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NAHOST/1487: Saudi-Arabien verwandelt Jemen in ein Schlachthaus (SB)


Saudi-Arabien verwandelt Jemen in ein Schlachthaus

London und Washington an den Kriegsverbrechen Riads beteiligt?


Der Luftangriff saudischer Kampfjets, der am 8. Oktober mindestens 155 Teilnehmer einer Trauerfeier in Sanaa tötete und mehr als 525 schwer verletzt zurückließ, hat vorübergehend den von den Konzernmedien weitgehend ignorierten Krieg im Jemen in den Blick einer breiten Öffentlichkeit gerückt. Die Regierung von US-Präsident Barack Obama fühlte sich auf einmal bemüßigt, von den saudischen Verbündeten - immerhin die mit Abstand wichtigsten Abnehmer amerikanischer Waffen und Munition - auf Distanz zu gehen. Angesichts des bisher blutigsten Vorfalls der seit März 20015 anhaltenden Intervention einer von Saudi-Arabien angeführten, sunnitischen Militärallianz erklärte Ned Price, Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats, die "sicherheitspolitische Zusammenarbeit" der USA mit Saudi-Arabien sei für die Monarchie in Riad "kein Blankoscheck", und kündigte sowohl eine Überprüfung als auch eine Korrektur besagter Kooperation an, um den "tragischen Konflikt" im Jemen zu einem "sofortigen und dauerhaften Ende" zu bringen.

Die hehren Worte aus dem Weißen Haus angesichts des zunehmenden Kriegsgrauens im Jemen kommen nicht nur spät, sondern zeugen von einer ungeheuren Scheinheiligkeit. Wie Jonathan Marshall am 1. Oktober bei consortiumnews.com berichtete, haben die USA seit Beginn der Präsidentschaft Obamas 2009 Rüstungsgüter in Wert von 115 Milliarden Dollar an Saudi-Arabien verkauft, was einen Anstieg im Vergleich zur Ära George W. Bush um 96 Prozent darstellt. 2014 reisten 2500 saudische Militärs zur Ausbildung in den USA. Seit Beginn der Aggression im Jemen hat Riad aus Großbritannien Waffen und Munition im Wert von drei Milliarden Dollar erhalten. Über umfangreiche und höchst profitable Nachschubbestellungen aus Saudi-Arabien, Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten erfreuen sich aktuell die Rüstungsfabrikanten in den USA und Großbritannien. Seit 2015 hat das Außenministerium in Washington Waffendeals an Saudi-Arabien im Wert von 20 Milliarden Dollar genehmigt. Tausende amerikanische und britische Offiziere und Militärdienstleister sind in Saudi-Arabien stationiert, bilden dort Soldaten aus, warten westliches Kriegsgerät, tanken saudische Kampfjets in der Luft auf, liefern Satellitendaten und nehmen an der Auswahl der Zielobjekte im Jemen teil.

Seit Monaten laufen Friedens- und Menschenrechtsgruppen gegen die westliche Unterstützung für das Morden im Jemen Sturm (Seit Beginn des Kriegs im März 2015 sind mehr als 10.000 Menschen, viele von ihnen Zivilisten, gewaltsam ums Leben gekommen). Sie kritisieren unter anderem, daß Londons und Washingtons Diplomaten Riad zuliebe jeweils im September 2015 und 2016 geholfen haben, die Einleitung einer offiziellen Untersuchung der zahlreichen Fälle saudischer Luftangriffe auf Schulen, Fabriken, Wohnhäuser, Flüchtlingslager und Krankenhäuser durch den Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen zu verhindern. Schätzungen von Amnesty International, Ärzte ohne Grenzen sowie eines Ausschusses des britischen Parlaments zufolge haben mehr als ein Drittel aller Luftangriffe der von Saudi-Arabien angeführten Koalition zivile Objekte zum Ziel gehabt.

In einem Bericht, den Human Rights Watch am 6. Oktober veröffentlichte, ging deren Referentin für Notlagen, Priyanka Motaparthy, mit der Obama-Regierung, die ihrerseits nicht müde wird, die angebliche "Barbarei" Rußlands im Syrienkrieg anzuprangern, schwer ins Gericht. Unter Verweis auf den "steigenden Blutzoll" im Armenhaus Arabiens schrieb Motaparthy:

Wahllose Angriffe, bei denen man es versäumt, zwischen zivilen und militärischen Zielen zu unterscheiden, sowie welche, die zu einem unverhältnismäßigen Verlust an zivilen Menschenleben und Eigentum führen, sind nach dem Kriegsrecht auch illegal. ... Die USA haben die saudi-geführte Kampagne mit Luftbetankung und bei der Zielerfassung unterstützt, ohne Saudi-Arabien und dessen Verbündeten wegen der wiederholten und gesetzeswidrigen Bombardierung von Zivilisten und damit wegen des mutmaßlichen Begehens von Kriegsverbrechen zu kritisieren. ... Die Art dieser Unterstützung macht die USA zu einer Partei des bewaffneten Konflikts und damit auch potentiell mitschuldig an gesetzeswidrigen Luftangriffen.

Die US-Marine ist auch an der Seeblockade der Häfen im Westen und im Norden des Jemens, die unter der Kontrolle der schiitischen Huthi- Rebellen und der mit ihnen verbündeten Streitkräfte des ehemaligen Präsidenten Ali Abdullah Saleh liegen, beteiligt und damit auch für die schwere humanitäre Krise im Jemen verantwortlich (Aden und die anderen Seehäfen an der Südküste, die von den Anhängern des gestürzten Interimspräsidenten Abd Rabbu Mansur Hadi gehalten werden, sind hiervon nicht betroffen). Nach Angaben des Kinderhilfswerks UNICEF leidet bereits jetzt die Hälfte der 28 Millionen Jemeniten Hunger. 1,5 Millionen Kinder sind von Mangelernährung gezeichnet. Drei Millionen Menschen brauchen dringend Nahrungsmittelhilfe. In einer Meldung der Nachrichtenagentur Reuters vom 4. Oktober hat Ibrahim Mahmud vom Jemenitischen Entwicklungsfond dringend vor einer "Hungersnot und einer humanitären Katastrophe" gewarnt.

Durch wiederholte Luftangriffe auf die Hafenanlage in Hodeidah am Roten Meer, über welche die Huthi-Regierung in der Hauptstadt Sanaa den größten Teil ihres Handels abwickelt, wollen die Saudis die Gegner Sadis, die sie auf dem Schlachtfeld militärisch nicht haben besiegen können, ökonomisch in die Knie zwingen. Doch zur Kapitulation zeigt sich die Waffenbruderschaft zwischen der Ansurullah-Bewegung der Huthis und dem Saleh-Klan nicht bereit. Als Vergeltung für die Angriffe auf Hodeidah haben die Huthis am 1. Oktober in der Nähe der Meeresenge Bab Al Mandab, die Rotes Meer vom Indischen Ozean trennt, mit vom Ufer aus abgefeuerten Raketen ein Kriegsschiff der Marine der Vereinigten Arabischen Emirate versenkt und dabei angeblich mehr als einhundert emiratische Militärangehörige getötet.

Möglicherweise war der opferreiche Luftangriff in Sanaa eine Woche später hierfür die Vergeltung. Die Trauerfeier, die in der größten Versammlungshalle Sanaas stattfand, galt dem vor kurzem verstorbenen Vater des Huthi-Innenministers Dschalal Al Ruwaischan. Viele führende Mitglieder der Ansarullah-Bewegung sowie Salehs Allgemeiner Kongreßpartei dürften unter den Gästen gewesen sein. Augenzeugenberichten zufolge zerstörten die an der ersten Welle des Angriffs beteiligten Kampfjets das Dach des Gebäudes, um gleich darauf Brandbomben dort hinein abzuwerfen. Kurze Zeit später, als viele Unbeteiligte an den Bergungsarbeiten teilnahmen, wurde das Objekt erneut aus der Luft von Bomben und Raketen getroffen. Im US-Militärjargon heißt diese perfide Taktik, die häufig bei CIA-Drohnenangriffen in Pakistan und anderswo zur Anwendung kommt, "double-tap". Von daher fällt es dem unabhängigen Beobachter schwer zu glauben, daß die US-Verbindungsoffiziere im Kommandostab für die Jemen-Operation in Saudi-Arabien von der jüngsten Aktion im Vorfeld nichts gewußt und sie nicht abgesegnet hätten.

10. Oktober 2016


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