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NAHOST/1323: Was steckt hinter dem Erfolg der Terrortruppe ISIS? (SB)


Was steckt hinter dem Erfolg der Terrortruppe ISIS?

Viele Araber sehen die CIA in Syrien und im Irak am Werk



Die jüngsten militärischen Erfolge der sunnitisch-salafistischen Kampftruppe Islamischer Staat im Irak und Syrien (ISIS) haben gleichermaßen Erstaunen und Erschrecken ausgelöst. Nach der Einnahme der zweitgrößten irakischen Stadt Mossul am 10. Juni steht die frühere Al Kaida im Irak vor den Toren Bagdads. Am 29. Juni hat sich die Gruppe formell in Islamischer Staat umbenannt und in den von ihr kontrollierten Gebieten im Norden und Osten Syriens und im Westen und Norden des Iraks das Kalifat ausgerufen. Am 4. Juli hat ISIS-Chef Abu Bakr Al Baghdadi in seiner neuen Rolle als "Kalif Ibrahim" in einer Predigt beim Freitagsgebet in der großen Nuruddin-Moschee von Mossul, die anschließend per Video im Internet veröffentlicht wurde, die Treue aller Muslime auf der Welt verlangt.

Die Effektivität der jüngsten Offensive der ISIS-Milizen im Irak läßt sich auf zwei Faktoren zurückführen: Erstens auf die große Unzufriedenheit in den sunnitischen Teilen des Zweistromlands mit dem autoritären Regierungsstil des schiitischen Premierministers Nuri Al Maliki und zweitens auf die Stärke der Verbündeten Al Baghdadis. Entgegen dem allgemeinen Eindruck stellen die ISIS-Freiwilligen nur einen kleinen Teil der neuen sunnitischen Rebellenarmee dar; bei der großen Mehrheit der Kämpfer soll es sich um sunnitische Stammeskrieger und Angehörige der früheren Armee des Iraks unter der Leitung von Izzat Ibrahim Al Duri, dem ehemaligen Stellvertreter Saddam Husseins im Revolutionären Kommandorat, handeln. Seit 2007 ist Al Duri Vorsitzender der irakischen Baath-Partei und steht der sunnitischen Widerstandsfront mit Namen Oberkommando für Dschihad und Befreiung (JRTN) vor, in der die Mitglieder des Naqschbani-Ordens die größte Einzelgruppierung bilden.

Darüber hinaus gibt es diverse Theorien, wer alles noch ISIS unterstützt bzw. im Hintergrund die Fäden zieht. Als potentieller Förderer der sunnitischen Extremistentruppe werden die USA, Israel, Saudi-Arabien, die Türkei, Katar, Kuwait, der Iran und sogar Syrien gehandelt. Fest steht, daß bei der Eröffnungssitzung des irakischen Parlaments am 1. Juli der schiitische Politiker Mohammed Nadschi für einen Tumult sorgte, als er den kurdischen Abgeordneten im Plenarsaal mit folgenden Worten angriff: "Ihr habt ISIS in unser Land geholt, die irakische Fahne in Kirkuk eingezogen und eure eigene Fahne gehißt. Geht und verkauft euer Öl an Israel". Der anschließende Streit war so heftig, daß die Sitzung unterbrochen und um eine Woche verschoben werden mußte. Ob sich Iraks Kurden jemals wieder im Bagdader Parlament einfinden werden, ist unklar. Sie halten sich der Grünen Zone mit der Behauptung fern, ihr Leben sei in der irakischen Hauptstadt nicht sicher. Gleichzeitig spielen sie in aller Öffentlichkeit mit der Idee des Gangs in die staatliche Unabhängigkeit, wofür sie aus den USA, Israel und der Türkei ermunternde Signale erhalten.

In einem Beitrag von Nick Brauns, der am 7. Juni unter der Überschrift "Komplott gegen den Irak?" in der jungen Welt veröffentlicht wurde, finden sich Hinweise, daß die Vorwürfe Nadschis an die Adresse der kurdischen Führung um Massud Barsani, den Präsidenten der autonomen Region Kurdistans im Norden des Iraks, vielleicht nicht so abwegig sind, wie sie im ersten Moment erscheinen. Brauns verweist auf eine angeblich iranischen bzw. irakischen Diplomatenkreisen stammende Enthüllung, welche die türkischen Medien seit Tagen elektrisiert. Demnach ging der jüngsten ISIS-Offensive im Irak ein geheimes Treffen am 1. Juni in der jordanischen Hauptstadt Amman voraus. An der Strategiebesprechung, die mit Wissen der USA, Israels, der Türkei und Saudi-Arabiens stattgefunden haben soll, sollen Al Duri, der jordanische Geheimdienstchef Salih Kelob, Azad Berwari von der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP), dessen Vorsitzender Barsani ist, "sowie verschiedene Vertreter der Baath-Partei und dschihadistischer Organisationen" teilgenommen haben. Demnach wäre die Eroberung der Stadt Kirkuk und die Sicherung der umliegenden Ölfelder durch die kurdischen Peschmerga im Windschatten der Einnahme von Mossul durch ISIS-Kämpfer und deren Vorstoß gen Süden Richtung Bagdad ein abgekartetes Spiel gewesen.

Vor diesem Hintergrund sind die Ausführungen, die Nabil Na'eem am 5. Juli im Interview mit Arabi Souri für den Blog Uprooted Palestinian zum Thema Dschihad, ISIS und die aktuelle Krise im Nahen Osten machte, hochinteressant. [1] Der Ägypter Na'eem hat in den 1980er Jahren an der Seite von Aiman Al Zawahiri und Osama Bin Laden als Teil jener arabischen Brigade, aus der später Al Kaida hervorgehen sollte, für die afghanischen Mudschaheddin gegen die sowjetische Armee in Afghanistan gekämpft. Von 1988 bis 1992 war er Chef des Ägyptischen Islamischen Dschihad (EIJ). 1991 wurde er in Ägypten verhaftet und kam erst zehn Jahre später, nach dem Rücktritt Hosni Mubaraks infolge landesweiter Demonstrationen, wieder frei. Bereits 2004 hatte Na'eem der Gewalt als Mittel der Politik abgeschworen. 2012 hat er in Ägypten die gemäßigte Demokratische Dschihad-Partei (DJP) gegründet. 2013 unterstützte er die Proteste, die zum Sturz der Regierung der Moslembruderschaft und Präsident Mohammed Mursis durch das ägyptische Militär führten.

In dem Interview für Uprooted Palestinian wirft Na'eem Mursi und der Moslembruderschaft vor, gegen das nationale Interesse Ägyptens gehandelt zu haben, unter anderem indem sie in Absprache mit Al-Kaida-Chef Al Zawahiri Dschihadisten auf die Sinai-Halbinsel geholt hätten, die dort für Unruhe und Instabilität sorgen sollten. Generell sieht Na'eem in der Moslembruderschaft und Al Kaida - auch in der ISIS-Variante - Gruppen, die von den USA instrumentalisiert werden, um die führenden Länder des Nahen Ostens mittels ethnischer und religiöser Spannungen zu schwächen und eventuell zu zerlegen. In diesem Zusammenhang verweist er auf einen entsprechenden Plan namens "Clean Break", der 1996 von einer Gruppe führender amerikanischer Neokonservativer um den ehemaligen US-Vizeverteidigungsminister Richard Perle dem damals frischgewählten israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu vorgelegt wurde.

Na'eem will nicht so richtig glauben, daß die großen Mengen an Geld und Waffen, welche die USA, Saudi-Arabien, die Türkei und andere Staaten den Rebellen in Syrien seit drei Jahren zukommen lassen, ausschließlich für die "gemäßigten" Kräfte gedacht sind. Die beiden stärksten Rebellenformationen im Irak, die radikalislamische ISIS und die Al-Nusra-Front, verfügen seiner Einschätzung nach über jeweils rund 10.000 Kämpfer. Laut Na'eem ist es unvorstellbar, daß sich die beiden Gruppen hauptsächlich mit dem am Leben erhalten und ausrüsten, was sie der Freien Syrischen Armee bzw. den Streitkräften Baschar Al Assads abnehmen. Er erinnert an Meldungen über die Ausbildung syrischer Dschihadisten in Jordanien sowie an die Tatsache, daß Al Baghdadi erst zum heiligen Krieger wurde, nachdem er 2004 fast ein ganzes Jahr lang in einem US-Gefangenenlager im Irak interniert war.

Wenn die ISIS-Gruppe Krieg gegen den "großen Satan" führt, wie kommt es dann, daß sich ihre Gewaltaktionen, ähnlich denen von Al Kaida im Irak früher unter deren erstem Chef Musab Al Sarkawi, fast ausschließlich gegen Schiiten, Ungläubige und Sunniten, die einen säkularen Lebensstil führen, richten, fragt Na'eem. Unter Anspielung auf bekanntgewordene Greueltaten der Al Kaida im Irak und ISIS in Syrien stellt er fest: "Obwohl die Gruppe 2006 gegründet wurde, haben sie keinen einzigen Amerikaner getötet. Sie haben keinen Amerikaner enthauptet und Fußball mit seinem Kopf gespielt. Nur Muslime haben sie getötet und deren Leber gegessen."

Hinter der nach der Eroberung von Mossul von ISIS abgegebenen Verlautbarung, die heiligen schiitischen Schreine in Nadschaf und Kerbala zerstören zu wollen, sieht Na'eem ganz klar die Absicht, den Iran in eine verlustreiche Militärintervention im Irak hineinziehen zu wollen. Aufgrund solcher Überlegungen kommen für Na'eem nur die US-Geheimdienste, speziell die CIA, als Urheber der Destabilisierung Syriens und des Iraks in Betracht. Er bezeichnet die sunnitischen Takfiris, darunter viele Europäer, die voller Inbrunst Dschihad gegen Schiiten, gemäßigte Sunniten und Mitglieder kleinerer Glaubensgemeinschaften im Nahen Osten führen zu müssen meinen, als religiöse Analphabeten, die den Koran völlig falsch auslegten und nicht einmal bemerkten, wie sie sich selbst zu Marionetten des Westens machten.


Fußnote:

1. http://uprootedpalestinians.blogspot.de/2014/07/al-maydeen-tv-with-sheikh-nabeel-naiem.html

8. Juli 2014