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NAHOST/1245: Der Irak versinkt wieder in Blut (SB)


Der Irak versinkt wieder in Blut

Anschläge auf Moscheen - der konfessionelle Bruderkrieg kehrt zurück



Im Irak ist der sunnitisch-schiitische Bürgerkrieg, der zwischen 2005 und 2007 Zehntausenden Menschen das Leben kostete, erneut ausgebrochen. Die harte Reaktion der schiitisch-dominierten Sicherheitskräfte um Premierminister Nuri Al Maliki auf die im Dezember begonnenen Proteste der Sunniten in den von ihnen mehrheitlich bewohnten Provinzen in der Mitte des Landes gegen willkürliche Verhaftungen und politische Diskriminierung hat das erwartete Resultat gezeitigt. Auftakt der neuen Gewaltwelle war die brutale Auflösung eines Zeltlagers sunnitischer Demonstranten am 23. April in Hawija nahe der Stadt Kirkuk, die von Sunniten und Kurden gleichermaßen für sich beansprucht wird. Bei der überzogenen Polizeiaktion kamen 50 Menschen, darunter auch Kinder, ums Leben. Wurde der April zum blutigsten Monat im Irak seit langem, so dürfte der Mai bereits diesen traurigen Rekord um einiges übertreffen.

Am 15. Mai wurden bei Überfällen und Bombenanschlägen auf schiitische Ziele 42 Menschen getötet und mehr als 140 verletzt. Am 16. Mai kam es zu einer Reihe schwerer Bombenangriffe vornehmlich auf belebte Marktplätze und schiitische Moscheen. 33 Menschen verloren hier das Leben. Vermutlich als Vergeltung standen am 17. Mai hauptsächlich sunnitische Ziele im Visier der Bombenleger. In der sunnitischen Stadt Bakuba, 50 Kilometer nördlich von Bagdad, explodierte eine Bombe, als Gläubige nach dem Freitagsgebet die Saria-Moschee verließen. Wenige Minuten später, inmitten der Aufräum- und Rettungsarbeiten, ereignete sich eine zweite Explosion. Dem Doppelanschlag fielen 41 Menschen zum Opfer. 56 wurden verletzt. Etwas später am Nachmittag explodierte in der Stadt Maidan, südlich von Bagdad, eine Sprengfalle neben einer Beerdigungsprozession. Acht Teilnehmer der Trauerfeier wurden getötet. Etwa zeitgleich riß ein Bombenanschlag auf ein Café in der sunnitischen Hochburg Falludscha, 60 Kilometer westlich der Hauptstadt, zwei Menschen in den Tod. Am Abend explodierte in einem Einkaufszentrum im sunnitischen Viertel Amiriyah von Bagdad eine Bombe, der 21 Menschen zum Opfer fielen. Kurz darauf kam es in einem anderen sunnitischen Viertel der Hauptstadt namens Dora zu einem weiteren Bombenanschlag, der vier Menschen tötete.

Beobachter führen die Gewaltexplosion im Irak nicht nur auf den mangelnden Willen von Premierminister Al Maliki zur Versöhnung und Zusammenarbeit mit der sunnitischen Minderheit, sondern auch auf den Bürgerkrieg im benachbarten Syrien zurück. Die salafistische Al-Nusra-Front, die im Kampf gegen die Truppen Baschar Al Assads eine führende Rolle spielt, wird von den sunnitischen Milizen des Iraks, allen voran von Al Kaida im Zweistromland, mit Waffen und Freiwilligen unterstützt. Parallel zur Beteiligung der libanesischen Hisb-Allah-Miliz am Bürgerkrieg in Syrien, reisen in letzter Zeit auch immer mehr junge Schiiten aus dem irakischen Süden an, um für das "Regime" des Alewiten Assad zu kämpfen. In sunnitischen und schiitischen Lagern des Iraks kommt es zu einer Polarisierung. Die Kriegsfalken gewinnen die Oberhand. Angesicht der vielen Anschläge meinen viele junge Sunniten und Schiiten, die eigenen Glaubensgenossen mit Waffengewalt verteidigen zu müssen.

Der interkonfessionelle Riß in der irakischen Gesellschaft, der sich dieser Tage auf erschreckende Weise vertieft, schwächt den staatlichen Zusammenhalt. Immer mehr Sunniten kommen zu dem Schluß, daß die von ihnen mehrheitlich bewohnten Provinzen in der Mitte des Landes zu einer größeren Region zusammengeschweißt werden sollten, die dann, weitestgehend von der Zentralregierung abgekoppelt, verwaltet werden könnte. Ähnlich dem autonomen Kurdengebiet im Norden hätte man seine eigene Armee, Polizei und Justiz. Die Anführer der seit Dezember anhaltenden Proteste drohen mit der Aufteilung des Iraks in einen föderalen Staat mit drei weitestgehend unabhängig von einander organisierten Regionen für die Kurden im Norden, die Sunniten im Zentrum und die Schiiten im Süden, sollte Premierminister Al Maliki nicht bald zurücktreten.

Der Verwirklichung eines irakischen Bundesstaates steht jedoch ein großes Hindernis im Weg, nämlich Bagdad. Rund neun Millionen der rund 35 Millionen Iraker leben in der Hauptstadt. Zwar liegt Bagdad tendenziell in der sunnitischen Mitte des Landes, doch etwa ein Drittel seiner Bewohner sind Schiiten. Der Kampf um die Stadt am Tigris wäre daher grausam und würde viele Menschenleben fordern. Doch solange der Bürgerkrieg in Syrien noch tobt, dürfte der Irak nicht zur Ruhe kommen und dürften sich die zentrifugalen Kräfte mit all ihren Folgen verstärken.

18. Mai 2013