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NAHOST/1472: Rußland erhöht seinen Einsatz im Syrienkrieg massiv (SB)


Rußland erhöht seinen Einsatz im Syrienkrieg massiv

Moskau baut seine Beziehungen zu Teheran und Ankara aus


In Syrien, wo seit fünf Jahren ein mörderischer Konflikt tobt, der weniger als Bürger- denn als Stellvertreterkrieg ausländischer Akteure betrachtet werden muß, hat Rußland, Schutzmacht des "Regimes" von Baschar Al Assad in Damaskus, seinen Einsatz am 16. August mit der Aufnahme von Luftangriffen, die von einem Stützpunkt im Iran aus geflogen werden, massiv erhöht. Mit dieser Maßnahme und mehreren anderen ist Moskau dabei, die strategische Lage in und um Syrien zuungunsten der USA und deren Verbündeten Frankreich, Großbritannien, Jordanien, Saudi-Arabien und Katar zu verschieben. Durch die Mobilisierung Zehntausender ausländischer sunnitischer Fundamentalisten wollten Washington, Paris, London, Amman, Riad und Doha in Damaskus einen "Regimewechsel" erzwingen. Der perfide Ansatz der selbsternannten "Antiterrorkrieger", der Syrien zerstört, Hunderttausenden von Menschen das Leben gekostet und Millionen zu Flüchtlingen gemacht hat, ist gescheitert.

Seit drei Tagen nun fliegen russische Langstreckenbomber vom Typ Su-34 von einem Stützpunkt nahe der westiranischen Stadt Hamadan aus, Hauptstadt der gleichnamigen Provinz, Luftangriffe auf Stellungen der "terroristischen Formationen" Islamischer Staates (IS) und Al-Nusra-Front im Osten Syriens (letztere hat bekanntlich Ende Juli der Teilnahme am globalen Kampf des Al-Kaida-"Netzwerks" abgeschworen und sich in Dschabat Fatah Scham (Front für die Eroberung Syriens) umbenannt, um künftig als "gemäßigt" gelten und weiterhin Geld und Waffen von den Petromonarchien am Persischen Golf erhalten zu können). Die von Teheran abgesegnete Nutzung Hamadans durch das russische Militär ist aus mehrfacher Hinsicht von Bedeutung.

Die Strecke, welche die Su-34-Bomber nun zurücklegen müssen, um Bomben und Raketen auf Ziele in Syrien abzuwerfen, hat sich massiv verkürzt; bisher mußten sie von Stützpunkten in Rußland aus ihre Missionen durchführen. Man spart also größere Mengen Treibstoff und Geld, während sich gleichzeitig die Belastung für Menschen und Maschinen stark verringert. Durch die erste Stationierung ausländischer Truppen im Iran seit der Islamischen Revolution und dem Sturz des Schahs 1979 erfährt die inoffizielle Militärallianz zwischen Moskau und Teheran eine deutliche Aufwertung. Dies kommt zu einer wichtigen Zeit, denn zuletzt hat es seitens der Iraner, die bislang rund 400 Soldaten bei Bodenkämpfen in Syrien verloren haben, Zweifel an Moskaus Durchhaltewillen gegeben. In Teheran befürchtete man angesichts der ständigen Bemühungen der amerikanischen und russischen Außenminister John Kerry respektive Sergej Lawrow um einen tragbaren Waffenstillstand, daß Wladimir Putin mit Barack Obama irgendeinen Sonderdeal - etwa über eine Aufspaltung Syriens in kleine ethnisch-religiös definierte Gebiete - verabreden könnte, der die regionalen Interessen des Irans und dessen Verbündeten bei der schiitisch-libanesischen Hisb Allah unberücksichtigt ließe.

Die russische Militärpräsenz in Hamadan vertreibt nicht nur die iranischen Befürchtungen, an der Seite Assads allein gelassen zu werden, sondern hat Symbolkraft und ist von praktisch-strategischem Nutzen. Die Erwartungen, die Teheran letztes Jahr mit dem mit der Gruppe P5+1 - China, Frankreich, Großbritannien, Rußland, USA plus Deutschland - beschlossenen Abkommen zur Beilegung des Streits um das iranische Atomprogramm verbunden hatte, haben sich nicht erfüllt. Angesichts der anhaltenden Gefahr, wegen Verstoßes gegen irgendwelche US-Handelssanktionen vor einem amerikanischen Bundesgericht zu landen, scheuen sich ausländische Unternehmen vor Investitionen im Iran. Im US-Kongreß hält sich die Iranophobie nach wie vor hartnäckig, was dessen aktueller Versuch, Boeings geplanten Verkauf von 80 Passagiermaschinen für 25 Milliarden Dollar an die staatliche iranische Luftlinie zu verhindern, zeigt. Im laufenden US-Präsidentenwahlkampf tun sich die demokratischen und republikanischen Kandidaten Hillary Clinton und Donald Trump gleichermaßen als Kritiker des Atomabkommens mit dem Iran hervor. So steht zu befürchten, daß nach dem Ausscheiden Obamas im Januar 2017 Washington wieder auf Konfrontationskurs zu Teheran gehen könnte. Die Stationierung russischer Langstreckenbomber samt Personal in Hamadan schiebt einer unüberlegten Eskalation amerikanischer Feindseligkeiten dem Iran gegenüber jedenfalls einen Riegel vor.

Aus dem Umkreis Clintons - etwa durch Äußerungen von US- Verteidigungsministerin in spe Michelle Flournoy - weiß man, daß die ehemalige First Lady für den Fall ihres Wahlsieges im November verstärkte Bemühungen der USA plant, um das säkulare Assad-"Regime" doch noch zu Fall zu bringen. Schließlich hat Clinton während ihrer Zeit als Außenministerin Obamas zusammen mit dem damaligen CIA-Chef General David Petraeus dafür gesorgt, daß ab Ende 2011 Tausende libysche Dschihadisten samt größerer Mengen Waffen und Munition aus den Beständen des ermordeten Muammar Gaddhafis über das Mittelmeer nach Syrien gelangten. Clinton hat ihren öffentlichen Standpunkt - "Assad muß weg" - niemals revidiert und macht sich in letzter Zeit in der Syrienfrage für die Einrichtung einer "Flugverbotszone" zum angeblichen Schutz der Zivilbevölkerung stark, wohlwissend, daß eine solche Initiative die Gefahr eines militärischen Konflikts mit Rußland in sich birgt.

Nur im bezug auf die Dauerrivalität zwischen Moskau und Washington sowie auf den bevorstehenden Regierungswechsel am Potomac sind die jüngsten russischen Unternehmungen in Syrien, wozu neben der Inbetriebnahme von Hamadan auch der Ausbau des Luftwaffenstützpunktes Khmeimim, der südlich der syrischen Mittelmeerhafenstadt Latakia liegt, zu einer dauerhaften Einrichtung der russischen Streitkräfte gehört, zu verstehen. Interessant ist auch die Nachricht, wonach China die militärischen Beziehungen zwischen der Volksarmee und der Syrischen Arabischen Armee (SAA) - im ersten Schritt auf dem Feld der Ausbildung - intensivieren will. Dies gab Guan Youfei, Leiter des Amts für Internationale Militärische Zusammenarbeit bei der Zentralen Militärkommission Chinas im Gespräch mit dem syrischen Verteidigungsminister Fahad Dschassim Al Freidsch am 17. August in Damaskus bekannt. Damit bezieht Peking im Syrien-Konflikt erstmals konkrete Stellung für die Regimewechsel-Gegner Rußland, Iran und Hisb Allah.

Der gescheiterte Putsch-Versuch gegen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in der Nacht vom 13. auf den 14. Juli hat wiederum die Fronten im Syrienkonflikt durcheinandergebracht. Strebte Ankara in den letzten fünf Jahren den Sturz Assads an und ließ die salafistischen Gotteskrieger die Türkei als Transitland, Aufmarschgebiet und Rückzugsraum in einem benutzen, so geht die AKP-Regierung Erdogans inzwischen deutlich auf Distanz zu ihren NATO-Partnern, in deren Reihen sie die Auftraggeber der Putschisten vermutet. Seit der verhängnisvollen Nacht, als das Parlament in Ankara mit Raketen beschossen wurde und Erdogan nur knapp überlebte, kommen sich Ankara, Moskau und Teheran näher. Schließlich waren die russischen und iranischen Präsidenten Wladimir Putin und Hassan Rohani die ersten Staatsmänner, die den noch laufenden Putsch verurteilten und sich zur gewählten Regierung der Türkei bekannten, während man sich im Westen zunächst mit allgemeinen Appellen gegen Gewalt und für Stabilität begnügte. Inzwischen sollen die Türken den Russen die Nutzung des NATO-Stützpunktes Incirlik für Anti-Terror-Luftoperationen in Syrien angeboten haben. Angeblich sollen die USA vorsorglich bereits mit dem Abzug ihrer rund 50 bislang in Incirlik gelagerten Atomsprengköpfe nach Rumänien begonnen haben. Letzteres meldete jedenfalls am 18. August das Nachrichtenportal euraktiv.com unter Verweis auf "zwei unabhängige Quellen".

19. August 2016


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