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NAHOST/1350: Obamas Anti-IS-Koalition eine einzige Scharade? (SB)


Obamas Anti-IS-Koalition eine einzige Scharade?

NATO und Konsorten fahren den globalen Antiterrorkrieg wieder hoch



Frankreichs Präsident Francois Hollande und US-Außenminister John Kerry haben am 15. September im Elysée Palast in Paris die große Koalition aus der Taufe gehoben, die nach der Vorgabe von US-Präsident Barack Obama, die sunnitische Miliz ISIS, die als Kalifat namens Islamischer Staat (IS) weite Teile Ostsyriens und des Ostens und Nordens des Iraks kontrolliert, "beeinträchtigen und zerstören" soll. An der Koalition beteiligen sich neben den NATO-Staaten USA, Kanada Großbritannien, Belgien, den Niederlanden, Frankreich, Deutschland, Spanien, Italien, Dänemark, Norwegen, der Tschechischen Republik und der Türkei, auch Ägypten, der Libanon, Jordanien, der Irak, Kuwait, Bahrain, Katar, Oman, Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate sowie Rußland, China, Japan und Australien. Wie die Anti-IS-Koalitionäre ihr Vorhaben, den IS zu schwächen und gleichzeitig die anderen Rebellengruppen in Syrien zu stärken, realisieren wollen, wo doch letztere am 12. September einen Nicht-Angriffspakt mit dem Kalifat geschlossen haben, ist unklar. Aber damit fangen die Probleme erst an.

Rußland, das derzeit mit EU und NATO wegen der Ukraine-Krise im Clinch liegt, wird alles zu verhindern versuchen, was sich gegen Syriens Präsident Baschar Al Assad richtet und nach "Regimewechsel" in Damaskus riecht. Der Einbezug der arabischen Staaten vom Persischen Golf, die als die stärksten Förderer des sunnitischen Aufstands in Syrien und im Irak gelten, erinnert an die widersprüchliche Teilnahme Pakistans am großen Feldzug der NATO gegen die paschtunischen Taliban in Afghanistan, der aktuell für die Nordatlantiker nach dreizehn Jahren vergeblicher Mühe wenig ruhmreich zu Ende geht. Die Zusage der Saudis, bei sich ein Ausbildungslager für "gemäßigte Rebellen" einzurichten, scheint nicht von besonderem Wert zu sein. Erstens werden die Amerikaner selbst - entweder das Pentagon oder private Militärdienstleister - die Anlage betreiben müssen, denn Saudi-Arabien verfügt zwar über jede Menge teurer Hightech-Waffen aber keine guten Soldaten. Zweitens hat bisher niemand die "gemäßigten" Kräfte unter den Gegnern Assads von den "nicht-gemäßigten" unterscheiden können. Nicht zuletzt deshalb ist ein Großteil der vom Ausland gespendeten Waffen und der von der CIA in Jordanien ausgebildeten Rebellenkommandeure beim IS gelandet.

Die fehlende Teilnahme des schiitischen Irans an der großen Anti-IS-Koalition bestärkt den Verdacht, daß es sich hier weniger um die Bekämpfung salafistischer Dschihadisten als vielmehr um eine Neuordung des Nahen Ostens im Sinne Washingtons handelt. Zu jener seit Jahren von den USA und Israel verfolgten Neuordnung gehört als erster Punkt auf der Aufgabenliste die Zerschlagung des sogenannten "Bogens des Widerstands", der von den Hochburgen der schiitischen Hisb Allah im Libanon über Syrien bis in den Iran reicht. Die tagelangen Spekulationen über eine mögliche Beteiligung Teherans an der Anti-IS-Koalition fanden ein jähes Ende, als Kerry im Vorfeld der Konferenz an der Seine die Islamische Republik bezichtigte, den "internationalen Terrorismus" zu fördern, wofür im Gegenzug Irans Oberster Geistlicher, Großajatollah Ali Khamenei, den USA vorwarf, ein doppeltes Spiel zu treiben. Laut Khamenei diene IS den USA "als Vorwand, das im Irak und Syrien zu tun, was sie bereits in Pakistan machen, nämlich ohne Autorisierung überall Luftangriffe durchzuführen".

Die Widersprüchlichkeit der ganzen Anti-IS-Unternehmung zeigt sich am deutlichsten am Verhalten Ankaras. Die Türkei ist offiziell als Koalitionärin dabei, lehnt jedoch die Nutzung des NATO-Stützpunkts Incirlik nahe der Grenze zu Syrien und dem Irak für Operationen der amerikanischen, britischen und französischen Luftwaffen gegen IS-Stellungen strikt ab. Ebenso weigert sich die Türkei, die zahlenmäßig nach den USA über das größte Heer in der NATO verfügt, sich direkt an Kämpfen gegen IS zu beteiligen. Bis dato ist nicht einmal klar, ob Ankara bereit ist, den Handel mit Öl aus dem Kalifat, der zum guten Teil über die Türkei läuft, oder den Zuzug ausländischer Kämpfer nach Syrien zu unterbinden. Als Grund für die Zurückhaltung führt Ankara die Sorge um das Leben von 49 türkischen Konsulatsmitarbeitern an, die sich seit der Eroberung der zweitgrößten irakischen Stadt Mossul im Juni durch die IS-Armee in den Händen der Glaubenskrieger befinden. Eher muß man davon ausgehen, daß die Türkei, deren Behörden seit drei Jahren die Nutzung ihres Territoriums durch die Assad-Gegner stillschweigend dulden, vom sunnitisch-fundamentalistischen Monster, das sie selbst mitgeschaffen hat, nicht verschlungen werden will.

15. September 2014