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NAHOST/1229: Al Kaida in Syrien dank NATO-Hilfe auf dem Vormarsch (SB)


Al Kaida in Syrien dank NATO-Hilfe auf dem Vormarsch

Assads stärkste Gegner wollen sich dem Westen nicht unterordnen



In Syrien treten die salafistischen Freiwilligen, die mit der finanziellen und waffentechnologischen Unterstützung der NATO sowie der sunnitisch-arabischen Regionalmächte Jordanien, Katar und Saudi-Arabien für einen "Regimewechsel" in Damaskus sorgen sollen, immer selbstbewußter auf. Offenbar sind sie nicht bereit, die Schmutzarbeit für die Gegner Baschar Al Assads zu erledigen und dann sang- und klanglos von der geschichtlichen Bühne zu verschwinden. In den von ihnen "befreiten" Teilen Syriens im Nordwesten an der Grenze zur Türkei, im Osten zum Irak hin und im Süden am jordanischen Grenzverlauf setzen sie bereits eine drakonische Form der islamischen Gesetzgebung Scharia mit Handabhacken bei Dieben und Verdrängung der Frauen aus dem öffentlichen Leben durch. Von nicht geringer Bedeutung ist die Nachricht von der Verschmelzung von Al Kaida im Irak mit der Al-Nusra-Front in Syrien. Ziel der neuen Al Kaida im Irak und in der Levante ist die Schaffung eines islamischen Kalifats vom Mittelmeer bis zum Persischen Golf.

In einer Audiobotschaft, die am 8. April im Internet erschienen ist, erklärte Abu Bakr al Bagdadi, Chef der Al Kaida im Irak, seine Gruppe und die Jabhat Al Nusra, die sich seit 2011 in Syrien wegen ihrer militärischen Schlagkraft und der Blutrünstigkeit ihrer Kämpfer einen Namen gemacht hat, zu einer Organisation. Mit dem Satz: "Es ist an der Zeit, den Menschen in der Levante und der Welt zu erklären, daß die Al-Nusra-Front lediglich ein Zweig der Al Kaida im Irak ist", bestätigte Al Bagdadi die Richtigkeit zahlreicher Meldungen der vergangenen Monate über eine rege Zusammenarbeit sunnitischer Extremisten über die syrisch-irakische Grenze hinweg. Er kündigte an, die Hälfte der Ressourcen seiner Organisation künftig in den Bürgerkrieg in Syrien zu investieren. Er erklärte zudem, Al Kaida im Irak und in der Levante stünde auch für andere Gruppen offen, sofern sich diese zur strengen Form der Scharia bekennen. "Tausende" von Gefährten, die im Kampf gegen die Truppen Assads gefallen seien, hätten ihr Leben "nicht für die Demokratie" gegeben, so Bagdadi.

Es dürfte kein Zufall sein, daß die Meldung von der Vereinigung der Al-Nusra-Front mit der Al Kaida im Irak nur zwei Tage nach Aiman Al Zawahiris erster Internetbotschaft seit vergangenem November erschienen ist. Neben Drohungen in Richtung Paris wegen der französischen Militärintervention in Mali gab der langjährige Kampfgefährte Osama Bin Ladens den Islamisten in Syrien, in deren Reihen sich Tausende junger Männer aus dem Nahen Osten, Europa und Nordafrika befinden, die Marschroute vor. Sie sollten "im Namen Allahs und mit dem Ziel der Etablierung der Scharia" kämpfen. "Tut alles, was ihr könnt, damit euer Heiliger Krieg einen dschihadistischen islamischen Staat hervorbringt", forderte er. Ein solcher Regierungswechsel in Damaskus wäre nach Ansicht des ägyptischen Arztes ein wichtiger Schritt in Richtung "Kalifat". Um bei seinen Zuhörern für die richtige Stimmung zu sorgen, behauptete Al Zawahiri, der schon in die Ermordung des ägyptischen Präsidenten Anwar Al Sadat im Jahr 1981 verwickelt war, das "Regime" in Syrien hätte "zu taumeln und zu kollabieren" begonnen.

Man muß die Siegesgewißheit Al Zawahiris nicht unbedingt teilen. Schließlich sollen die regulären syrischen Streitkräfte gerade in den vergangenen Tagen erfolgreiche Vorstöße gegen Positionen der Rebellen im Nordwesten bei Aleppo sowie in der Hauptstadt Damaskus durchgeführt haben. Dennoch ist nicht ersichtlich, wie Assads Truppen den Bürgerkrieg zu einem für sie erfolgreichen Ende führen könnten. Ihre jüngsten Siege sind das Ergebnis einer Truppenzusammenziehung, die allerdings die Regionen unmittelbar vor den Golan-Höhen ungeschützt ließ. Dort sollen bereits zahlreiche islamistische Kämpfer eingedrungen sein, was in Israel mit Sorge zur Kenntnis genommen wird. Im benachbarten Nordlibanon, über den ein nicht geringer Teil der Waffen und Freiwilligenverbände aus dem Ausland zur Unterstützung der Aufständischen nach Syrien hineingeschleust werden, wächst die salafistische Präsenz mit jedem Tag. Am 5. April meldete die Times of London, die palästinensische Hamas-Bewegung, die einst von Damaskus protegiert wurde, hätte im jordanischen Amman mit der Ausbildung syrischer Rebellen begonnen. Nach der Eroberung der Stadt Rakah im vergangenen Monat kontrollieren die Aufständischen die östlichen Provinzen Rakah, Deir al Zour und Hasakah und damit die wichtigsten Öl- und Gasfelder sowie den Weizen- und Baumwollgürtel Syriens.

Für die USA und ihre Verbündeten stellt der Vormarsch der Dschihadisten in Syrien in erster Linie ein PR-Problem dar. Um sich von der Al-Nusra-Front zu distanzieren, hat das US-Außenministerium sie im vergangenen Dezember auf seiner Liste internationaler "Terrororganisationen" gesetzt. Man möchte sich zwar die sunnitischen Glaubenskrieger zunutze machen, um den Einfluß des schiitischen Irans in der Region zurückzudrängen, doch nach dem Sturz Assads sollen "gemäßigte", heißt gefügigere, Kräfte in Syrien das Kommando übernehmen. Im vergangenen August hatte Ed Husain vom mächtigen New Yorker Council on Foreign Relations auf dessen Website die Freie Syrische Armee (FSA) als "müde, gespalten, chaotisch und ineffektiv" bezeichnet. Der Extremismusforscher aus England plädierte damals offen für eine Stärkung der FSA durch Al-Kaida-Kämpfer, weil sie für eine "Belebung der Moral" sorgen könnten: "Der Zustrom an Dschihadisten bringt Disziplin, religiösen Eifer, Kampferfahrung aus dem Irak, Finanzierung durch sunnitische Sympathisanten am Golf und, am wichtigsten, tödliche Ergebnisse." Aufgrund seiner gehobenen Stellung im angloamerikanischen Politgeschäft mußte Husain eben wegen dieses Aufrufs weder kritische Bemerkungen in den westlichen Medien noch eine Anklage befürchten.

Neun Monate später, nämlich in einer Presseerklärung vom 10. April, warnen Husains ehemalige Kollegen von der Quilliam Foundation in London, die sich als "erste Anti-Extremismus-Organisation der Welt" versteht, in schrillen Tönen vor den Kalifatsbestrebungen der Al-Kaida- Jünger in Syrien und Umgebung. Doch kann man es den Handlangern Washingtons und Ankaras, welche die Hauptlast des Kampfes gegen die syrischen Streitkräfte tragen, verdenken, wenn sie nun sich die Früchte ihres Sieges - sofern sie ihn erringen - nicht nehmen lassen und selber bestimmen wollen, wie es später in Syrien weitergeht, statt sich dem Ordnungswillen ausländischer und kulturfremder Großmächte unterzuordnen?

11. April 2013