Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → REDAKTION


NAHOST/1525: Saudi-Arabien verlangt Gefolgschaft von Katar (SB)


Saudi-Arabien verlangt Gefolgschaft von Katar

Greift Riad im Streit mit Doha zu militärischen Maßnahmen?


Mit der plötzlichen Ankündigung Saudi-Arabiens, Bahrains, der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), Ägyptens und der Malediven vom 5. Juni, alle diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu Katar zu kappen, hat der lange schwelende Konflikt zwischen Riad und Doha eine gefährliche Eskalationsstufe erreicht. Die Saudis, die derzeit an einer Art "sunnitischer NATO" basteln, um dem Einfluß des schiitischen Irans in der Region Nahost Einhalt zu gebieten, sind des eigenständigen Kurses der Kataris überdrüssig. Riad verlangt vom Emir von Katar, Tamim Bin Hamad Al Thani, offen die Gefolgschaft. Andernfalls droht entweder ein von Riad initiierter Staatsstreich oder der Einmarsch saudischer Truppen, um einen "Regimewechsel" umzusetzen.

Seit langem ist Katar ein Dorn im Auge Saudi-Arabiens. Der weltgrößte Gasexporteur und der weltgrößte Öllieferant sind wirtschaftliche Konkurrenten. Die niedrigen Energiepreise der letzten Jahre haben diese Rivalität verschärft. Unter den sechs Mitgliedsstaaten des Gulf Cooperation Council (GCC), Kuwait, Bahrain, Oman, VAE, Saudi-Arabien und Katar ist letzterer der liberalste. Dort können Touristen Alkohol trinken, Frauen unverschleiert und ohne männliche Begleitung spazierengehen oder Auto fahren. Der Al-Thani-Klan gibt sich betont kosmopolitisch und modern. Die Etablierung Al Jazeeras als international angesehener Nachrichtensender und die erfolgreiche Bewerbung um die Austragung der Fußballweltmeisterschaft 2022 unterstreichen den diplomatischen und wirtschaftlichen Geltungsanspruch Dohas.

2011 sind Katar und Saudi-Arabien mächtig aneinandergeraten. Doha, seit langem ein Förderer der Moslembruderschaft, hat damals, ähnlich der Regierung von US-Präsident Barack Obama, im Arabischen Frühling die Chance gesehen, zwischen Atlas-Gebirge und Straße von Hormus die alten Autokratien durch moderne, muslimisch-geprägte Demokratien zu ersetzen. Während Al Jazeera die ägyptischen Demonstranten vom Kairoer Tahrir-Platz und die Absetzung Hosni Mubaraks feierte, haben in Libyen Katars Spezialstreitkräfte den gewaltsamen Sturz Muammar Gaddhafis aktiv betrieben.

Saudi-Arabien hat die Infragestellung der eigenen Monarchie durch die Volkserhebungen in den Nachbarländern als Übel empfunden, das bekämpft werden mußte. Riads Sturmtruppen marschierten in Bahrain ein, um dort die demokratischen Proteste der mehrheitlich schiitischen Bevölkerung brutal niederzuschlagen. Die Saudis - und die Kataris - haben Partei für die Gegner Baschar Al Assads in Syrien ergriffen, um den sogenannten "schiitischen Bogen" zwischen dem Iran und den schiitischen, von Hisb Allah politisch dominierten Teilen des Libanons zu zerschlagen.

2013 hat Ägyptens Militär - angestiftet von Saudi-Arabien und Israel - den ersten demokratisch gewählten Präsidenten am Nil, Mohammed Mursi, gestürzt, mehr als tausend seiner Anhänger ermordet, weitere Zehntausende ins Gefängnis gesteckt und die Moslembruderschaft wegen "Terrorismus" verboten. Sehr zum Mißfallen Riads hatte Mursi mit der finanziellen Unterstützung Katars im Rücken die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Kairo und Teheran angestrebt. Als die saudischen Intrigen zur Torpedierung demokratischer Reformen im Jemen nicht fruchteten, hat Riad 2015 im Nachbarland eine Militärintervention gestartet, die heute noch anhält und das Armenhaus Arabiens in den Abgrund gestürzt hat. Zur Begründung der illegalen Aktion behauptete König Salmans Lieblingssohn und Verteidigungsminister Prinz Mohammad, für die politische Instabilität des Jemens sei eine heimliche Zusammenarbeit des Irans mit den schiitischen Huthi-Rebellen verantwortlich. Bislang hat Riad keinen ernstzunehmenden Beweis zur Untermauerung dieser Behauptung vorgelegt.

Saudi-Arabien kommt mit dem Zuwachs an Einfluß, den im Irak die schiitische Mehrheit - und mit ihr der Iran - durch den gewaltsamen Sturz des Sunniten Saddam Hussein infolge des angloamerikanischen Einmarsches 2003 erfahren hat, nicht klar. Deswegen hat Riad immer noch keinen Botschafter nach Bagdad entsandt. Die jüngsten militärischen Erfolge der Syrischen Arabischen Armee (SAA) und ihrer Verbündeten Rußland, Iran und Hisb-Allah-Miliz im Syrienkrieg haben Saudi-Arabien und Katar auseinanderdividiert.

Doha scheint sich mit der sich abzeichnenden Niederlage der sunnitischen Dschihadisten abzufinden, hat Ende letztes Jahr für 11,5 Milliarden Dollar eine 19,5 prozentige Beteiligung am russischen Ölriesen Rosneft übernommen und im April der Regierung in Bagdad eine halbe Milliarde Dollar überlassen, die als Lösegeld für die Freilassung von 24 Mitgliedern des katarischen Herrscherhauses, die 2015 beim Jagdausflug im Zweistromland entführt worden waren, gedacht war. Das Geld sollte zum Teil an schiitische Milizen fließen, die sich derzeit an der Offensive der irakischen Armee gegen die "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS), besonders um die Stadt Mossul, beteiligen. Die Beendigung dieses Geiseldramas ging auch mit einem von Katar und dem Iran eingefädelten Bevölkerungsaustausch in einigen Dörfer in Syrien einher, der zur Verärgerung Saudi-Arabiens und Israels der Aufrechterhaltung der Landverbindung zwischen Damaskus und dem Osten des Libanons dienen sollte.

Die Saudis, die ein Scheitern ihrer Bemühungen um einen "Regimewechsel" in Syrien nicht einsehen wollen, rüsten deshalb für einen größeren Krieg gegen den Iran auf. Die diplomatische und wirtschaftliche Aggression gegen Katar ist als Etappe hin zur gesteigerten Konfrontation am Persischen Golf zu begreifen. Seit Wochen fahren von Washington aus pro-israelische Lobbyisten sowie Vertreter Saudi-Arabiens und der VAE ihre mediale Offensive gegen Doha hoch und halten dabei mit der neuen US-Regierung von Donald Trump, speziell mit dessen Berater und Schwiegersohn Jared Kushner, Rücksprache. Dies geht aus mehreren aufschlußreichen Artikeln hervor, die in den letzten Tagen die Onlinepublikationen Middle East Eye, The Intercept und LobeLog.com veröffentlicht haben. Der Staatsbesuch Trumps am 20. und 21. Mai in Riad soll der Auftakt für die kommende Konfrontation gewesen sein. Beim Auftritt vor den versammelten Staatschefs der Arabischen Liga ist Trump voll auf die Linie Riads und Tel Avivs eingeschwenkt, als er den Iran als "Hauptsponsor" des islamistischen "Terrorismus" geißelte. Die Weigerung des Emirs von Katar, einer entsprechenden Resolution zuzustimmen, die einseitig Teheran die Instabilität im Nahen Osten anlastete, soll für die Saudis der Tropfen gewesen sein, der das Faß zum Überlaufen brachte.

Am 24. Mai wurde das Twitter-Konto der staatlichen katarischen Nachrichtenagentur (QNA) gehackt und eine Meldung in die Welt gesetzt, in der Al Thani Trump und die GCC-Staaten wegen ihrer Anti-Iran-Haltung kritisierte. Obwohl dies in den frühen Morgenstunden geschah und Doha die Urheberschaft des Emirs sofort bestritt, traten innerhalb kürzester Zeit diverse Politexperten im Fernsehen Saudi-Arabiens und der VAE auf, um den vermeintlichen katarischen Verrat an der arabisch-sunnitischen Sache zu beklagen. Inzwischen verlangen die saudischen Nachfahren von Muhammed Ibn Abd Al Wahhab - gestorben 1792 - von Katar, daß die große Al-Wahhab-Moschee im Zentrum von Doha umbenannt werden soll, weil die Al Thanis angeblich von der reinen salafistischen Lehre abgefallen sind. In ähnlicher Absicht hat eine Gruppe fundamentalistischer sunnitischer Gelehrter in Saudi-Arabien dem Al-Thani-Klan die Rechtmäßigkeit abgesprochen, in Katar zu herrschen.

In einer vertraulichen E-Mail-Kommunikation, die vor wenigen Tagen dem Nachrichtensender Al Jazeera zuspielt worden war und von ihm veröffentlicht wurde, war zu lesen, wie sich im April John Hannah, der ehemalige Berater von US-Vizepräsident Dick Cheney und heute Vertreter der neokonservativen Denkfabrik Foundation for the Defence of Democracies (FDD), und der VAE-Botschafter in Washington, Yousef Al-Otaiba, darüber ärgerten, daß Katar der palästinensischen Hamas-Bewegung die Abhaltung eines Treffens in einem Luxushotel gestattete. Al-Otaiba schlug Hannah vor, dieser solle dafür sorgen, daß der große US-Militärstützpunkt Al Udaid mit seinen 10.000 Soldaten anderswohin in der Region verlegt werde, während er, Al-Otaiba, sich im Gegenzug um die Eigentumsverhältnisse des Hotels kümmern würde. Ende Mai hat Salman al-Ansari, Leiter des Saudi American Public Relation Affairs Committee (SAPRAC) in Washington, per Twitter den Emir von Katar gewarnt, er könnte leicht dasselbe Schicksal wie Ägyptens gestürzter Präsident Mursi erleiden.

Tatsächlich ist die Gefahr groß, daß Saudi-Arabien in Katar einmarschiert, sollte dessen Regierung nicht klein beigeben und sich in die Anti-Teheran-Front einreihen. Als die Saudis vor sechs Jahren eine ähnliche Nummer in Bahrain abzogen, haben die amerikanischen Truppen dort keinen Finger zur Verteidigung der friedlichen Demokratiebewegung gerührt. Von daher ist aus dem Stützpunkt Al Udaid keine Hilfe für die Al Thanis zu erwarten. Dramatisch könnten sich die Verhältnisse zuspitzen, sollte sich Doha um militärische Unterstützung an die Türkei wenden, die seit 2015 einen eigenen Stützpunkt mit 600 Soldaten in Katar unterhält, oder im Falle einer Untätigkeit Ankaras die Iraner ins Land holen. Katar ist zwar eine kleine Halbinsel mit nur 2,6 Millionen Einwohnern, doch könnte sich an ihm ein Regionalkrieg mit unabsehbaren Folgen entzünden.

6. Juni 2017


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang