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NAHOST/1452: Friedensgespräche über Syrien in Genf gescheitert (SB)


Friedensgespräche über Syrien in Genf gescheitert

Washingtons "Plan B" sieht Boden-Luft-Raketen für die Rebellen vor


Nach acht Wochen sind die jüngsten Verhandlungen über eine Beendigung des Bürgerkrieges in Syrien gescheitert. Oppositionelle Rebellengruppen, die in Genf unter dem Namen Hohes Verhandlungskomitee (High Negotiation Committee - HNC) gemeinsam aufgetreten waren, setzten am 18. April ihre Teilnahme an den Verhandlungen unter der Leitung des UN-Sondergesandten Staffan de Mistura bis auf weiteres aus. Für den dramatischen Schritt machte das HNC die syrische Regierung verantwortlich. HNC-Vertreter warfen der Syrischen Arabischen Armee (SAA) vor, wiederholt und zuletzt im Raum Aleppo massiv gegen den Waffenstillstand verstoßen zu haben, der am 27. Februar in Kraft getreten war und in weiten Teilen Syriens für ein deutliches Abflauen der Kämpfe gesorgt hatte.

Eigentlicher Grund für das Scheitern der Gespräche war die Weigerung der syrischen Regierungsdelegation, sich auf die Forderung des HNC nach Rücktritt von Präsident Baschar Al Assad als Bedingung für eine dauerhafte Beilegung des Konfliktes, der seit 2011 mehr als 270.000 Menschen das Leben gekostet und die Hälfte der Bevölkerung zu Flüchtlingen gemacht hat, einzulassen. Der von Rußland und den USA unterstützte Friedensplan von de Mistura sieht die Bildung einer Übergangsregierung unter Beteiligung der Rebellen, die Ausarbeitung einer neuen Verfassung - angeblich verhandeln die Vertreter Moskaus und Washingtons bereits über deren Inhalt - sowie die Durchführung von Parlaments- und Präsidentschaftswahlen bis September 2017 vor.

Das HNC, das bei einem Treffen in Riad im Dezember vergangenen Jahres von der saudischen Regierung aus zwölf Rebellengruppen geschmiedet worden war, beharrte bis zuletzt darauf, daß sich Assad bei der geplanten Präsidentenwahl nicht aufstellen lassen dürfe. Die Regierungsdelegation hatte diese Forderung stets als anti-demokratisch abgelehnt. Das syrische Volk soll selbst entscheiden, ob es Assad weiterhin als Staatsoberhaupt haben will oder nicht, so der Standpunkt der Vertreter aus Damaskus. Allen Fehlern der eigenen Regierung in der Vergangenheit zum Trotz sehen viele Syrer bis heute in Assad, der säkularen Baath-Partei und der SAA das letzte Bollwerk vor der Verwandlung des Landes in einen autoritären sunnitischen Gottesstaat mit Scharia-Gesetzgebung à la Saudi-Arabien. Von daher ist es auch nicht verwunderlich, daß die Baath-Partei bei den regulären Parlamentswahlen, die letzte Woche in den von der Regierung kontrollierten, dicht besiedelten Gebieten des Landes stattfanden, wieder eine deutliche Mehrheit der 250 Abgeordnetenmandate gewann.

Das HNC hat den Ausgang der Wahl als "Farce" bezeichnet. Einen Tag vor dem offiziellen Abzug von den Friedensverhandlungen hatte HNC- Chefunterhändler Mohammed Alloush von der Jaish Al Islam, neben Ahrar Al Islam die stärkste Miliz unter den "gemäßigten" Gruppen, Vergeltung für die heftigen Angriffe der syrischen Luftwaffe auf Rebellenpositionen bei Aleppo gefordert. "Traut dem Regime nicht und wartet nicht auf dessen Mitleid. Schlagt ihnen die Köpfe ab. Schlagt sie überall." Die drastische, zum Teil dem Koran entlehnte Äußerung Alloushs ähnelt stark der Sprache der al-kaida-nahen Al-Nusra-Front und der "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS). Wegen der vielfach dokumentierten Fälle der laufenden Zusammenarbeit zwischen den gemäßigten und "extremistischen" Rebellengruppen läßt sich nachvollziehen, warum sich die Angriffe der russischen Luftwaffe seit September 2015 mit wenig Ausnahmen gegen alle Rebellenformationen in Syrien richten.

Mit der militärischen Hilfe Rußlands, der Revolutionsgarde des Iran und der schiitisch-libanesischen Hisb-Allah-Miliz hat die SAA in den letzten Monaten wieder die Oberhand im Bürgerkrieg gewonnen. Die Vertreibung des IS aus der Stadt Palmyra mit seinen archäologisch wichtigen Fundstätten am 27. März war das deutlichste Zeichen für das Wiedererstarken der staatlichen Streitkräfte, die im ersten Halbjahr 2015 wegen des Einsatzes amerikanischer Anti-Panzer-Raketen vom Typ TOW, welche die Aufständischen von der Türkei, Saudi-Arabien und den anderen Petro-Monarchien am Persischen Golf erhalten hatten, am Rande des Zusammenbruchs standen. Nach Aufkündigung der Verhandlungen haben die "gemäßigten" Rebellen unter der Führung von Ahrar Al Scham eine neue Offensive in den Provinzen Latakia, der Hochburg der alewitischen Anhänger Assads, und Hama gestartet. Dies meldete die Onlinezeitung Middle East Eye am 18. April.

Bestimmt nicht zufällig enthielt besagter MEE-Artikel mit der Überschrift "Syrien Rebels launch new assaults as opposition seeks peace talks 'pause'" das Bild eines maskierten Aufständischen, der eine chinesische Boden-Luft-Lenkwaffe vom Typ FN-6 auf der Schulter trägt. Am 12. April hatte die Tageszeitung Wall Street Journal, das Sprachrohr der die US-Außenpolitik bestimmenden Neokonservativen, gemeldet, daß im Falle eines Scheiterns der Syrien-Verhandlungen in Genf die Regierung von US-Präsident Barack Obama auf "Plan B", die Ausstattung "ausgesuchter" Rebellengruppen mit schweren Waffen, darunter vor allem tragbare Boden-Luft-Raketen, zurückgreifen wolle.

Aus dem WSJ-Artikel aus der Feder von Adam Entous geht eindeutig hervor, daß Washington, Ankara und Riad an ihrem gemeinsamen Ziel eines "Regimewechsels" in Damaskus festhalten und Assad zum Rücktritt zwingen wollen, unabhängig von dem damit einhergehenden Leid für die syrische Bevölkerung. Zu diesem Zweck soll auch der Preis für Rußland, weiter seine schützende Hand über das syrische "Regime" zu halten, erhöht werden. Dazu heißt es in dem WSJ-Bericht, der weltweit Aufmerksamkeit erregt hat:

In privaten Gesprächen mit ihren russischen Amtskollegen hätten [Außenminister John] Kerry und CIA-Direktor John Brennen gewarnt, daß die Alternative zum Waffenstillstand eine gefährliche Eskalation auf dem Schlachtfeld sein könnte, sagten US-Regierungsvertreter. "Bricht die Feuerpause zusammen, bringen die Verhandlungen nichts und flammt der Bürgerkrieg wieder auf, dann ist alles möglich. Die ausländischen Unterstützer [die Türkei, Saudi-Arabien et al - Anm. d. SB-Red.] werden ihren Einsatz verdoppeln und verdreifachen und alles, was sie haben, darunter weit tödlichere Waffen, nach Syrien schaffen", sagte ein ranghoher Vertreter der Obama-Administration in bezug auf die an Moskau gerichtete Botschaft.

Mit Boden-Luft-Raketen und anderen schweren Waffen an die afghanischen Mudschaheddin im Rahmen der CIA-Operation Cyclone haben die USA in den 1980er Jahren die Streitkräfte der Sowjetunion zum Abzug aus Afghanistan gezwungen. Von den Folgen dieser teuersten CIA-Operation aller Zeiten - die Ausgaben lagen zwischen zwei und sechs Milliarden Dollar - hat sich Afghanistan bis heute nicht erholt. Im Gegenteil haben die arabischen Freiwilligen mittels Organisationen wie Al Kaida ihren Heiligen Krieg in zahlreiche Länder Asiens und Afrikas exportiert. Die geplante Aufrüstung der Rebellen in Syrien könnte verhängnisvolle Auswirkungen nach sich ziehen wie einen möglichen Dritten Weltkrieg, der durch den Abschuß eines russischen Kampfjets in Gang gesetzt werden könnte.

19. April 2016


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