" für Israel jedoch dermaßen aufgebauscht, daß er sich nicht nur im eigenen Land den Vorwurf einhandelte, sich auf unzulässige Weise in den US-Präsidentwahlkampf einzumischen. Seine ständigen Drohungen, den israelischen Streitkräften den Befehl zu einem "Überraschungsangriff" auf die iranischen Atomanlagen zu geben, ließen erst nach, als Amerikas oberster Militär, General Martin Dempsey, öffentlich erklärte, das Pentagon würde sich auf keinen Fall von Tel Aviv in einen Krieg am Persischen Golf hineinziehen lassen.

Dort ist es in den letzten Monaten auf allen Seiten zu einer deutlichen Truppenmassierung gekommen. Wegen der anhaltenden schweren Wirtschaftssanktionen drohen die Iraner ihrerseits mit der Verminung der Straße von Hormus und damit der Sperrung eines der wichtigsten Wasserwege für den Transport arabischen Öls zu den Weltmärkten. Im Gegenzug haben die Marinestreitkräfte der USA und ihrer Verbündeten im September ein großes Minenräummanöver am Persischen Golf durchgeführt. Wegen der Gefahr entsprechender Vergeltungsschläge nach einem etwaigen "Überraschungsangriff" auf Irans Nuklear- und Militärinstallationen haben die amerikanischen und israelischen Streitkräfte Ende Oktober in Israel und dem östlichen Mittelmeer im Rahmen einer umfassenden Luftabwehrübung ihre Raketenabwehrsysteme getestet.

Auch in der medialen Rezeption erreicht der "Atomstreit" immer neue Höhepunkte. Wie der Zufall so will, wurden ausgerechnet am Abend des 5. November im britischen und israelischen Fernsehen wichtige und zugleich hochspannende Dokumentarfilme zu diesem Thema gesendet. Im Channel 2 des israelischen Staatsfernsehens präsentierte die angesehene Investigativjournalistin Ilana Dayan ihre neueste Enthüllung - eine einstündige Dokumentation über einen Streit, der 2010 hinter den Kulissen ausbrach, als Netanjahu und sein Verteidigungsminister Ehud Barak das israelische Militär mit der Vorbereitung eines unmittelbaren Angriffs auf den Iran beauftragen wollten. Der damalige israelische Generalstabschef Gabi Ashkenazi weigerte sich offenbar, den Befehl mit dem Codenamen "P-Plus" anzunehmen, weil er nicht von gesamten Kabinett abgesegnet war und somit gegen bestehende Protokolle verstieß, und weil es Zweifel an der Durchführbarkeit des Vorhabens gab. Unterstützung erfuhr Askenazi in seiner Position vom damaligen Chef des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad, Meir Dagan. Beide Männer sind inzwischen pensioniert, führen dennoch diejenige Kräfte im israelischen Sicherheitsapparat an, welche die Idee eines offenen Krieges gegen dem Iran für selbstmörderisch halten, und lassen deshalb keine Gelegenheit verstreichen, dagegen zu wettern.

Etwa zur selben Zeit, in der der jüngste Beitrag von Dayans in der Nachrichtensendung "Uvda" ("Fakt") ausgestrahlt wurde, konnte man sich in Großbritannien im Rahmen der preisgekrönten Dokureihe "Dispatches" des Privatsenders Channel 4 den Film "Nuclear War Games" anschauen und dabei gruseln. Gegenstand der einstündigen Dokumentation war ein Kriegsspiel, das ehemalige Geheimdienstler, Militärs und Politiker Israels in diesem Sommer am dortigen Institute for National Security Studies (INSS) durchexerzierten und bei dem es um eine militärische Auseinandersetzung mit der Islamischen Republik ging. Es wurden die diversen Möglichkeiten zwischen "Team Israel" und "Team Iran" durchgespielt, darunter auch massive Raketenangriffe der schiitischen Hisb-Allah-Miliz von Libanon aus auf den jüdischen Staat. Das wichtigste Fazit des Spiels bestand in der Erkenntnis, daß auch ein "begrenzter" Bomben- und Raketenangriff auf Irans Atomanlagen eine Eskalation in Gang setzen würde, deren Ende nicht wirklich kalkulierbar sei.

In den letzten Wochen hat es Hinweise, darunter durch einen entsprechenden Bericht in der New York Times, gegeben, wonach sich informell, über Mittelsmänner die Obama-Regierung mit der Führung in Teheran die Rahmenbedingungen eines Auswegs aus der diplomatischen Sackgasse ausgelotet haben. Zum besagten "Fahrplan" gehören demnach die Anerkennung des Rechts der Islamischen Republik auf die weitere Anreicherung von Uran zwecks Herstellung von Brennstäben durch die USA sowie eine größere Transparenz seitens Teherans, um alle Befürchtungen, die Iraner würden in geheimen unterirdischen Labors doch noch an der Atombombe basteln, zu zerstreuen.

Vor diesem Hintergrund ist die Beteiligung von Vertretern Israels, des Irans und der Nachbarstaaten an den Gesprächen, die am 5. November zur Vorbereitung einer geplanten UN-Konferenz in Helsinki über die Schaffung einer Atomwaffenzone im Nahen Osten in Brüssel stattfanden, von nicht geringer Relevanz. Laut einem am 5. November in der Online-Ausgabe der britischen Tageszeitung Guardian erschienenen Bericht verlief die internationale Diskussion, in der Ali Asghar Soltanieh, Irans Vertreter bei der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) in Wien, und Jeremy Issacharoff, der im israelischen Außenministerium für strategische Fragen zuständige Staatssekretär, ihre jeweiligen Delegationen anführten, "respektvoll und positiv". Wie schon der gute alte Winston Churchill zu sagen pflegte, ist Diskutieren, egal wie lange es dauert, allemal besser als die Alternative, der Krieg.

6. November 2012