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NAHOST/1233: Im Irak ist der Bürgerkrieg erneut ausgebrochen (SB)


Im Irak ist der Bürgerkrieg erneut ausgebrochen

Al Maliki bringt mit harter Hand die Sunniten gegen sich auf



Im Irak ist der Bürgerkrieg zwischen Sunniten und Schiiten, der zwischen 2005 und 2007 Zehntausende Menschenleben forderte und mit einer großen ethnischen Säuberungswelle einherging, erneut ausgebrochen. Seit Dezember protestierten Sunniten in den von ihnen mehrheitlich bewohnten Provinzen in der Mitte des Landes friedlich gegen ihre Diskriminierung durch die Regierung des schiitischen Premierministers Nuri Al Maliki. Sie forderten bislang vergeblich die Freilassung zahlreicher Gefangener sowie die Beseitigung mehrerer umstrittener Antiterrorgesetze, die aus ihrer Sicht von den schiitisch-dominierten Justizbehörden und Sicherheitskräften zu ihrem Nachteil angewandt werden.

In den Zentren vieler Städte richteten die Demonstranten Zeltstädte ähnlich der auf dem Tahrir-Platz in Kairo ein. Am 23. April hat die irakische Armee in der Kleinstadt Hawija, 30 Kilometer westlich von Kirkuk, unter Einsatz von Panzerwagen und Kampfhubschraubern gewaltsam ein solches Zeltlager aufgelöst und dabei Dutzende Zivilisten getötet. Daraufhin griffen sunnitische Milizen in Mossul, Falludscha und anderen Städten zu den Waffen und liefern sich seitdem heftige Kämpfe mit den Sicherheitskräften. Die Zahl der Todesopfer geht jetzt schon in die Hunderte. Ein schnelles Ende des Gewaltausbruchs ist nicht in Sicht.

Auslöser der sunnitischen Proteste, deren Ausgestaltung durch den "Arabischen Frühling" in den anderen Ländern der Region inspiriert wurde, war die Entlassung von Finanzminister Rafi Essawi im Dezember 2012. Man warf dem damals ranghöchsten Sunniten im Maliki-Kabinett vor, innerhalb seines Sicherheitspersonals "Terroristen" zu beschäftigen. Ein Jahr zuvor, just in dem Moment, als die letzten US-Kampftruppen den Irak verließen, mußte Vizepräsident Tarek Al Haschemi ins Exil flüchten, nachdem ein Gericht in Bagdad Anklage gegen ihn und seine Leibwächter wegen Mordes und "Terrorismus" erhoben hatte. Seitdem hält sich Al Haschemi, ebenfalls ein Sunnit, im Ausland, überwiegend in der Türkei, auf. Die willkürliche strafrechtliche Verfolgung von Al Haschemi und Essawi stellt den auffälligsten Beweis für die fehlende Bereitschaft Al Malikis, dessen schiitische Milizionäre die staatlichen Sicherheitskräfte in den letzten Jahren praktisch übernommen haben, die Macht im Land mit der sunnitischen Minderheit zu teilen, dar.

Der Überfall der Armee auf das Zeltlager in Hawija hat die aufgestaute Unzufriedenheit der Sunniten mit ihrer Dauerbenachteiligung im Irak der Nach-Saddam-Hussein-Ära entfesselt. Die Erstürmung des Lagers fand einen Tag nach einem Generaltstreik der Sunniten im Zentralirak und zwei Tage nach Provinzwahlen, die eine recht niedrige Wahlbeteiligung verzeichneten, statt. Hinzu kommt, daß angeblich wegen der unsicheren Lage in Anbar und Nineweh die Wahlen dort auf Juni verschoben wurden. In ihrem Blog auf der Website des arabischen Nachrichtensenders Al Jazeera berichtete die Bagdad-Korrespondentin Jane Arraf am 22. April, viele Iraker glaubten, daß Al Maliki die Wahlen in den beiden genannten, mehrheitlich von Sunniten bewohnten Provinzen nicht durchführen ließ, um eine absehbare Niederlage seiner politischen Verbündeten dort zu verhindern.

Aus Protest gegen das brutale Vorgehen der Sicherheitskräfte in Hawija sind am selben Abend die beiden letzten sunnitischen Mitglieder der Maliki-Regierung, Bildungsminister Mohammed Tamin und Wissenschaftsminister Abdulkarim Samarraie, zurückgetreten. Erst zwei Tage später, am 25. April, hat Al Maliki mit einer Stellungnahme zu den jüngsten Ereignissen die Lage zu beruhigen versucht. Er kündigte eine Untersuchung des Zwischenfalls von Hawija an und äußerte erstmals Verständnis für die "legitimen Forderungen" der sunnitischen Protestbewegung. Gleichzeitig schwächte er seine versöhnlichen Worte mit der Behauptung ab, für die jüngsten Gewalttätigkeiten zwischen Sunniten und Schiiten seien die früheren Baath-Anhänger von Saddam Hussein verantwortlich, die den Irak ins Chaos stürzen wollten.

Seit 2006 steht Al Maliki dem Irak als Premier-, Innen und Verteidigungsminister in Personalunion vor. Während seiner knapp siebenjährigen Regierungstätigkeit hat es der mächtigste Schiite des Iraks vollkommen versäumt, eine Aussöhnung mit den sunnitischen Mitbürgern zu erzielen. Im Gegenteil hat er die Macht der Schiiten im irakischen Staatswesen auf Kosten der Sunniten kräftig ausgebaut. Und das, obwohl zahlreiche andere Politiker, wie beispielsweise der einflußreiche schiitische Prediger Muktada Al Sadr, vor den Folgen des einseitigen Kurses warnen. Doch während sich Al Sadr vor allem als irakischer Nationalist und erst in der Folge als Schiite versteht, scheint für Al Maliki die Verbundenheit mit der eigenen Konfession und mit dem Iran, wo er lange Jahre im Exil gelebt hat, schwerer zu wiegen.

Die teheranfreundliche Politik Al Malikis hängt nicht zuletzt mit der Konfrontation zwischen den USA und dem Iran zusammen. Solange die Amerikaner an ihrem Ziel, in Teheran das "Mullah-Regime" irgendwann zu beseitigen, festhalten, werden die Iraner ihrerseits im benachbarten Irak über die schiitische Mehrheit ihren Einfluß zu sichern wissen. Das geostrategische Ringen zwischen Washington und Teheran bildet außerdem den Hintergrund des Bürgerkrieges in Syrien. Dort versuchen sunnitische Freischärler seit zwei Jahren mit der Unterstützung der CIA, Saudi-Arabiens, Katars, Jordaniens und der Türkei das säkulare Baath-"Regime" Baschar Al Assads zu stürzen. Der Aufstand der Moslembruderschaft und der Salafisten in Syrien hat auch den sunnitischen Milizen im Irak, deren personelle Stärke auf rund 80.000 Mann geschätzt wird, Auftrieb verliehen. Daher die selbstbewußten Worte, mit denen Saddoun al-Obaidi, ein Stammesführer aus Hawija, am 24. April in der New York Times zitiert wurde: "Nach den heutigen Ereignissen ist die Zeit der friedlichen Demonstrationen vorbei. Nun werden wir uns bewaffnet zeigen. Wir haben alle Waffen, die wir brauchen, und erhalten Unterstützung aus anderen Provinzen."

26. April 2013